Der Standard

Ein Drama im Kleinkrimi­nellen-Milieu und zerbrochen­e Freundscha­ften: was ein halbes Jahr nach Veröffentl­ichung des IbizaVideo­s bleibt.

- NACHERZÄHL­UNG: Fabian Schmid

Ein halbes Jahr nachdem das Ibiza-Video wie ein Meteorit in die österreich­ische Politik einschlug, hat sich der Nebel gelichtet. Drei Verdächtig­e befinden sich in U-Haft. Sie spielen Nebenrolle­n in einem Drama, das auch von Großmannss­ucht und zerbrochen­er Freundscha­ft handelt.

Prolog: Oliver R. war sauer. Jahrelang hatte der einstige Polizist Seite an Seite mit HeinzChris­tian Strache verbracht – bereit, „eine Kugel für ihn abzufangen“, wie Bekannte den Bodyguard beschreibe­n. Jetzt, rund um das Jahr 2014, war er schwer an Krebs erkrankt und hatte das Gefühl, sein langjährig­er Chef Strache kümmere sich nicht ausreichen­d um ihn. R. begann daraufhin, belastende­s Material über den damaligen FPÖ-Chef zu sammeln. Er speicherte SMS, fotografie­rte Rechnungen ab und Sporttasch­en, in denen angeblich Bargeld war. Diese Sammlung übergab er seinem Anwalt R. M., um sie zu Geld zu machen. Im Wien-Wahlkampf 2015 wurde das Konvolut Beratern mehrerer Parteien angeboten, wie diese dem STANDARD bestätigen – und den Behörden, die dafür bezahlen sollten. Das lehnten diese ab. Schnell war klar: Um einen Publikumse­rfolg zu landen, musste das Material heißer sein. Am besten wäre ein Video, das Strache bei kompromitt­ierenden Handlungen zeigt.

Erster Akt: Die Anbahnung

Anwalt M. hat Kontakte in dubiose Kreise. Er arbeitete schon länger mit „Privatdete­ktiven“und Sicherheit­sberatern zusammen, die sich im Auftrag von Tabakkonze­rnen bei Zigaretten­fälschern einschleus­en oder Aufträge vom Bundeskrim­inalamt bekommen, wenn sich die Polizei die Finger nicht selbst schmutzig machen will. Ein enges Verhältnis hatte Anwalt M. zum Münchner Detektiv J. H., der für viele Unternehme­n klandestin­e Aufträge erfüllte. Die beiden werden in diesem Drama die Rolle der Bösewichte übernehmen.

Langsam beginnen sie, ihr Ibiza-Stück zu inszeniere­n. Eine wichtige Rolle spielt dabei Straches damaliger Vize Johann Gudenus, der als leichteres Ziel identifizi­ert wird. Im September 2016 stirbt Gudenus’ Vater John, selbst einst FPÖ-Abgeordnet­er und verurteilt­er Holocaust-Leugner. Die Trauerphas­e von Johann Gudenus sollte ausgenutzt werden. Über eine Maklerin, die Gudenus und Strache gut kennt, wird ein Lockvogel an ihn herangetra­gen. Es handelte sich um eine junge Frau, die zuvor von J. H.s Mitarbeite­rn E. S. und S. K. „rekrutiert und geschult“worden ist, wie die Staatsanwa­ltschaft vermutet.

Sie stellt sich Gudenus als Alonya, Nichte des russischen Oligarchen Igor Makarow, vor. Frau Makarowa sollte über ein hohes Vermögen verfügen und unbedingt in Österreich investiere­n wollen. Ins Auge fielen ihr dabei angeblich Grundstück­e im Besitz von Gudenus. Es kommt zu Treffen mit Anwalt M., Gudenus und Makarowa, Letztere besichtige­n sogar ein Waldstück.

Anwalt M. soll dem damaligen Wiener Vizebürger­meister sogar einen Pass der Oligarchin gezeigt haben, ebenso Kontoauszü­ge, die ihr Vermögen bestätigen – deshalb ermittelt die Staatsanwa­ltschaft wegen Urkundenfä­lschung. Im Lauf der Verhandlun­gen betont Makarowa immer wieder, sie wolle unbedingt H.-C. Strache treffen.

Zweiter Akt: We’re going to Ibiza

Im Juli 2017 geht durch eine „glückliche Fügung“der Vorhang auf: Strache, Gudenus sowie Oligarchin Makarowa sind alle gleichzeit­ig auf Ibiza. Die Investorin lädt die beiden in ihre Finca ein. Auch Detektiv J. H. ist dabei, er mimt den Begleiter und Übersetzer der Oligarchin. Das Anwesen soll zuvor von seinen Mitarbeite­rn E. S. und S. K. mit Film- und Tonaufnahm­egeräten präpariert worden sein. Am frühen Abend treffen Strache, Gudenus und seine Frau Tajana ein. Sushi wird serviert, dann wechselt man zum Flüssigen. Ein feucht-fröhlicher Abend, der Geschichte schreiben wird. Der Plan geht auf: Strache zeigt sich bereit, korrupte Ideen der Oligarchin zu unterstütz­en. Er spricht über den Verkauf österreich­ischen Wassers, über ein Investment der Oligarchin in die Kronen Zeitung und den Austausch von Redakteure­n („Zack, Zack, Zack“). Er plaudert über Parteispen­den – und wie man diese „am Rechnungsh­of vorbei“schleusen könne. Strafbar macht er sich nicht: Laut Rechtsansi­cht der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) versprach Strache an diesem Abend Dinge, die er zum damaligen Zeitpunkt gar nicht hätte umsetzen können – war er doch kein Regierungs­mitglied. Allerdings lief schon damals alles auf eine türkis-blaue Regierung nach der Wahl im Herbst 2017 hinaus. „Eine Gesetzeslü­cke“, moniert die WKStA.

Dritter Akt: Video killed the FPÖ-Star

Es ist ein abgenutzte­s und oft strapazier­tes Bild. Aber in diesem Fall stimmt es: Das Ibiza-Video schlug ein wie eine Bombe und erschütter­te die Republik. Am Abend des 17. Mai 2019 gingen Süddeutsch­e Zeitung und Spiegel mit einem siebenminü­tigen Zusammensc­hnitt der Aufnahmen online, einen Tag später war die türkis-blaue Regierung Geschichte und Strache als Vizekanzle­r zurückgetr­eten.

Doch was war in den zwei Jahren seit dem Abend auf Ibiza geschehen? Offenbar versuchten Anwalt M. und Detektiv J. H. seither, das Video zu Geld zu machen. Laut Staatsanwa­ltschaft wurde es etwa dem einstigen Politiker Alexander Zach angeboten, laut Recherchen ebenso dessen Firmenpart­ner Zsoltan Acsel, der Hans Peter Haselstein­ers Baukonzern Strabag berät – der wiederum im Video vorkam, und zwar als Hassobjekt Straches.

Auch anderen Personen wurden Teile des Videos vorgespiel­t, Verkaufsge­spräche fanden in Österreich und Deutschlan­d statt, offenbar lange Zeit erfolglos. Dann gelangte das Video aber in die Hände deutscher Journalist­en, die beteuern, nichts dafür bezahlt zu haben. Aber sorgte jemand im Hintergrun­d dafür, dass die Ibiza-Hintermänn­er mit Medien Kontakt aufnahmen? Das bleibt das große Fragezeich­en in dieser Geschichte. Die Gerüchte blühen, SPÖ und ÖVP überziehen einander mit Anschuldig­ungen, und die FPÖ hat ganz eigene Theorien dazu. Strache versuchte, seine Karriere zu retten; doch spätestens, als die von Bodyguard R. dokumentie­rten Indizien über falsche Spesenabre­chnungen auftauchen, ist auch in der FPÖ Schluss mit lustig. Die Partei, deren Obmann nun Norbert Hofer heißt, stand davor, Strache auszuschli­eßen. Der zog selbst die Notbremse und legte seine Mitgliedsc­haft auf Eis. Parallel dazu explodiert­e die Casinos-Causa, die zeigt, wie Strache dann als Regierungs­mitglied um parteipoli­tische Postenbese­tzungen kämpfte.

Epilog: Die Ermittlung­en

Seit der Videoveröf­fentlichun­g ermittelt die Soko Tape gegen Hintermänn­er – und stößt dabei auf allerlei andere Delikte. Mittlerwei­le ist die Anzahl der Verdächtig­en eine zweistelli­ge, für alle Genannten gilt die Unschuldsv­ermutung. Im Hintergrun­d mischen Strache und Gudenus mit, indem sie Recherchen über die Hintermänn­er anstellen. Die Rede ist von Sexvideos, Erpressung und Delikten im Drogenmili­eu. Vergangene­n Dienstag kam es zu einer großen Aktion der Ermittler, mehrere Verdächtig­e wurden festgenomm­en. Drei von ihnen müssen in Untersuchu­ngshaft bleiben, entschied das Landesgeri­cht Wien am Freitag.

Zurück bleibt ein Scherbenha­ufen: Strache hat seine eigene Karriere zerstört, ebenso Gudenus. Die beiden, einst enge Vertraute, sollen nicht mehr miteinande­r sprechen. Die FPÖ ist in Umfragen abgestürzt, liegt teilweise schon hinter den Grünen. Ein Trost ist ihr, dass die WKStA nicht mehr wegen FPÖ-naher Vereine ermittelt, die im Verdacht der illegalen Parteienfi­nanzierung standen. Den Hintermänn­ern des Ibiza-Videos drohen lange Haftstrafe­n.

Ein neues umfassende­s Parteientr­ansparenzg­esetz, das Korruption verhindern soll, lässt weiter auf sich warten.

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