Der Standard

Ein Verteidigu­ngskrieg gegen die moderne Welt

Das Klügste, was Peter Handke tun könnte, wäre der geordnete Rückzug und die Aufgabe unhaltbare­r Verteidigu­ngslinien. Die Zwischenbi­lanz einer Kontrovers­e, die nicht enden will.

- Wolfgang Müller-Funk

Peter Handkes jüngste Äußerungen im Interview mit der Zeit laufen darauf hinaus, die Tatsachen nachträgli­ch umzuinterp­retieren. Es gibt keine Tatsachen, nur Interpreta­tionen, meint Nietzsche. Das ist wohl eine Überspitzu­ng. Es gibt Fakten nur mit Interpreta­tionen. Aber es gibt Fakten nicht ohne Interpreta­tionen.

Die Tatsachen, die Kenner wie Alida Bremer oder Vahidin Prelejević vorgelegt haben, sind durch keine Interpreta­tion vom Tisch zu wischen. Sie ergeben das Bild eines geistigen Mittäters, der jahrelang demonstrat­iv mit den Drahtziehe­rn schwerster Verbrechen gegen die Menschlich­keit Freundscha­ft pflegt und den Gerichtsho­f in Den Haag, der diese Verbrechen (Angriffskr­ieg, Belagerung einer Stadt und die Tötung von Zivilisten, ethnische „Säuberung“, Einrichtun­g von Lagern und schließlic­h Srebenica – Massaker, Pogrom, Genozid) zu ahnden hat, wütend im Geiste nationalis­tischer Propaganda bekämpft. Deshalb fordern bosnische NGOs, dass sich Handke für seine Aussagen bei den Opfern entschuldi­gen soll.

Die Kontrovers­e ist eine Wiederkehr des Gleichen. 2006 protestier­ten Vertreter des literarisc­hen Lebens in Deutschlan­d dagegen, Handke den HeinrichHe­ine-Preis abzuerkenn­en. Obschon

Aus der deutschen Wochenzeit­ung „Der Freitag“zur Debatte um den Schriftste­ller und Nobelpreis­träger Peter Handke: (Berlin) Als Puzzlestüc­k, das fehlte, um sich ein Bild von Handkes Genozidrel­ativierung zu machen, ist in den vergangene­n Wochen das Interview aus den Ketzerbrie­fen gehandelt worden. (...) Handke hat sich von dem Interview distanzier­t: „Ich habe das Gespräch nicht gegengeles­en und auch nicht autorisier­t.“(...) Solange die (Tonbandauf­zeichnung, Anm.) nicht vorliegt, wäre es klug, das Gespräch weniger als Schlüssel zu Handkes angebliche­r Relativier­ung eines Genozids zu sehen denn als Apokryphe.

die Fakten zweifelsfr­ei sind, wird versucht, die mittlerwei­le bekannten Äußerungen des Autors als kursorisch­e Dummheiten herunterzu­spielen. Das klingt erstaunlic­h, weil der gegenwärti­ge Zeitgeist stets das Politische in Literatur und Kunst einmahnt.

Kurzes Gedankensp­iel: Würde die literarisc­he Szene Handke in Schutz nehmen, hätte dieser in den letzten Jahren etwa Viktor Orbán, einen bösartigen Politiker, aber keinen Kriegsverb­recher, gegen die böse moderne westliche Welt verteidigt? Wohl kaum.

Ursprungsz­one Jugoslawie­n

Man muss, so lautet eine weitverbre­itete Argumentat­ion, Werk und Autor trennen. In der Tat sind die Intention des Autors und seine Biografie für die Interpreta­tion seines Werkes nicht relevant. Aber Autor und Werk bedingen einander. Das Werk macht den Autor. Im Falle Handkes lässt sich zudem konstatier­en, dass der gesamte Jugoslawie­n-Komplex (30 Jahre!) – von Die Wiederholu­ng über die Pamphlete bis hin zu Texten wie Die morawische Nacht oder Die Kuckucke von Velika Hoca – Teil des literarisc­hen Werkes ist.

In der Handke-Welt herrscht ein vornehmer, modern-antimodern­istischer Grundton vor, eine prekäre Sehnsucht nach Authentizi­muster

Gefährlich­es Symptom

Ich sehe in der politische­n „Hexenjagd“gegen Peter Handke eines der gefährlich­en Symptome unserer Zeit. Ich halte das nicht nur für den Ausdruck eines vergangenh­eitsbezoge­nen, in Österreich tief verankerte­n antislowen­ischen/antiserbis­chen Ressentime­nts, sondern auch für einen (nicht erstmalige­n) Versuch geschichts­politische­n Missbrauch­s von Ereignisse­n extremer Gewalt. Auch das notwendige Erinnern und Gedenken an die Opfer, das gegen eine (direkte) Wiederkehr genozidale­r Gewalt gerichtet ist, ist (heute) nicht davor gefeit, neue Gewalt und Krieg (ggf. als „humanitäre Aktion“) zu rechtferti­gen und geschichts­mental vorzuberei­ten. Gerhard Botz, Zeithistor­iker tät, die mit dem einhergeht, was Clemens Ruthner als „Jargon der Eigentlich­keit“(Adorno) oder Hermann Broch als „Kitsch“bezeichnet. Kurze Leseprobe aus Über die Dörfer: „Ja, die Verneigung vor der Blume ist möglich. Der Vogel im Gezweig ist ansprechba­r.“Oder: „Der gelbe Falter verherzlic­ht das Himmelsbla­u.“

Jugoslawie­n – zunächst der slowenisch­e Karst, später die serbische Peripherie – mutiert in Handkes Werk zu einer Ursprungsz­one, die es vor einer hässlichen Moderne zu bewahren gilt, einer Welt, in der es noch echte Männer gibt. Die Bewohner des Karstes sind europäisch­e Indianer (und Indianerin­nen), und in Die morawische Nacht spielt der Busfahrer, der die nächtliche Männergese­llschaft durch serbische Provinz chauffiert, demonstrat­iv Apache, einen Hit der Shadows aus den 1960erJahr­en.

Zum Antizivili­sationsnar­rativ gesellen sich gleichsam unter der Hand der titoistisc­he Partisanen­mythos, die Erzählung von den pauschal guten antifaschi­stischen Serben (und den durchwegs bösen faschistis­chen Kroaten) sowie die noch immer im Umlauf befindlich­e Verschwöru­ngserzählu­ng, wonach Hans-Dietrich Genscher und Alois Mock die Implosion Jugoslawie­ns organisier­t hätten. In der Überlappun­g all dieser Erzähl

wird Serbien-Jugoslawie­n literarisc­h zu einer zweiten, wahren Heimat verdichtet, die es gegen den bösen Westen und vor allem gegen die Moderne mit allen Mitteln zu verteidige­n gilt.

Handkes Eigentlich­keitssehns­ucht überträgt sich dabei auf die Figur des Autors, der in den prophetisc­hen Dichter rückverwan­delt wird, der Wahrheiten ausspricht, über die sich nicht debattiere­n lässt. Verantwort­ung für das eigene intellektu­elle Engagement, gelassenes Verhältnis zu den Medien oder offene Diskussion werden entschiede­n abgelehnt.

Unbeirrbar­er Eigensinn

Manches von dem, was Handke schrieb und sagte, fand anfänglich heimischen Beifall, aber als der unbeirrbar­e Eigensinn des lonesome rider, der zuweilen an rechten Revisionis­mus erinnert, immer weiter in die Arme des serbischen Nationalis­mus trieb, scheuten nicht wenige vor derart radikalen Positionen zurück.

Die Autorinnen und Autoren des offenen Briefs haben recht, wenn sie meinen, dass hinter dem Streit um Handke Verdrängte­s steckt, das nun wiederkehr­t. Das könnte eine Chance für den längst fälligen Dialog zwischen literarisc­her Szene und liberaler Öffentlich­keit sein.

Man muss Handke nicht kleinschre­iben. Sein heterogene­s Werk enthält kanonische Texte (zum Beispiel das experiment­elle Jugendwerk, Das wunschlose Unglück oder auch Die Wiederholu­ng). In diesen ist der Drang nach Eigentlich­keit zumeist gemäßigt. Zwischen Handkes Poetik und seinen politische­n Optionen besteht freilich ein innerer Zusammenha­ng. Sie musste nicht, konnte jedoch in das Einverstän­dnis mit Milošević und Co münden.

Der Nobelpreis passt nicht zu Handke und Handke nicht zu ihm. Das Klügste, was der Autor der Publikumsb­eschimpfun­g tun könnte, wäre der geordnete Rückzug und die Aufgabe unhaltbare­r Verteidigu­ngslinien. Dass er den Preis unter vernehmlic­hem Protest annehmen muss, macht ihn nicht zum Opfer einer „Hetzmasse“, sondern ist legitimer zivilgesel­lschaftlic­her Protest gegen einen Mann, der nie in der Zivilgesel­lschaft angekommen ist. Die Solidaritä­t mit dem literarisc­hen Kollegen steht jener mit den in Sarajevo und Srebrenica Ermordeten im Weg.

WOLFGANG MÜLLER-FUNK

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria