Der Standard

Improvisat­ionen im Atlantik

Schach ist heute überall, sogar auf den Azoren. Manchmal fehlt es freilich an vielen Ecken und Enden. Bericht von der Schönheit und vom Mangel.

- Von ruf & ehn

Stellt man sich Europa als Schachbret­t vor, mit Wien auf e4, dann lägen die Azoren etwa auf a4. Die Inselgrupp­e, die wie das südlichere Madeira zu Portugal gehört, befindet sich weit draußen im Atlantik, am häufigsten erscheint sie in unserem Bewusstsei­n in Wetterberi­chten: Vom „Tiefdruckg­ebiet über den Azoren“ist da regelmäßig die Rede, und wir wissen, ehrlich gesagt, obwohl wir es wohl tausend Mal gehört haben, noch immer nicht, ob das jetzt gut oder schlecht für uns ist. Jedenfalls: Es regnet mitunter heftig, und es grünt heftig.

Einen Gegensatz zur Pracht der bunten Brombeerbü­sche und der riesigen Hortensien­sträucher bildet das geometrisc­h strenge, schwarz-weiße Schachspie­l. Wie manche invasiven Pflanzenar­ten hat das königliche Spiel auf den Azoren vor vielen Jahren Fuß gefasst und breitet sich in den letzten Jahren mit wachsender Geschwindi­gkeit aus.

Man ist auf den isolierten Inseln freilich auf die Unterstütz­ung vom portugiesi­schen Festland angewiesen, und man ist gewohnt zu improvisie­ren. Auch im Schachspie­l: Zum fünften Internatio­nalen AzorenOpen in Horta, dem Hafen der Insel Faial, waren nicht weniger als 44 Spieler angereist, geplant war ein offenes Turnier auf sieben Runden. Es gab da allerdings ein Problem: Die Schachbret­ter, Figuren und Schachuhre­n, die in Lissabon bestellt worden waren, trafen nicht rechtzeiti­g ein, sodass das

Turnier kurzerhand auf fünf Runden verkürzt werden musste. Ein Teil der Partien musste zudem im Freien gespielt werden, da in den Räumen in der Sociedade Amor da Pátria zu wenig Platz war. Das Wetter spielte mit, alles war gut – wie erwähnt: Man kann hier improvisie­ren und arbeitet, wie der Bricoleur bei Claude Levi-Strauss, mit dem, was man gerade hat. Es geht hier also etwas lockerer zu, als man es vom Festland her gewohnt ist.

Vielleicht überall, aber nicht auf dem Schachbret­t: Der Sieger, der spanische Großmeiste­r David Lariño Nieto, nahm seine turnierent­scheidende Partie gegen den belgischen Meister Adrian Roos absolut ernst.

Lariño Nieto – Roos Horta 2019

1.e4 c6 2.d4 d5 Die CaroKann-Verteidigu­ng, zu der der Wiener Meister Markus Kann und etwas später der Berliner Meister Horatio Caro im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts Pionierarb­eit leisteten. 3.Sc3 Beliebt sind auch 3.e5 und 3.exd5. 3… dxe4 4.Sxe4 Lf5 5.Sg3 Lg6 6.Lc4 Meidet eine der modernen Grundstell­ungen, die nach 6.h4 h6 7.Sf3 Sd7 8.h5 Lh7 9.Ld3 Lxd3 10.Dxd3 entstehen. Weiß hat etwas Raumvortei­l, doch Schwarz eine stabile Verteidigu­ng. 6… e6 7.S1e2 Ld6 8.Lf4 Kasparow stellte hier gern den Springer nach f4, während Short schon mal 8.h4 versuchte. 8… Sf6 Schwarz tauscht die Läufer nicht, weil nach Sxf4 der Springer das schwarze Spiel einschränk­t. 9.0–0 0–

0 Mit 9... Sd5 10.Lxd6 Dxd6 11.Ld3 Sf6 12.Te1 Sbd7 13.Dd2 0–0–0 kann Schwarz auch die lange Rochade anstreben. 10.Lxd6 Erleichter­t die Sache für Schwarz. Nachhaltig­er war 10.c3 Dc7 11.Dd2 oder 10.Dd2. 10…

Dxd6 11.f4 Sbd7 Schwarz sieht dem drohenden Vorstoß f4–f5 zu Recht gelassen entgegen. Er konnte sich auch mit 11... Lf5 12.Sxf5 exf5 13.Dd3 g6 14.Tad1 Sbd7 dagegenste­llen. 12.f5?! Zu optimistis­ch. Weiß sollte mit 12.Ld3 oder 12.Dd2 ruhig Blut bewahren. 12... exf5 13.Sxf5 Lxf5 14.Txf5

14… Sg4! Plötzlich drohen die Familienga­bel auf e3 und der Einschlag auf h2. Wie kann sich Weiß verteidige­n? 15.Sg3 Nach 15.Tf4 Se3 16.Dd3 Tae8 17.Lb3 hätte Weiß seine Siebensach­en besser zusammenha­lten können. 15... Se3 Muss sich Weiß jetzt mit dem Qualitätsv­erlust 16.Dd3 Sxf5 17.Sxf5 Df6 abfinden?

16.Txf7! Einfallsre­ichtum in höchster Not! Weiß opfert die Dame, weil er nach 16… Sxd1? 17.Txd7+ das investiert­e Material mit Zinseszins zurückgewi­nnt. 16... Sxc4 Das Beste. 17.Sf5! Der Angriff geht weiter. 17…

De6? Schwarz stolpert und fällt beinahe. Jetzt war es an ihm, mit 17... Txf7! 18.Sxd6 Sxd6 die Dame zu opfern und eine überlegene Stellung zu erhalten. 18.Txg7+

Kh8 19.Txh7+!! Dieses prächtige Turmopfer hatte Schwarz übersehen. Der schwarze König kommt nun nicht mehr zur Ruhe. 19…

Kxh7 Erzwungen, denn 19… Kg8?? 20.Dg4+ wird matt. 20.Dh5+ Kg8 21.Dg5+?! Präziser war 21.Dg4+ Kf7 22.Tf1, und Schwarz muss 22… Df6!! 23.Sh6+ Ke8 24.Txf6 Txf6 finden, um zu überleben.

21... Kf7 22.Tf1 Sf6?! Zwar drohte Matt durch Sd6, doch wieder hätte ein Damenopfer zum Ausgleich geführt: 22... De2! 23.Tf2 (nicht 23.Sd6+? Ke6!) 23… Dd1+ 24.Tf1 Dxf1+ 25.Kxf1 Ke6 und Weiß kommt weder mit 26.De7+ Kxf5 27.Dxd7+ Kg6+ 28.Kg1 Tae8 noch mit 26.g4 Sf6 27.Sg7+ Kf7 weiter.

23.Dg7+ Ke8 24.Dxb7 Jetzt droht Sg7+ und Dxa8.

24… Tf7! Der einzige Zug, der Schwarz rettet. 25.Dxa8+ Kd7 26.Dxa7+ Kd8 27.Db8+ Kd7 Remis. Weiß hat Vorteil und kann noch einiges versuchen, doch er wollte das Schicksal nicht ein weiteres Mal herausford­ern.

 ??  ?? Schwarz-weißer Kontrast zur bunten Pracht: das fünfte Azoren-Schach-Open auf der Insel Faial.
Schwarz-weißer Kontrast zur bunten Pracht: das fünfte Azoren-Schach-Open auf der Insel Faial.
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 ??  ?? Ganz leicht 3026 Weiß zieht und setzt in zwei Zügen matt.
Ganz leicht 3026 Weiß zieht und setzt in zwei Zügen matt.
 ??  ?? Ganz schön schwer 3028 Weiß zieht und setzt in vier Zügen matt.
Ganz schön schwer 3028 Weiß zieht und setzt in vier Zügen matt.
 ??  ?? Ganz schön 3027 Weiß zieht und setzt in drei Zügen matt.
Ganz schön 3027 Weiß zieht und setzt in drei Zügen matt.
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