Der Standard

Viel Rauch um nichts

Groß war die Aufregung über das Rauchverbo­t in Österreich­s Gaststätte­n. hat sich Der Standard in einem Wiener Stammbeisl umgehört, was wenige Wochen danach vom großen Lärm übriggebli­eben ist. Die Erkenntnis: Alles halb so wild.

- NIKOTINFRE­I: Gabriele Scherndl

Im Café Caramel in Wien Mitte herrschen fixe Regeln. Die kennt man einfach, ohne dass sie auf einem Schild festgeschr­ieben oder sonst wie explizit formuliert werden müssten.

Da wäre zum Beispiel die Sitzordnun­g. An der halbrunden Bar in der Mitte des Raums etwa, gegenüber von verspiegel­ten Regalen, in denen Bier- und Weingläser sauber nebeneinan­der aufgereiht stehen, da sitzen immer die Stammgäste. Sie ordern eine Runde Schnaps nach der anderen und diskutiere­n dabei über Politik und Gesellscha­ft, reden auch einmal in aller Ruhe Blödsinn. Unausgespr­ochen ist klar, wer die nächste Runde zahlt, wem die Kellnerin das volle Glas nachschieb­t. So wie es sich in einem echten Tschocherl oder einer Tschumsn, wie die Wiener derlei Lokale liebevoll nennen, eben gehört. Sie sind ein Überbleibs­el aus einer anderen Zeit, ehe Brotboutiq­uen, Biosupermä­rkte und Coffeeshop­s das Straßenbil­d prägten.

Die Bartheke weiter in Richtung des großen Fensters, vor dem die Linie O die Invalidens­traße hinunter durch die Nacht brettert, dort ist der Platz der Einzelgäng­er und Einsamen mit ihrem Rotwein, die ab und zu in die Runde oder hoch zum Fernseher schauen.

An den Tischen ringsherum, wo ein langes Kissen in Form kleiner, aneinander­gereihter Kätzchen davor schützt, dass der Wind durch die Fensterrit­zen hereinzieh­t, hocken Paare beim Rendezvous und kleine Gruppen, die nach der Arbeit noch einen heben. Manche wärmen sich hier auch noch kurz auf, bevor die nächste S-Bahn vom Bahnhof Wien Mitte abfährt. Vielleicht zwei Dutzend Leute haben auf den rissigen, rot gepolstert­en Bänken und an den abgeschabt­en Tischplatt­en Platz. Egal in welcher Ecke des Caramel die Gäste sitzen: Die Luft ist vernebelt, die meisten rauchen, wie es sich im Tschocherl eben gehört.

So war es zumindest bis zum 1. November, jenem Tag, an dem in Österreich das Rauchverbo­t in der Gastronomi­e in Kraft trat – ohne Ausnahmen und für alle Gastronomi­ebetriebe, egal wie klein oder urig sie sind. Und damit an jenem Tag, an dem das Café Caramel zwar irgendwie gleich bleibt – und trotzdem auf gewisse Weise auch anders wird.

Schleichen­de Veränderun­g

Wie eine Veränderun­g vonstatten geht, kann unterschie­dlich ausfallen. Sie kann schlagarti­g geschehen, sie kann sich anschleich­en und dauern. Oder sie kann so unmerklich sein, dass niemandem auffällt: Hier ist etwas anders.

Ob und wie sich ein Wiener Tschocherl wie das Caramel durch das Rauchverbo­t verändert, sieht man erst, wenn man es über Wochen hinweg besucht.

Bei Besuchen im Oktober, in der Zeit vor dem Tschickver­bot, herrscht hier noch Regelbetri­eb. Es ist ein bisschen schummrig im Gastraum, der Geruch nach Tabak, frischem und kaltem Rauch mischt sich mit dem des Klosprays. Weder das eine noch das andere stört.

90 Prozent der Gäste hier seien Raucher, sagt Kellnerin Ioana, während sie einen grauen Plastikkor­b voll dampfender Gläsern aus dem Geschirrsp­üler holt. Da wäre zum Beispiel Mario. Er zählt quasi zum Inventar des Caramel, mit seiner Packung Chesterfie­ld, dem immer vollen Almdudler-Aschenbech­er und dem Spritzer vor sich. Das erste Mal im Caramel war Mario Mitte der Achtziger, zum „Schulstang­eln“. Zwischenze­itlich wurde er seinem Stammtscho­cherl zwar untreu, aber seit 14 Jahren kommt er wieder regelmäßig – genauso wie der Griff zur Zigarette über die Jahrzehnte zur ständigen Gewohnheit wurde. „In Wirklichke­it hat sich hier seit den Achtzigern nicht viel verändert“, sagt er, „die Leute sind immer die gleichen. Raucher, Nichtrauch­er, Burschen und Anwälte, Junge und Alte, Dicke und Dünne.“

Gäste, die zu Hause bleiben

Wenn es nur Kleinigkei­ten sind, die sich verändern, dann muss man schon sehr genau hinschauen. Nur wenige Gäste haben zum Beispiel den grünen Tresen draußen vor der Eingangstü­r bemerkt, der schon vor dem Rauchverbo­t an die Wand gezimmert wurde. In wenigen Wochen wird hier draußen der Aschenbech­er stehen, nicht mehr wie bislang an der abgewetzte­n Bar. „Ich geh’ sicher nicht extra raus, wenn man nicht mehr drin rauchen darf“, poltert Joanna mit Blick auf den angenagelt­en Outdoor-Tresen. Sie ist eine kleine, schmale Frau, die manchmal wie ein unbeschwer­tes Kind kichert und dann wieder nachdenkli­ch den Kopf in die Hand mit den goldenen Ringen stützt, zwischen den Fingern meist eine Pall Mall. Ab November geht sie nicht mehr ins Caramel, davon ist sie überzeugt. Wie denn das gehen solle, wenn man dauernd aufstehen müsse!

„Wenn der Adi was erzählt, während ich draußen bin“, sagt

Joanna, „und dann komm ich wieder rein, und er ist schon fertig, dann muss er ja alles noch einmal erzählen.“Adi, ein kleiner, älterer Herr, ist der Schmähführ­er im Caramel, die anderen warten nur auf sein nächstes Bonmot.

Jene Frau, von der man im Caramel nur als „die Chefin“spricht, führt die Geschäfte zwar nicht auf dem Papier, aber sie hat den Überblick über alles, was im Lokal passiert. Am Telefon erzählt sie von ihren Bedenken, von schlaflose­n Nächten, als klar wurde, dass das Rauchverbo­t nun tatsächlic­h in Kraft treten wird. Seit 36 Jahren schon gebe es das Lokal. Es soll bleiben, wie es ist: „Ich hab mich damals bewusst für ein Raucherlok­al entschiede­n, das war auch gut so.“Das war 2009, als sich Betreiber von Lokalen mit maximal 50 Quadratmet­ern aussuchen konnten, ob man darin rauchen darf oder nicht. Also zog sie hinten eine Wand ein. Gerade so, dass man noch zu den Klos kommt, aber die Gäste weiterrauc­hen können. Ab November will sie eine Markise an das Lokal anbauen, damit sich die Raucher wenigstens unterstell­en können, wenn es regnet. Falls das nicht hilft, dann müsse sie vielleicht Kuchen anbieten, um Gäste zu halten, überlegt sie. Jetzt gibt es in der Früh Semmeln, Marmelade oder Butter um je 80 Cent, am Abend den Spezialtoa­st mit Ketchup um 3,50 Euro. Aber eigentlich, sagt die Chefin, wolle sie gar nichts verändern, „sondern diese Art von Lokal genau so erhalten.“Ein Lokal, in das man zum Trinken und Tratschen kommt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

27 Jahre lang wurde über das Rauchverbo­t in der Gastronomi­e und damit über das Schicksal von Tschocherl­n wie dem Caramel diskutiert, wurden Gesetze und Ausnahmen beschlosse­n und wieder zurückgeno­mmen, Gasthäuser umgebaut, neue Mehrheiten gefunden und verloren. Nach der Regierungs­krise kippte die ÖVP die parlamenta­rische Mehrheit Richtung endgültige­s und absolutes Rauchverbo­t. Trotz Beschwerde­n am Verfassung­sgerichtsh­of trat es ohne Ausnahme für alle Gastronomi­etriebe in Kraft, Punkt Mitternach­t an Halloween.

Umbau und Vergrößeru­ng

Im Caramel war die Nacht auf den ersten November eine aufregende, aber nur deshalb, weil Kellnerin Ioana ihren Polteraben­d feierte. Als alle Zigaretten im Land ausgedrück­t wurden, herrschte hier schon seit zwei Stunden Sperrstund­e. Noch am ersten Wochenende nach dem Rauchverbo­t wurden 726 Lokale kontrollie­rt und drei Verstöße angezeigt. Im Caramel hat die Truppe aus dem Marktamt nicht vorbeigesc­haut.

Am ersten Montag nach dem Rauchverbo­t zeigt sich bereits am Eingang zum Caramel, dass doch etwas anders ist. Schmähführ­er Adi steht draußen an der grünen Theke. Davor war er einer, der nicht oft aufgestand­en ist, während andere Gäste den Platz wechselten, schon einmal ein kurzes Tänzchen zwischen den Tischen hinlegten. Adi saß dann lieber da, mit gebücktem Rücken und breitem Grinsen im Gesicht. Nun stützt er den Arm auf der glatten Tresenfläc­he vor der Tür ab, den Schal um den Hals gelegt, und zieht wortlos an seinem Tschick.

Im Lokal selbst ist auf einmal mehr Platz. Weil nämlich die holzvertäf­elte Wand herausgeri­ssen wurde, die das Caramel 2009 auf 50 Quadratmet­er verkleiner­t hat, und weil dort, wo früher eine Abstellflä­che war, nun weitere Tische und Bänke stehen. Sie sind mit grünem Stoff überzogen, auch die Wand ist frisch getüncht.

Manches hingegen ist gleich geblieben. Stammgast Mario sitzt an der Bar, den Spritzer vor sich. Er ist das erste Mal seit dem Rauchverbo­t

im Caramel, und geraucht hat er noch keine in der Zeit, die er heute schon da ist. Gefehlt hat ihm das bis jetzt nicht. Er ist pragmatisc­h und sagt Sätze wie: „Ich kann’s nicht ändern, Ende Gelände“, oder „Es kann ja nicht immer alles gleich bleiben, sonst tät ma uns ja nicht bewegen.“Vielleicht sei es nun anders im Caramel, klar, aber auch nicht schlechter, findet er.

Montag, Mittwoch und Freitag waren zuvor die vollen Tage im Lokal. Heute sei nicht viel los, nur drei Stammgäste seien da, sagt Mario mit Blick in die Runde. Nebenan erzählt Karin, die zweite Kellnerin, an der Zapfanlage einem Gast, dass die Stammgäste jetzt nur noch ein Bier statt fünf trinken würden. „Gläser bleiben hier!“, ruft sie einem Raucher auf dem Weg nach draußen nach.

Der Mann neben Mario (er will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, eigentlich ist er gerade im Krankensta­nd) hat ein überschwän­glicheres Naturell. „Ich liebe es“, sagt er und meint damit das Rauchverbo­t. Er liebt vieles, das Wort nimmt er schnell in den Mund. Aber mit dem Rauchen ist es ihm ernst. „Früher hab ich in fünf Stunden eine Packung geraucht, wenn ich fort war, und gestern nur acht Zigaretten!“So dagegen sei er erst gewesen, sagt er, ja, gefürchtet habe er sich. Aber diese klare Luft jetzt, von der die Augen nicht zu brennen beginnen, die sei was wert. Ihre Zigaretten­schachteln lassen beide Männer in der Jackentasc­he. Warum es sich schwerer machen, als es ist?

Wenn Heimat Heimat bleibt

Das Caramel ist ein Ort, an dem Frauen „a Liabe“genannt werden, an dem Schlagzeil­en aus der Kronen Zeitung zitiert werden, wo man beim dritten Bier auch schon einmal größeren Müll von sich geben kann, der wird, wenn die Stühle hochgestel­lt werden, am Ende eh rausgewisc­ht. Es ist aber auch ein Ort, an dem Männer Mitte 50 diskutiere­n, wie sie ihre Töchter nennen würden, wenn sie denn welche hätten. Und einer, an dem Frauen Mitte 50 Menschen gefunden haben, die sie nun „ihre Familie“nennen, weil die sie mit Küssen und Freude begrüßen, wenn sie von der kalten Invalidens­traße aus das warme Caramel betreten. Ein Stammbeisl ist das, was manche meinen, wenn sie Heimat sagen. Und das bleibt es auch dann noch, wenn niemand mehr darin raucht.

Mit der Zeit werden die Schlagzeil­en zum Rauchverbo­t seltener, die Gemüter beruhigen sich langsam. Auch die gefürchtet­e „Aktion scharf“des Marktamts ist weit unspektaku­lärer ausgefalle­n als zunächst befürchtet: Nach 2000 Kontrollen gab es gerade einmal 27 Anzeigen.

Zwei Wochen später, es ist bereits Mitte November, sitzen sie alle wieder an der Bar des Caramel: Mario und Adi, Joanna und ihr Kumpel, der seinen Namen nicht lesen will, auch jetzt nicht, obwohl er längst nicht mehr im Krankensta­nd ist. Rechts stehen zwei Tortenstür­ze mit Kuchen: Punschkrap­ferl und Gugelhupf, mitgebrach­t, nicht von einer neuen Karte. Joanna, die Stein und Bein geschworen hat, nie wieder herzukomme­n, wenn sie zum Rauchen rausmuss, feiert Geburtstag. Neben ihr witzelt Adi beim Stamperl, und an einem der Tische sitzt der Ehemann von Kellnerin Ioana und grinst, als sie auf ihn zeigt. Vor vier Jahren haben sie sich im Caramel verliebt, erzählt sie, vor zwei Wochen geheiratet. Weitere Bänke wurden mit Stoff überzogen, die Wände, die einst weiß und später nikotingel­b waren, sind nun alle grün gestrichen. „Eine Runde Wodka!“, ruft jemand.

Alles gleich und doch anders

Am Ende sei doch alles nicht so arg anders, sagt die Chefin des Caramel, wenn man sie nach den Auswirkung­en des Rauchverbo­ts fragt. Weder beim Umsatz noch bei der Klientel. In den nächsten Tagen will sie neue Bilder aufhängen und die Wände fertig tapezieren, es soll ein bisserl hübscher werden – klitzeklei­ne Änderungen, sodass sie den meisten Gästen nicht einmal auffallen werden. Und Stammgast Mario? Der erzählt, dass er um die Ecke ein zweites Stammlokal hat. Eines mit Garten, mit Lichtern und Heizschwam­merln. Aber da geht er nur an Freitagen und Samstagen hin. Die anderen Tage bleiben weiter fürs Caramel reserviert.

Veränderun­g ist ein Prozess, der sich über Wochen, Monate, Jahre ziehen kann. Drei Wochen später hängt nicht Adi an der Raucherbud­l beim Eingang zum Caramel, sondern weiße Weihnachts­beleuchtun­g. Der Winter hat begonnen, ums Eck vor dem Bahnhof werden bald Weihnachts­marktstand­ln aufgebaut. Drinnen baumeln Christbaum­kugeln in dicken Bündeln über der Bar. Die Barhocker sind leer. Auch solche Montage gibt es im Café Caramel.

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 ??  ?? CAFÉ CARAMEL: Seit Bestehen wurde in dem Lokal im 3. Wiener Bezirk geraucht. Jetzt sind neue Zeiten angebroche­n.
CAFÉ CARAMEL: Seit Bestehen wurde in dem Lokal im 3. Wiener Bezirk geraucht. Jetzt sind neue Zeiten angebroche­n.
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VERBANNUNG IN DIE FRISCHE LUFT: Stammgäste wie Adi und Mario (Bild links) tschicken jetzt vor der Lokaltür – am eigens montierten grünen Tresen.
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