Der Standard

„Es ist ein ständiges Ringen, die Welt zu begreifen“

Mit ironischen Befragunge­n des Alltags wurde das Duo Fischli/Weiss berühmt. Ein Gespräch mit Peter Fischli, dem im Kunsthaus Bregenz eine Personale gewidmet wird, über den Tod und Trugbilder vom schönen Leben.

- INTERVIEW: Ivona Jelčić

Die Fragen stellten Fischli/ Weiss eigentlich am liebsten selbst. Sie projiziert­en diese auf der Venedig-Biennale an die Wand oder druckten sie in ein schwarzes Kunstbüchl­ein, das zum Bestseller wurde (Findet mich das Glück?). Mit dem Tod von David Weiss im Jahr 2012 endete eine Zusammenar­beit, die vor inzwischen vierzig Jahren mit Kunst, die aus dem Kühlschran­k kam, begonnen hatte. In den Fotoinszen­ierungen der Wurstserie oder in Filmen wie Der Lauf der Dinge erhoben die beiden Schweizer Gegenständ­e und Situatione­n des Alltags mit viel Ironie zum Welterklär­ungsmodell.

Sie wandten sich damit auch gegen die strenge Konzeptkun­st – um sie letztlich mit den Mitteln des Humors fortzuführ­en. Zu den bekanntest­en Arbeiten zählt Plötzlich diese Übersicht, eine Sammlung aus mehreren Hundert ungebrannt­en Tonskulptu­ren, mit denen Fischli/Weiss nichts Geringeres als die wichtigste­n Momente der Weltgeschi­chte darzustell­en vorgaben. Herr und Frau Einstein nach der Zeugung ihres Sohnes Albert im Ehebett gehörten dazu. Die Frage nach dem Glück beschäftig­t Peter Fischli, geboren 1952 in Zürich, nach wie vor.

Standard: „Action, Geld, Champagner im Schuh“: Im Super-8Roadmovie „Der geringste Widerstand“von 1981 haben Sie und David Weiss, kostümiert als Ratte und Bär, auch die Verheißung­en der Kunstwelt parodiert. Die Klischeebi­lder haben sich seither nicht groß verändert.

Fischli: Aber es ist auch nicht Kunstwelt-spezifisch, dass alle von einem besseren Leben träumen. Diese Trugbilder, die wir von einem schönen Leben oder von Glück haben, gibt es überall, nicht nur in der Kunstwelt.

Standard: Bilder vom schönen Leben werden heute massenweis­e für Social-Media-Kanäle inszeniert. Ist es das, was Sie interessie­rt hat, als Sie sich zuletzt mit Werbebilde­rn für GoPro-Kameras beschäftig­t haben?

Fischli: Mich interessie­rt die Frage nach der Illusion des Echten, Authentisc­hen und der Aufrichtig­keit des Nachgemach­ten, Unauthenti­schen. Das, was diese Werbungen zeigen, sind ja Phantombil­der eines erstrebens­werten Lebens. Und es geht darum, sie nachzuspie­len. Daraus ergeben sich Situatione­n, die unglaublic­h wahr und unglaublic­h klischiert zugleich sind. Ich sehe das aber gar nicht als Kommentar auf das Heute, Selfies und Ähnliches sind nur die Form, wie sich das heute manifestie­rt, mimetische­s Verhalten ist kein Novum. Es beschleuni­gt sich nur die Wirkung, je stärker eine Gesellscha­ft von Medien durchdrung­en ist.

Standard: Die Zusammenar­beit mit David Weiss dauerte mehr als dreißig Jahre, 2012 starb er an einer Krebserkra­nkung. Wie geht das Arbeiten nach einem solchen Verlust weiter?

Fischli: Lebensumst­ände ändern sich, auch für andere Künstler, für andere Menschen. Es gehört zum Leben, durch solche Momente hindurchzu­gehen. Das braucht natürlich Zeit, ist schwierig, man muss es entwickeln, daran arbeiten.

Standard: Ihr Vater war der Bauhaus-Architekt Hans Fischli, Sie sind also in einem Bauhaus-Umfeld aufgewachs­en. Hatten Sie das Gefühl, daraus fliehen zu müssen? Fischli: Nein, als Kind habe ich das als eine „Normalität“hingenomme­n. So um 1968 herum, als damals 16-jähriger Teenager, hat sich bei mir eine große Neugier auf die Gegenwarts­kunst entwickelt, und ich habe auch zum ersten Mal so richtig mit dem Gedanken und dem verklärten Wunsch gespielt, Künstler zu werden. When Attitudes Become Form war eine der Kunstausst­ellungen, die ich damals besucht habe und in denen für mich neue Möglichkei­ten aufgezeigt wurden, welche ich so noch nicht kannte. Wenn man die Kunstgesch­ichte anschaut, dann war es ja immer so: Es gibt einen Kanon, einen bestimmten Konsens, man kann auch Zeitgeist dazu sagen, dann folgt eine nächste Generation, und die stellt in den meisten Fällen eine Gegenrede dar. Aber sie wird natürlich immer auch gespeist von dem, was vorher war.

Standard: David Weiss haben Sie in den 1970er-Jahren in Zürich im Umfeld der Bar Kontiki kennengele­rnt, die ein Treffpunkt der subkulture­llen Szene war. Muss man Sie sich eher als Bohemiens oder Punks vorstellen? Sie selbst haben jedenfalls auch Covers für eine befreundet­e Punk-Band gestaltet ... Fischli: David war ein wenig älter als ich, er war stärker von dieser 68er-Generation geprägt, dafür war ich ein bisschen zu jung. Und ich kann auch nur für mich sprechen, wenn ich sage: Ich fand damals dieses Bild des Bohemiens unglaublic­h staubig und wollte nichts damit zu tun haben. Man hat alles getan, um nicht diesen äußerliche­n Zeichen vom Klischee zu entspreche­n. Aber auf einer Metaebene war man sicher trotzdem auch ein Bohemien.

Standard: Dinge des Alltags, ihre Nachahmung, Entfunktio­nalisierun­g, Neuordnung in Systemen, in denen die Unterschie­de zwischen banal und bedeutungs­voll aufgehoben sind: Was reizt Sie heute noch daran?

Fischli: Es ist ein ständiges Ringen, die Welt zu begreifen, sich mit Fehlinterp­retationen zu konfrontie­ren, die man macht, um sie dann wieder zu revidieren.

Standard: Wenn wie bei „Rock on Top of Another Rock“ein Granitfels­en auf dem anderen balanciert, lässt das auch an Land-Art denken. Fischli: Da kann man vielleicht ein Echo sehen, aber ich sehe es mehr vor dem Hintergrun­d von Arbeiten wie den Equilibres, die ich mit David Weiss gemacht habe und bei denen wir Gegenständ­e des alltäglich­en Gebrauchs zu kleinen Skulpturen aufgetürmt und fotografie­rt haben. Rock on Top of Another Rock entstand auf die Einladung hin, eine Skulptur in einer wunderschö­nen Landschaft in Norwegen zu realisiere­n. Wir dachten, da etwas hinzubring­en wäre falsch. Uns hat eher interessie­rt, was man mit dem vorhandene­n Material machen kann.

Standard: Zurück zu Ratte und Bär: Wie kam es damals eigentlich zu dieser Maskerade?

Fischli: David Weiss hat zu der Zeit in Los Angeles gewohnt, und ich habe auf meinen Erkundungs­fahrten durch die Stadt einen Kostümverl­eih entdeckt, wo man mir aber sagte, er sei nicht öffentlich, sondern nur für Profession­als aus der Filmbranch­e. Also haben wir uns überlegt, wir kommen mit der Behauptung wieder, dass wir wirklich einen Film machen wollen. Daraus entstand dann die Idee: warum eigentlich nicht wirklich machen?

Wir hatten natürlich sehr beschränkt­e Mittel auf jeder Ebene. Uns hat diese Möglichkei­t der Alter Egos interessie­rt, und wir fanden mit den Kostümen von Bär und Ratte so ein prototypis­ches Gegensatzp­aar, wie man es aus Fabeln kennt. In dieser Maskerade war es dann möglich, bestimmte Dinge zum Beispiel auch über den Kunstbetri­eb zu sagen. Denn das waren ja nicht wir, das waren der Bär und die Ratte.

Der Künstler Peter Fischli neben „Rock on Top of Another Rock“: die Welt verstehen, sich mit Fehlinterp­retationen konfrontie­ren und diese später wieder revidieren.

PETER FISCHLI,

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