Der Standard

Sophie Rois über den Salon des Lebens

Am 30. 11. und 1. 12. gastiert Sophie Rois mit Songs und Storys im Wiener Rabenhof. Im Interview erzählt sie, wie sie zu den Kinkskam, warum sie Ian McEwan mag – und wann sie in den Salon des Lebens gebeten wurde.

- INTERVIEW: Mia Eidlhu

Sogar wenn man Sophie Rois nicht leibhaftig trifft, ist sie ein Feuerwerk. Das wird einem sofort klar, wenn sie ihr Telefon abhebt. Was für ein Hallo, zumal die Redakteuri­n aus demselben Ort bei Linz kommt, in dem Rois als „Provinzblu­me“, wie sie sagt, aufgewachs­en ist. Dorthin kommt sie nur selten. Aber Ottensheim und ein paar Erinnerung­en an früher – das trifft sich alles gut. Denn das Programm, mit dem die österreich­ische Schauspiel­erin, die schon lange in Deutschlan­d lebt und dort vor allem seit 1993 an Frank Castorfs Volksbühne Furore gemacht hat, den Wiener Rabenhof beehren wird, ist nicht nur ein Trip nach Great Britain. Have a Cup of Tea mit Sophie

Rois ist vor allem ein Ausflug in ihre Jugend. „Ach, wie toll!“, sagt sie mit dieser unglaublic­h rauen Stimme, und man spürt, dass ihre geballte Energie bis ans andere Ende der Telefonlei­tung strömt. Großes Theater!

Standard: Frau Rois, trinken Sie Tee?

Rois: Tea in the morning, tea in the evening, tea at supper time. Selbstvers­tändlich, warum sonst sollte ich zum Tee einladen. Tea when it’s raining, tea when it’s snowing, tea when the weather is fine.

Standard: Ist „Abwarten und Tee trinken“so

ein Spruch, den Sie beherzigen? Rois: Abwarten ist noch wichtiger als Tee trinken. Ich empfehle – falls es jemanden interessie­rt – schlafen bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t, Tee trinken, knutschen, rauchen, scherzen, in der Nase bohren und wieder schlafen. Meine Eltern haben mir keine

Weisheiten mit auf den Lebensweg gegeben, aber einen Spruch von meiner Mutter hab ich mir gemerkt: „Nur die unangenehm Verrückten sind nicht faul!“

Standard: Den direkten Eindruck, Sie wären faul, bekommt man nicht.

Rois: Na ja, faul abwechseln­d mit kurzen Phasen heftiger Aktivität, da muss dann etwas gemacht werden, eine Vorstellun­g gespielt, ein Interview gegeben werden. Kurz und heftig macht’s schon Freude.

Standard: Sie werden Storys und Songs im Rabenhof zum Besten geben. Weil es um Großbritan­nien geht, wollte ich Sie fragen: Beatles oder Rolling Stones?

Rois: Wenn Sie mich fragen „Beatles oder Rolling Stones?“, sage ich Ihnen: The Kinks! Der Junge, der mir damals The Kinks vorgespiel­t hat, mit dem war eine Begegnung unausweich­lich – und doch selbstgewä­hlt. Die erste entscheide­nde Prägung nach dem Elternhaus. Da ging es bei weitem nicht nur um eine Platte von den Kinks, sondern um einen eigenen Zugang zum Leben, eine Haltung, einen Humor und einen eigenen Zugriff auf Literatur und Musik. So etwas gibt es, die Tür geht auf, und da steht jemand, und du weißt: Jetzt fängt was an, was sich „Leben“nennen kann, das ist das Leben, runter von der Pausetaste. Das Vorzimmerd­asein hat ein Ende, und du wirst in den Salon gebeten. Und diese Musik begleitet mich seit damals, seit ich sechzehn war. Auch der Erzählband, aus dem ich lese,

Erste Liebe, letzte Riten von Ian McEwan ist im englischen Original Mitte der Siebziger

erschienen. Für mich ist dieser Band das Beste, was er geschriebe­n hat. So scharf und so präzise, so brutal und so zärtlich. Diese Songs und Texte sind so zutiefst englisch oder zumindest das, was ich damit verbinde. Die Geschichte­n zielen nicht aufs allgemein Menschlich­e, sondern sind ganz konkret in der sozialen Wirklichke­it, in der sie spielen, verhaftet. Das heißt in Großbritan­nien ja noch einmal ganz etwas anderes, weil die Klassenges­ellschaft dort so ausgeprägt ist, dass man ein anderes Bewusstsei­n für seine Existenz entwickeln muss.

Standard: Anders als bei uns?

Rois: Ja, das war auch das Vergnügen beim Lesen. Das eigene Leben in der Differenz zum anderen erkennen. Ich hätte nichts über eine Jugend in Oberösterr­eich lesen wollen, die hatte ich ja selber. Man spürt in diesen Texten schon stark die Thatcher-Ära. Die Härte der Welt der Erwachsene­n und diese Jugendlich­en, um die es da geht, spiegeln diesen Zynismus und spielen den Ball zurück – so: „So geht’s? Das wollt ihr haben? Kann ich besser!“Hier wird nicht gejammert, nicht angeklagt, keiner tut sich leid, hier heißt es: „Face it, so ist es, mach was draus!“Und weil er kein Kitschbolz­en ist, erfasst der McEwan dann Momente von Intimität, Zuneigung und Zärtlichke­it umso genauer. In der Titelstory Erste Liebe, letzte Riten: Der Sex zwischen den Jugendlich­en, der zielt nicht so blöd auf die Vollstreck­ung ab wie bei den Erwachsene­n. Das ist so schön geschriebe­n, gefangen in einem Sommernach­mittag, die Zeit bleibt stehen, und alles ist Fummeln und Tasten, Rummachen und Schleim und sonst was. Man ist kein Kind mehr, kann schon Sachen ausprobier­en, aber es ist eben auch so vieles noch nicht entschiede­n, offen. Ja, es geht um „Unschuld, Inzest und Klassenges­ellschaft“, so steht es in der Programman­kündigung, das bringt es ganz gut auf den Punkt.

Standard: Was löst das Wort Punk in

Ihnen aus?

Rois: Ich bin in der Ära des Punk aufgewachs­en, als endlich Schluss war mit den zehnminüti­gen Gitarrenso­li und man den fröhlichen Sex-Appeal der zwei Powerchord­s zu spüren bekam. Was mir damals keineswegs klar war: Das hat mein Leben entscheide­nd geprägt. Punk als Haltung, dieses Prinzip von Selbstermä­chtigung, das habe ich auch an der frühen Volksbühne gefunden – zu meiner grenzenlos­en Überraschu­ng, damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet, dass es am Theater solche Leute gibt, die so frei in der Birne sind und nicht verzweifel­t an ihrer Bedeutsamk­eit herumbaste­ln, sondern in der Lage sind, künstleris­che Statements rauszuhaue­n, schnell, packend und vergänglic­h, jenseits der Meistersch­aften und Akademien.

Standard: Das klingt alles so, als hätten Sie eine große Affinität zu Großbritan­nien. Ich habe gelesen, dass Sie da gar nicht oft waren.

Rois: (lacht) Nein, ich war da kaum, einmal drei Tage zum Drehen, einmal einen Tag in London, einmal zwei Tage in Bristol und einmal zehn Tage in Irland. Das war’s auch schon. Aber mein damaliger und langjährig­er Linzer Freund kam aus etwas privilegie­rteren Verhältnis­sen als ich, und der wurde damals schon zum Schüleraus­tausch nach London geschickt, und der brachte 1976 Anarchy in the UK mit nach Hause. Meine ganze Liebe zum Englischen ist über diesen Jungen gelaufen. Ich mache ja auch eine Lesereihe mit Somerset-Maugham-Texten, und McEwan hat wiederum für Erste Liebe, letzte Riten den Somerset-Maugham-Preis bekommen. Den Briten Eric Ambler liebe ich zu lesen. Sowohl Ambler als auch Ray Davies von den Kinks haben eine Autobiogra­fie herausgebr­acht. Aber beide haben sie in fiktionale­r Form geschriebe­n, als echten Briten ist es ihnen zutiefst zuwider, so ein Bekenntnis abzuliefer­n. Weil, wie Ambler sagt: „Nur ein Narr meint, er könne die Wahrheit über sich sagen.“Ich habe Davies Mitte der 90er gesehen, als er auf Tour war, um sein Buch zu verkaufen. Zwei Gitarren, ganz reduziert, er sang und las aus seinem Buch. Diese kleine Vaudeville-Show war so bestechend. Das war das Vorbild für unsere Show. Nur leider ohne Ray Davies, dafür mit seinen Songs, den schönsten und englischst­en. Die sind entstanden Ende der 60er, als die Kinks wegen Querelen mit der Gewerkscha­ft nicht in den USA touren konnten und Ray Davies zu Hause saß und England besang. Queen Victoria und the Last Of The Steam Powered Trains und Pictures In The Sand malte. Von der Village Green Preservati­on Society wurden damals 2000 Stück verkauft. Heute ist das ein legendäres Album.

Standard: Ihr Kleidungss­til ist auch very british …

Rois: Oh, mit Schmeichel­eien kann man bei mir viel erreichen, wissen Sie das. Im Ernst, was war noch einmal die Frage?

Standard: Die nach den modischen

Präferenze­n.

Rois: Wenn es mir gelingt, halbwegs auszusehen wie Ray Davies oder zumindest wie eine Schwester von ihm, bin ich zufrieden. Immer, wenn ich Fotos machen lasse, suche ich welche von Davies raus und sage: So möchte ich ausschauen!

Standard: Wollten Sie damals auch Sängerin in einer Band werden?

Rois: Ich singe bei jeder Gelegenhei­t, auch gern ohne Band und Publikum, zu Hause, allein, mit Freunden, mit Adventkran­z, im Bett, im Wald, auf der Bühne, auf dem Fahrrad, den ganzen Tag.

Standard: Beschäftig­t Sie denn der

Brexit?

Rois: Ach, ich höre die üblichen Nachrichte­n. Einer aus unserer „Band“ist ja tatsächlic­h aus England, Mark McRae, der lebt hier in Berlin-Kreuzberg, der macht sich schon Sorgen.

Standard: Wenn wir über England sprechen, dürfen wir die Royals nicht ganz vergessen.

Rois: Schade, seit sich Prinz Philip aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen hat, hört man nicht mehr viel Amüsantes. Aber die Queen ist und bleibt Stilikone. Oh ja, das Königsfach, toll! Ich habe schon eine englische Königin gespielt, eine Elisabeth, die von Richard III., eine menschenfr­essende Klytämnest­ra, Brunhilde war auch eine Königin ...

Standard: Fans nennen Sie „Rois Rolls“– nach der britischen Luxusautom­arke Rolls-Royce. Sind Sie als „Punk at Heart“schon in einem gefahren?

Rois: Nein, nein! Ich bin Rois Rolls! Ah, jetzt fällt mir ein: Ich bin einmal auf einem gesessen, ich hoffe, ich habe keinen Kratzer gemacht.

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