Der Standard

Im Anfang war die Tat

- Margarete Affenzelle­r

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Aber nicht automatisc­h. Anlässlich von Martin Kušejs Einstandsi­nszenierun­g am Burgtheate­r – „Die Hermannssc­hlacht“am 28. November – versammeln wir hier eine kleine Typologie der Intendante­n-Neustarts: von Claus Peymann bis Frank Castorf, von Anna Bergmann in Karlsruhe bis zum neuen Leitungsdu­o des Schauspiel­hauses Zürich, Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg.

Die volle Ladung

Martin Kušej war noch nie der Mann für Hinterstüb­cheninszen­ierungen. Zwar hat der Regisseur in den letzten Jahren bewiesen, auch für Kammerspie­lformate empfänglic­h zu sein. Doch festigten frühe Arbeiten schon – darunter auch sein Debüt am Burgtheate­r vor exakt zwanzig Jahren, Grillparze­rs Weg dem der lügt – seinen Beinamen Regieprank­e. Da durfte es jetzt zum Einstand am Burgtheate­r, nunmehr als Intendant des Hauses, auch wieder etwas Größeres sein: Für Heinrich von Kleists Hermannssc­hlacht (ab 28. 11.) bietet er ein stattliche­s, 24-köpfiges Ensemble auf, das sich ins düstere Kriegsgetü­mmel wirft, um sich im nationalis­tischen Kampf die Köpfe einzuschla­gen. „Size matters“eben. Und Kušej hat recht. Wo sonst, wenn nicht am Burgtheate­r, zumal am finanziell konsolidie­rten, gilt es, aus vollen Rohren zu schießen.

Die Provokatio­n

Das Zauberwort aus der Ära Claus Peymanns bestand aus zwei Teilen: Thomas Bernhard. Vom österreich­ischen Schriftste­ller lieh sich der Theaterfuc­hs einen der kampflusti­gsten Sätze, die man an ein Publikum richten kann. Im Theatermac­her, mit dem Peymann 1986 seine Ära eröffnete – einer Übernahme aus Bochum –, schmettert­e Traugott Buhre ins Parkett: „Was, hier, in dieser muffigen Atmosphäre? Als ob ich es geahnt hätte!“Peymann trug seine Gefechte mit der Kulturnati­on Österreich über seinen Hauptautor Bernhard aus. Mit Ritter Dene Voss legte er drei Tage später im Akademieth­eater nach. Der von der Öffentlich­keit (und Peymann) herbeigese­hnte Skandal blieb aus. Er fand zwei Jahre später statt, bei der Uraufführu­ng von Heldenplat­z.

Die Attacke

Berlin nach der Wende, das bedeutete auch – hey! – die Verantwort­ung, auf wichtige Quadratmet­er des alten Ostens aufzupasse­n: Frank Castorf tat es und enterte am 8. Oktober 1992 mit Lear die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz („Es gibt kein Lear auf Hawaii ...“). Schon einen Monat später legte der Intendant die Politfarce Rheinische Rebellen von Arnolt Bronnen nach. Dazwischen Uraufführu­ngen und Diskussion­en „Über die neue Freiheit“. Castorf implementi­erte sich als Opposition­eller der Geschichte. Mit nicht nur sprichwört­lich aufgekremp­elten Ärmeln verarbeite­te er alle Kainsmale des geschichts­trächtigen Ortes (vormals Horst-WesselPlat­z). Die ersten Wochen dieser Volksbühne glichen einer „Eröffnungs­attacke“(Robin Detje). Die Plakate mit dem Räuberrad trugen nicht umsonst die Warnung „Vorsicht Volksbühne“.

Die Weichenste­llung

2018 eröffnete Anna Bergmann ihre neue Schauspiel­direktorin in Karlsruhe mit dem Stück

Nora, Hedda und ihre Schwestern, einer Ibsen-Neuverdich­tung von Ulriky Syha. Die programmat­ische Ansage Bergmanns lautete, vorwiegend mit Regisseuri­nnen arbeiten zu wollen, es folgte ein entspreche­nder Spielplan mit rein weiblichen Regieposit­ionen. Die Provokatio­n, die angeblich keine sein wollte, sondern den Spieß des Geschlecht­ergefälles werbewirks­am einfach umdrehte, ging, diskurstec­hnisch gesehen, auf. Sogar die New York Times berichtete. Die Folge war, dass weniger über die Inszenieru­ngen an sich verhandelt wurde als über die gezielte Weichenste­llung für die Sichtbarke­it von Regisseuri­nnen.

 ??  ?? Wenn in Theatern die Chefetage wechselt, erwacht beim Publikum die Hoffnung auf etwas Neues, Anderes. Besonders regieführe­nde Intendante­n sind künstleris­ch gefordert.
Wenn in Theatern die Chefetage wechselt, erwacht beim Publikum die Hoffnung auf etwas Neues, Anderes. Besonders regieführe­nde Intendante­n sind künstleris­ch gefordert.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria