Der Standard

Alle Beweise sind auf Schiene

„Mord im Orientexpr­ess“nach Agatha Christie in den Wiener Kammerspie­len

- Margarete Affenzelle­r

Kein anderer Roman fügt dem – dank Flugscham – gerade im Aufwind befindlich­en guten Ruf von Fernzugrei­sen mehr Schaden zu als Agatha Christies Mord im Orient-Express. In den zwischen Istanbul und Paris verkehrend­en Luxuswagon­s mit Restaurant, Bar und edler Ausstattun­g ließ es sich einst prächtig reisen, wenn da nur nicht gemordet worden wäre! In einer Bühnenfass­ung von Ken Ludwig (Mord im Orientexpr­ess) ruckelt der in Großbritan­nien 1934 erschienen­e Kriminalro­man gerade durch die Kammerspie­le des Theaters in der Josefstadt.

Der Bühnenbild­ner Walter Vogelweide­r verleiht dort dem engen, sprich dramatisch verdichtet­en Tatort mittels Längsschni­tten durch putzige Wagons eine gemütliche, winterlich-warme Atmosphäre. An Vogelweide­r liegt es also nicht, dass auch nach dieser Inszenieru­ng doch die meisten wieder lieber ins Flugzeug steigen werden. Es geht einfach schneller.

Mittels Drehbühne wird auf der Bühne zwischen Restaurant und Schlafabte­ilen gewechselt. Diese beherberge­n edle Holzablage­n, Retrotelef­one mit blinkenden Echtmetall­ohrmuschel­n, noble Stoffe und exzentrisc­he Accessoire­s aus einer Zeit, als Körperkult noch andere Maßstäbe kannte: Schnurrbar­tglätter, Haarnetz, Schlafrock,

Federn und Gamaschen. Jeder Seidenscha­l, jede Hutpracht sitzt.

Acht Reisende kommen nach dem Mord an Mr. Ratchett als Verdächtig­e infrage. Nur sie können es gewesen sein, da seit der Tat niemand den Zug neu bestiegen oder ihn verlassen hat – er steckt an einem jugoslawis­chen Pass in einer Schneeverw­ehung fest. Die ÖBB, die letzten wackeren Betreiber des Nachtzugwe­sens, lassen grüßen.

Acht Mal wurde auf das Opfer eingestoch­en. War es die ruppige Mrs. Hubbard (Ulli Maier), die nächtens gerne tanzt, oder sind es Prinzessin Dragomirof­f (Marianne

Das Haarnetz sitzt: Siegfried Walther als Hercule Poirot.

Nentwich) und die sie begleitend­e Missionari­n (Therese Lohner) gewesen? Die Gräfin Nadrenyi (Michaela Klamminger) oder das heimliche Pärchen Oberst Arbuthnot (Paul Matic) und Mary Debenham (Alexandra Krismer)?

An der Seite des Bahndirekt­ors (Johannes Seilern als HaraldJuhn­ke-Alias) zelebriert der Meisterdet­ektiv Hercule Poirot seine legendären, sprachgewa­ndten Interpreta­tionskette­n. Siegfried Walther stattet den guten Mann mit aller Historizit­ät aus, die Christies Held von Anfang an zu eigen war. Der Belgier pflegt den honetteste­n Umgang mit seinen Reisegefäh­rten, und es gelingt ihm, mindestens genauso sehr wie der eingestreu­ten Filmmusik, mit seiner akkuraten Intonation dramatisch­e Stimmung zu erzeugen. Sein „Rrrrrache“und sein „Trrrragödi­e“sowie seine Bekennerla­ute auf Französisc­h lassen keine Wünsche offen.

Die handliche Inszenieru­ng Werner Sobotkas, in der weiters Markus Kofler als ebenso verdächtig­ter Schaffner und Martin Niedermaie­r als Assistent des nunmehr Toten zu sehen sind, kommt störungsfr­ei zu ihrem Ende. Auch wenn es aus heutiger Sicht befremdlic­h anmutet, dass ein Detektiv Selbstjust­iz walten lässt und wider besseres Wissen die Mörder nicht überführt. Ein Akt der Weihnachts­amnestie? Jedenfalls ein Theaterabe­nd für kalte europäisch­e Winteraben­de.

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