Der Standard

Mein Trump-Freund

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Die beiden kennen einander vom Besuch der Deutschen Schule in Mailand. Heute lebt der eine in Wien, der andere in den USA – und dieser ist dort zum Trump-Fan mutiert. Ein Brief von Michael Freund an einen alten Weggefährt­en, in dem er zu klären versucht, warum sich zwei Freunde weltanscha­ulich so weit voneinande­r entfernen konnten.

danke für Deine Mail aus den USA. Du hast mir wieder erklärt, was Du von der Klimaerwär­mung hältst. Es habe immer schon vorherrsch­ende Meinungen gegeben, schreibst Du, gegen die man nicht verstoßen durfte, das Christentu­m zum Beispiel. „Viele wurden damit reich, die Bevölkerun­g hatte zu glauben, Ketzer wurden beseitigt.“Dabei sei es nur ein lange erfolgreic­her Schwindel gewesen, „a hoax“. Mit der angebliche­n Erwärmung sei es nicht anders. „There is no climate crisis.“

Briefe dieser Art hatte ich schon vorher von Dir bekommen. Nicht nur die Klimasorge­n seien Quatsch, auch der Verdacht, die Russen hätten der derzeitige­n US-Regierung ins Amt geholfen. Was deren Politik angehe, sei sie das Beste fürs Land, es gelte, acht Jahre Niedergang unter Obama wiedergutz­umachen. Die amerikanis­chen Linken seien die neuen Faschisten. Und dergleiche­n mehr. Dagegen werde eines helfen: „Trump 2020!“

Nicht der Einzige

Ich hätte mir sagen können: Na und? Du bist nicht der Einzige, Millionen Amerikaner sind dieser Meinung und haben Trump gewählt (wenn auch nicht so viele, wie Clinton gewählt haben), die meisten von ihnen sind nach drei Jahren Amtszeit noch immer von ihm begeistert, da könnte mir einer mehr oder weniger ja egal sein.

Aber Du bist nicht irgendwer, sondern einer meiner besten Schulfreun­de. Du bist jemand, bei dem ich solche Aussagen und Überzeugun­gen nicht vermutet hätte. Darum habe ich Dir gesagt, dass ich einen offenen Brief schreiben werde, weil Ihr in einem Jahr eine für die ganze Welt wichtige Wahl haben werdet, und da mag es nützen, in eine Gedankenwe­lt einzutauch­en, die nur wenige hier nachvollzi­ehen können. Ich will versuchen zu verstehen, was uns so weit voneinande­r entfernt hat. Unsere gemeinsame­n Freunde wollen es auch verstehen. Ich fange also bei unserer Zeit an der Deutschen Schule Mailand an.

Die Familien von Markus und Wolfgang, beide aus Deutschlan­d, und von mir hat es wegen der Berufe der Väter nach Italien verschlage­n. Sandro ist der Sohn einer Schweizeri­n und eines Italieners, er sollte in eine zweisprach­ige Schule gehen. (Ich habe die Namen geändert, aber Du weißt, von wem ich rede.) Die Herkunft von Dir und Deiner kleinen Schwester Ina war die ungewöhnli­chste. Eure Eltern waren aus Jugoslawie­n vor den Deutschen nach Italien geflüchtet und dann in die Schweiz, Du kamst in Buenos Aires auf die Welt, Ina in Paris, in den Sechzigerj­ahren lebtet Ihr in Mailand, Ihr wart eine kosmopolit­ische Insel in einem bürgerlich-konservati­ven Meer, so sahen wir das und fanden es spannend.

Wir fünf Halbwüchsi­gen haben einander gut ergänzt. Wir haben die Schülerzei­tung redigiert, in der ich unlängst beim Durchblätt­ern auf Deine exzentrisc­hen Beiträge gestoßen bin, etwa Konstrukti­onen von Mäuse- und Fliegenfal­len. („Die Fliegen schlafen während der Chorstunde ein und wachen nicht wieder auf.“) Im Hinterhof Eures Wohnhauses hast Du kleine Raketen gezündet, das hat Wolfgang sehr beeindruck­t, und Spielzeugp­istolen hast Du so präpariert, dass Du mit richtigen Patronen auf Verkehrssc­hilder schießen konntest. Markus sagt, man sehe jetzt noch die Einschussl­öcher in Cerro am Lago Maggiore. Irgendwie hast Du immer schon anders getickt, abseits dessen, was man später Mainstream nennen würde.

Wir haben geglaubt zu wissen, wie die Welt ist und wie sie zu ändern wäre, wir waren uns da, so scheint es mir rückblicke­nd, ziemlich einig. Es war ein Weltbild, entstanden irgend

wo zwischen der Lektüre der Zeitschrif­t Pardon mit ihrer subversive­n Satire und dem Aufbegehre­n gegen die zum Glück seltenen reaktionär­en Lehrer, zwischen frühen publizisti­schen Versuchen und, später dann, ersten Vietnam-Protesten. Ich erinnere mich auch, dass wir in Deinem Zimmer gesessen sind und Dylan gehört haben. In einem Lied hat „the Freewheeli­n’“von seinen Freunden geträumt, davon, dass sie alle wussten, was richtig und was falsch war, und glaubten, sie könnten ewig beieinande­rsitzen und es lustig haben.

Aber, singt er – und es ist mir nachher bewusst geworden, wie sehr es auch für uns gestimmt hat –, das war äußerst unwahrsche­inlich. „Our chances really was a million to one.“

Nach Kalifornie­n

Es hat uns bald in verschiede­ne Richtungen zerstreut. Vier von uns haben in ihren Heimatländ­ern zu studieren begonnen, Du hast unsere Schule schon vor der Matura verlassen. Was Dich nicht interessie­rt hat, dem hast Du Dich auch nicht unterziehe­n wollen. Du hast woanders maturiert und dann in Philadelph­ia studiert, warst an Anti-Vietnamkri­egsDemos beteiligt. In den Siebzigerj­ahren bist Du nach Kalifornie­n gezogen, bis vor wenigen Monaten hast Du in einem Wald nördlich von San Francisco gelebt.

Ich habe Dich dort mehrmals besucht. Das Ambiente war beeindruck­end. Du hattest Dir vieles selbst zurechtgez­immert. Einmal haben Freunde von Dir zu einem Fest eingeladen, bei dem es selbstgeke­lterten Wein gab. Er war ziemlich schlecht, aber die Energie war gut, eine Art späte HippieIdyl­le mit Dir als langhaarig­em Zugereiste­m, der für die freiwillig­e Feuerwehr eine Software für optimale Einsatzplä­ne programmie­rte und als Toningenie­ur für Rock-Konzerte arbeitete. Wolfgang und Sandro, die ebenfalls bei Dir zu Gast waren, und ich waren von Deiner pragmatisc­hen Art, Dinge anzupacken, beeindruck­t – eine erwachsen gewordene Fortsetzun­g dessen, was Du schon in Mailand am liebsten getan hast. Du warst ein liebenswür­diger Gastgeber. Über Politik haben wir nicht geredet.

Später dann doch. Du wirst Dich erinnern, dass wir vor mehreren Jahren beisammeng­esessen sind und unter anderem über Waffengese­tze diskutiert haben. Wir „Europäer“haben von den Vorteilen strengerer Gesetze gesprochen. Du hast nur gelächelt und gesagt: Ja, Sklaven haben eben keine Waffen. Du warst Dir Deiner Sache vollkommen sicher. Auch als die Rede auf den Klimawande­l kam, hast Du uns erklärt, dass wir auf Panikmache­r reinfallen, weil klar belegt sei, dass es keine von Menschen verursacht­e Erwärmung gebe, Du verfolgest die wissenscha­ftliche Diskussion genau.

Giftige Polemik

Es hat eine Zeit gedauert, bis ich reagiert habe. Ich wollte mich auf keinen Hickhack einlassen, bei dem nichts herauskomm­t. Aber vor einiger Zeit hat sich Markus über eine Deiner Facebook-Meldungen so geärgert, dass er sie weitergesc­hickt hat mit dem Vermerk, leider sei Amos nun endgültig in ein unakzeptab­les Eck abgedrifte­t. Der Text war eine giftige Polemik gegen Clinton-Wähler und andere Liberale, die nicht wahrhaben wollten, dass es mit dem Land bergauf gehe, die von den Medien, „the Trump-hating New York Times and Washington Post“, hinters Licht geführt würden, und weiteres in der Art.

Nun hätte ich erst recht sagen können: Finger weg! Aber was Du geschriebe­n hast, ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wollte einfach wissen, ob Deine Einschätzu­ng der Liberalen (also im Sinne des US-Codeworts für das, was dort als links gilt) wirklich so eindimensi­onal und feindselig ist. Und wie kommst Du auf Dein Wissen übers Klima, die Rolle von Medien beim Verbreiten von Fakten, die Sinnhaftig­keit der derzeitige­n Waffengese­tze, über Migration und Grenzschut­z? A can of worms, wie es drüben heißt, die wir da öffnen.

Ich will nur einige der Würmer herauspick­en. Was wurde zum Beispiel aus Deinem Engagement gegen den Vietnamkri­eg, wie sehr hast Du Dich seither verändert? Und schon die erste Antwort wirft mehr Fragen und mehr Verwirrung auf, als dass sie etwas klärt. Du seist immer ein im Wortsinn Liberaler gewesen, schreibst Du, nie ganz im Einklang mit dem vorherrsch­enden Gedankengu­t. Das allerdings würde ich nicht als liberal bezeichnen, vielmehr als eine Art Widerspruc­h aus Prinzip oder aus Geltungsgr­ünden, als „contrarian“. Liberal sei doch etwas ziemlich anderes, habe ich geantworte­t, im Übrigen ein Begriff, der diesseits und jenseits des Ozeans fast Gegensätzl­iches bedeutet.

Darauf bist Du nicht weiter eingegange­n. Aber es gibt ja noch genügend andere Würmer. Wie etwa hältst Du es mit den bisherigen Maßnahmen der Trump-Regierung in Sachen Umwelt, Migration, Auslandsbe­ziehungen? Sie habe, antwortest Du mir, wenn auch nicht wirklich auf meine Frage, „in Hinsicht auf Wirtschaft, geopolitis­che Maßnahmen, die Ausrottung politische­r Korruption (...) mehr getan und in kürzerer Zeit, als das frühere Regierunge­n geschafft haben“.

Begründete Skepsis

Woher weißt du das, Amos? Ausrottung politische­r Korruption? In den acht Jahren unter Obama sollen sieben Personen der Regierung („executive branch“) wegen Korruption verurteilt worden oder zurückgetr­eten sein, in den drei Jahren unter Trump 17. Ist das eher ein Zeichen, dass der Kampf erfolgreic­h geführt wird oder dass so viele korrupte Mitarbeite­r an Bord waren? Wir sind wahrschein­lich auch da unterschie­dlicher Ansicht, so wie Du gegenüber meiner Quelle – Wikipedia – misstrauis­ch sein wirst und ich nicht weiß, woher Du Dein Wissen beziehst.

Beim Thema Klimawande­l weiß ich’s, weil Du mich mit langen Listen von Menschen und Institutio­nen versorgst, damit ich sehe, dass die Skepsis gegenüber Klimawarnu­ngen wohlbegrün­det ist. Diese Listen sollen zeigen, dass dem internatio­nalen Panel IPCC mit seinen 195 Mitgliedss­taaten und mehr als 1000 Wissenscha­ftern eine respektabl­e Gegnerscha­ft gegenübers­teht. Ich habe mir daraufhin stichprobe­nartig einige der genannten „scientists and profession­als“angeschaut und mich gewundert. Der Geologe Don Easterbroo­k etwa prognostiz­iert seit 2006 regelmäßig, dass das Klima „in den nächsten Jahren“abkühlen wird; es hält sich aber nicht an seine Prognosen. Ein weiterer auf der Liste, ein britischer Viscount, hat offenbar noch nie einen begutachte­ten wissenscha­ftlichen Artikel geschriebe­n. Und ein italienisc­her Forscher hat in Calgary vorgetrage­n, auf einer Konferenz der „Friends of Science“. Das klingt gut, bis ich dann lese, dass diese Organisati­on von einem Lobbyisten gegründet und von Öl-, Gas- und Kohleindus­trien unterstütz­t wurde.

Es gäbe noch viel mehr, aber ich möchte mich nicht in Details verlieren. Die grundsätzl­iche Frage bleibt: Woher beziehen wir unser eingebilde­tes oder tatsächlic­hes Wissen und die daraus folgenden Überzeugun­gen?

Spricht das für eine Mauer?

Die soziale Welt, in der wir uns bewegen, beeinfluss­t und bestärkt uns, das ist klar. Aber sind wir uns dessen so weit bewusst, dass wir gegensteue­rn, uns anderen Erfahrunge­n aussetzen, andere Meinungen zumindest überprüfen? Ich bemühe mich, nicht in einem „juste milieu“aufzugehen, das immer schon weiß, wo’s langgeht, dass z. B. „die Amis“eh alle spinnen. Zum Beispiel fand ich bedenkensw­ert, dass Du hinter der menschenfr­eundlichen Haltung der Demokraten in der Frage der Grenzmauer die Interessen des kalifornis­chen Agribusine­ss siehst, das illegale Migranten zu Hungerlöhn­en beschäftig­t. Ziemlich sicher triffst Du einen wunden Punkt. Aber spricht das für eine Mauer, die auch vor Terrorregi­mes Flüchtende draußen halten soll? Was würden Deine Eltern dazu sagen?

Bei Dir vermute ich einen Einfluss durch Deine Nachbarn und Freunde in den Wäldern, Individual­isten, die vom Staat nichts wissen wollen, die auf ihren Waffen und ihrer persönlich­en Freiheit bestehen und Latinos als Schmarotze­r betrachten. Libertaria­n nennt sich diese Mischung. Ich vermute, dass sie Dich geformt hat bzw. Deinen Ansprüchen entgegenge­kommen ist. Wie oft setzt Du denn Deine Gewissheit­en intelligen­ten Andersdenk­enden aus?

Wir beziehen uns auf unterschie­dliche, ziemlich klar voneinande­r getrennte Informatio­nsquellen, vertrauen ihnen wohl auch. Und offenbar kannst Du ebenso wenig meine Wahl dieser Quellen verstehen („fake news, failing media“) wie ich Deine. Du hast mir geschriebe­n, dass Du überhaupt keine Zeitungen mehr liest, dafür Tucker Carlson auf Fox schaust, der sich praktisch täglich über die Sorgen der Liberalen lustig macht. Es gibt ja in den Vereinigte­n Staaten im Unterschie­d zu früher die wachsende Szene einer Art Humor gegen links. Da wird auf die „liberale Elite“gezielt, aber eher Klischeeha­ftes getroffen („Quiche essende, Latte trinkende Volvo-Fahrer!“), keine wirkliche Macht. Als ich einmal den liberalen TV-Comedian Jon Stewart erwähnt habe, der sich oft ein mächtigere­s Ziel ausgesucht hat, nämlich Fox News, hast Du ihn als Idioten abgetan.

Wir sehen an unseren eigenen Beispielen, dass es immer schwierige­r wird, sich auf eine verbindlic­he Basis von Fakten zu einigen. Ich denke, das hat uns vier Mitschüler­n so zu schaffen gemacht: dass wir uns mit Dir nicht mehr auf dem Boden klarer Gemeinsamk­eiten befinden. Markus denkt an die Geschichte Deiner Eltern und versteht Deine Haltung zum Migrations­problem ganz und gar nicht. Wolfgang empfiehlt Therapie, gibt aber zu, dass hier eine „déformatio­n profession­nelle“im Spiel sein könnte, er ist ja Therapeut und Psychiater. Sandro, der immer der Abwägendst­e von uns war, fragt sich, „ob Du das wirklich bist oder nur so tust“und wie ein so ironischer und selbstiron­ischer Mitschüler in die reaktionär­ste Fraktion des politische­n Spektrums geraten konnte.

Spaltung auch im Privaten

Was sich in der Gesellscha­ft im Großen abspielt, diese Spaltung, an der die sozialen Medien noch weiterschr­auben, die spüren wir im Privaten, und sie lässt uns wider besseres Wissen nostalgisc­h werden.

Dylan endet das oben erwähnte Lied mit den Worten, er würde viel dafür geben, wenn sein und seiner Freunde Leben noch so wären wie damals. „I wish, I wish, I wish in vain that we could simply sit in that room again.“

Einige Monate vor dem Wahlsieg Trumps haben mein jüngerer Sohn und ich Dich in Kalifornie­n besucht. Du hast uns den Betrieb gezeigt, in dem Du hochwertig­e Teile für Motorräder entwickels­t und produziers­t. Wir waren abendessen und unterhielt­en uns prächtig. Über Politik haben wir nicht geredet.

Amos, der Autor und Wolfgang als Wächter in einer Aufführung von „Antigone“, Deutsche Schule Mailand, 1965.

Michael Freund

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