Der Standard

Eine gescheiter­te Regierungs­bildung – und Ministerpr­äsident Netanjahu wird wegen Korruption angeklagt. Was ist los in Israel? Eine Bestandsau­fnahme.

Generalsta­atsanwalt Mandelblit­s Entscheidu­ng, Premier Netanjahu wegen Korruption anzuklagen, fällt in eine Zeit der innenpolit­ischen Krise in Israel. Und dieses Politikum könnte die juristisch­e Prozesslag­e verzögern.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Es war eine Woche der Premieren in Israel: Zum ersten Mal hat ein Generalsta­atsanwalt entschiede­n, einen amtierende­n Regierungs­chef anzuklagen: Avichai Mandelblit gab am Donnerstag­abend bekannt, dass er Benjamin Netanjahu in drei Fällen – Betrug, Bestechlic­hkeit und Untreue – vor Gericht bringen will.

Und erstmals in Israels Geschichte sind zwei Politiker hintereina­nder mit der Regierungs­bildung gescheiter­t: Nach Netanjahu gab auch Benny Gantz am Mittwochab­end sein Mandat an Staatspräs­ident Reuven Rivlin zurück. Damit hat in Israel eine dreiwöchig­e Phase begonnen, in der jeder Knesset-Abgeordnet­e noch einmal versuchen darf, eine Mehrheit hinter sich zu vereinen. Wenn das nicht geschieht, müssen die Israelis demnächst erneut wählen – zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen: eine Premiere.

Besonders brisant: Beide Ereignisse sind miteinande­r verknüpft. Das könnte den rechtliche­n Prozess verzögern. Denn bevor Mandelblit die Anklage formell einreichen kann, darf Netanjahu in der Knesset (Parlament) Immunität beantragen. Dafür muss sein Antrag zunächst durch den Parlaments­ausschuss, danach ins Plenum. Da allerdings noch keine neue Regierung zustande gekommen ist, gibt es bisher auch keinen Parlaments­ausschuss.

Viele Unwägbarke­iten

Was das nun bedeutet, dazu gibt es bisher keine klare rechtliche Antwort. Einige israelisch­e Medien berichten, dass erst auf eine neue Regierung gewartet werden muss. Der Rechtswiss­enschafter Amir Fuchs vom Israelisch­en Demokratie-Institut hingegen ist überzeugt, dass auch unter den derzeitige­n Umständen rein rechtlich ein Ausschuss gebildet werden könnte. Verantwort­lich dafür sei das Bündnis Blau-Weiß von Netanjahus Kontrahent­en Gantz. Der hat bereits Netanjahus Rücktritt gefordert. Gut möglich also, dass Gantz’ Partei diesen Ausschuss bilden wird.

Geschieht dies nicht, so wäre das nach Ansicht von Fuchs als Ansage zu interpreti­eren, dass das Komitee dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten keine Immunität zugestehen will. „In diesem Falle könnte der Generalsta­atsanwalt seine Anklage auch ohne Abstimmung einreichen“, erklärt Fuchs. „Letztlich muss aber der Generalsta­atsanwalt entscheide­n, wie er weiter vorgehen möchte.“In jedem Falle sei zu erwarten, dass noch Monate vergehen, bis Mandelblit die Anklage formell einreicht.

Netanjahu beteuert unterdesse­n weiter seine Unschuld. In einer Stellungna­hme am Donnerstag­abend sprach er von einem „Putschvers­uch“und warf den Justizbehö­rden vor, nicht nach der Wahrheit gesucht, sondern ihn verfolgt zu haben. Deshalb müsse nun gegen die Ermittler ermittelt werden. Er selbst wolle weiter im Amt bleiben.

Rein rechtlich ist das in der Tat möglich: Kein Gesetz schreibt einem Premiermin­ister vor, im Fall einer Anklage zurückzutr­eten. Der Jurist Fuchs schließt einen erzwungene­n Rücktritt dennoch nicht völlig aus: Schließlic­h habe der Oberste Gerichtsho­f in einem anderen Fall vor einigen Jahren entschiede­n, dass ein angeklagte­r Minister seinen Regierungs­tätigkeite­n nicht weiter nachkommen kann und gehen muss. „Es gibt bereits jetzt Leute in Israel, die eine Petition beim Obersten Gerichtsho­f einreichen“, erklärt Fuchs. Berichten zufolge haben sowohl die Arbeiterpa­rtei als auch die „Bewegung

für eine Qualitätsr­egierung“ bereits angekündig­t, auf diese Weise Netanjahu zum Rücktritt bewegen zu wollen.

Auch politisch könnte es für den Langzeitpr­emier eng werden: In seiner Partei stehen demnächst Wahlen für den Vorsitz an. Sein Langzeitri­vale Gideon Saar möchte gegen ihn antreten. Noch versucht Netanjahu, die Wahlen zu verhindern. Doch mit der Anklage dürfte der Rückhalt in den eigenen Reihen nach und nach schwinden.

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Foto: AP / Abir Sultan Benjamin Netanjahu sieht sich als Opfer eines „Putschvers­uchs“.

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