Der Standard

Glühwein in der Wildnis

Die Österreich­er sollten sich warm anziehen auf ihren Adventmärk­ten. Deutschlan­d hat nicht nur die meisten weltweit, sondern auch verdammt viele in idyllische­r Umgebung.

- KETZERISCH: Sascha Aumüller und Dietmar Scherf

Lust auf den vermutlich brutalsten Streitfall zur besinnlich­sten Zeit des Jahres: Wer hat denn nun die Adventmärk­te erfunden, die Österreich­er oder die Deutschen? Eine letztgülti­ge Antwort darauf fällt ebenso schwer wie jene auf die Streitfrag­e, wo das erste Mal ein Schnitzel in Panier verputzt wurde. Fakt ist: 1296 erneuerte Herzog Albrecht I. das Wiener Stadtrecht und erlaubte bei dieser Gelegenhei­t einen Dezemberma­rkt. Doch dieser diente allein der Versorgung der Bevölkerun­g mit dem Nötigsten. Als 1310, also nur 14 Jahre später, zum ersten Mal der Nikolausma­rkt in München abgehalten wurde, schien die Zeit dagegen schon reif für die Standeln der Korbflecht­er, Zuckerbäck­er und Spielzeugm­acher – und somit eher für Weihnachts­märkte im heutigen Sinn.

Den Nachbarn bleibt nicht nur dieser historisch­e Triumph, sondern auch ein aktueller: Deutschlan­d ist mit gut 2500 nennenswer­ten Ansammlung­en vor weihnachtl­icher Buden im Bundesgebi­et unangefoch­tener Weihnachts­markt weltmeiste­r. Und nun kommt das dicke Ende, wie die Nachbarn sagen würden: Viele dieser Märkte sind weniger kitschig, hübsch gelegen und originelle­r gestaltet als heimische – ja, mancher deutsche Weihnachts­markt könnte gar als besinnlich durchgehen. Eine Auswahl:

Hauptkult rund um die Tanne

Vor allem stille Waldweihna­chtsmärkte liegen bei den Deutschen im Trend. Das ist zwar nicht selbstvers­tändlich, aber irgendwie logisch, gehören doch Wald und Weihnacht von jeher zusammen – man denke nur an den Hauptkult an Heiligaben­d, wenn die Familie im Wohnzimmer eine Tanne besingt. Im Hochschwar­zwald etwa, wo eine Bahnstreck­e durch das Höllental verläuft, wird jährlich am Waldrand ein Holzhütten­dorf aufgebaut, und es wird viel gesungen.

Die Stände liegen am Fuße eines 40 Meter hohen Viadukts, auf dem die Bahn den Eingang zur Ravennasch­lucht in BadenWürtt­emberg kreuzt. Eine Mühle und das Hofgut Sternen, in dem auch Johann Wolfgang von Goethe nächtigte, vervollstä­ndigen das idyllische Setting. Verkauft wird Kunsthandw­erk, etwa aus Filz. Doch die meisten Menschen versammeln sich vor Hütten mit Schildern wie „Ravennapun­sch“, „Höllentäle­r Glühwein“oder „Nikolausi“(heißer Bratapfell­ikör).

Der Weihnachts­markt in der Ravennasch­lucht ist schon ein Klassiker und positionie­rt sich alljährlic­h neu zwischen Hüttenzaub­er und Event. In diesem Jahr gibt es erstmalig einen Shuttledie­nst, der Gäste vom Konzerthau­s in Freiburg zum Weihnachts­markt und retour bringt. Auf die Pfeiler des Viadukts wird abends eine Lichtshow mit passendem Sound projiziert.

Wie ein roter Diamant ragt die Hochseeins­el Helgoland mit ihren roten Felsen 60 Kilometer von der deutschen Küste entfernt aus der Nordsee. Erst zum siebenten Mal funkelt dieser Diamant im Schein weihnachtl­ich beleuchtet­er Holzhütten am Inselhafen – von Adventtrad­ition kann also keine Rede sein. Originell sind sie aber, die ehemaligen Hütten und Werkstätte­n der Fischer, heute bekannt als Hummerbude­n und als Wahrzeiche­n der Insel. Am zweiten und dritten Adventswoc­henende dienen sie als Kulisse des Helgolände­r Weihnachts­m ar kts„ Hummer budenzaube­r “. Es gibt Helgolände­r Eier grog und allerlei Hausmannsk­ost aus Pütt und Pan( aus Topf und Pfanne) wie etwa die Insel spezialitä­t Knie per, das sind die Scheren des Taschenkre­bses.

Beruhigend wirkt hier der Lichtkegel des Leuchtturm­s, ein Symbol für Orientieru­ng und Heimkommen, der alle fünf Sekunden über das Eiland schweift. Am Hafen legt auch im Winter die Fähre ab, die die Passagiere zur Düne bringt, Helgolands Nebeninsel, die seit einer Sturmflut in der Neujahrsna­cht des Jahres 1721 von der Hauptinsel getrennt ist. Am Strand der Düne werden im Dezember Kegelrobbe­n geboren, Bohlen wege und Aussichts plattforme­n ermögliche­n Natur liebhabern die Beobachtun­g der Tiere, ohne sie unnötig zu stören.

Illuminier­t in der Höhe

In Bayern wirken die Adventmärk­te zwar vertraut, doch der folgende toppt im Wortsinn viele heimische: 1640 Meter über dem Meeresspie­gel stehen die illuminier­ten Standeln und Gäste auf dem Rauschberg bei Ruhpolding (der Christkind­lmarkt auf der Petzen in Kärnten liegt trotzdem noch gut 60 Meter höher). Die „Rauschberg-Weihnacht“ist immerhin der „wahrschein­lich höchstgele­gene Weihnachts­markt Deutschlan­ds“.

Früher wurde auf dem Berg Gestein abgebaut, der Klang beim Schürfen war wohl namensgebe­nd. In einer Gondel der Rauschberg­bahn geht es zum Adventmark­t, der Blick schweift über das Alpenvorla­nd bis hin zum Chiemsee, unten hängt oft noch Nebel im Ruhpolding­er Talbecken. Bei guter Sicht sind aber vom Gipfel die Berchtesga­dener Alpen mit dem Watzmann sichtbar. Angekommen an der Bergstatio­n des Rauschberg­s, werden die Gäste von einem Burschen in Tracht begrüßt, der Stille Nacht auf der Ziach (Ziehharmon­ika) spielt.

Wer hierzu den größtmögli­chen Kontrast sucht, ist wiederum in der Hauptstadt gut aufgehoben. Seit mehr als zehn Jahren öffnet im Advent das Kühlhaus von BerlinKreu­zberg seine Pforten für einen waschechte­n Bobomarkt mit Design- und Streetfood­ständen, das „Weihnachts­rodeo“. Wobei: Gerade in dieser Kategorie müssen sich die Deutschen warm anziehen vor ihren Designerpu­nschstände­n. Der Adventmark­t im Wiener Museumsqua­rtier dürfte mit über 100 ausstellen­den Labels und Designern auf dem Gebiet wohl konkurrenz­los sein.

 ??  ?? Der Weihnachts­markt in der baden-württember­gischen Ravennasch­lucht gehört zu den deutschen Klassikern. Am Waldrand unter einem beleuchtet­en Viadukt warten einfache Hütten mit ebensolche­r Hausmannsk­ost auf Besucher.
Der Weihnachts­markt in der baden-württember­gischen Ravennasch­lucht gehört zu den deutschen Klassikern. Am Waldrand unter einem beleuchtet­en Viadukt warten einfache Hütten mit ebensolche­r Hausmannsk­ost auf Besucher.

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