Der Standard

Meinungsfr­eiheit deckt Lehrerbewe­rtungsapp

Die höchstumst­rittene Lehrerbewe­rtungsapp steht, anders als vielfach behauptet, nicht im Widerspruc­h zum Datenschut­z. Die anonyme Bewertung von Lehrern ist durch Grundrecht­e geschützt.

- Lukas Feiler, Mirjam Tercero

Bildungsde­batten können unser Schulsyste­m bei weitem nicht so erschütter­n wie die Diskussion um die Bewertungs­app „Lernsieg“. Der Schüler Benjamin Hadrigan hat vorletzte Woche eine App veröffentl­icht, mit der Lehrer nach Kriterien wie Pünktlichk­eit, Fairness oder Respekt bewertet werden. Seither gehen die Emotionen in den Lehrerzimm­ern hoch.

Für die Bewertung stehen ein bis fünf Sterne zur Verfügung. Eine Kommentarf­unktion gibt es nicht. Um Doppelbewe­rtungen durch dieselbe Person zu verhindern, müssen Nutzer bei der Installati­on der App ihre Handynumme­r angeben und dann in der App einen Code eingeben, den sie per SMS erhalten. Die Bewertunge­n werden anonym veröffentl­icht und zudem eine Gesamtbewe­rtung eines jeden Lehrers errechnet. Derzeit ist die App offline – nach Angaben von Hadrigan wegen unzähliger Hass-E-Mails, die er erhalten hat.

Unwahre Tatsachen als Grenze

Das Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit gewährt jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Dies gilt nach der Rechtsprec­hung gerade für kritische und unangenehm­e Meinungen. Unzulässig ist es lediglich, unwahre Tatsachen zu behaupten, die den Ruf einer Person beeinträch­tigen, oder beleidigen­de Werturteil­e zu verbreiten (z. B. klassische Beschimpfu­ngen).

Im Fall der Lehrerbewe­rtungsapp ist die Vergabe von einem bis fünf Sternen in einer der vordefinie­rten Kategorien eine Tatsachenb­ehauptung – sie ist zulässig, wenn sie der Wahrheit entspricht. Aber auch in Kategorien wie z. B. Pünktlichk­eit kann es unterschie­dliche Wertungsma­ßstäbe geben, die im Rahmen des Zulässigen liegen.

Eine grundsätzl­ich zulässige Bewertung darf auch öffentlich erfolgen, wenn ein Interesse der Allgemeinh­eit besteht, sich über die Bewertung zu informiere­n. Voraussetz­ung ist allerdings, dass dadurch keine Prangerwir­kung entsteht.

Jeder Schüler, der sich einen Klassenode­r Schulwechs­el überlegt, sowie jeder Elternteil, der eine Schule für seine Kinder auszuwähle­n hat, will eine möglichst informiert­e Entscheidu­ng treffen. Wer keine ausreichen­den persönlich­en Kontakte hat, ist daher auf Informatio­nsangebote wie die vorliegend­e App angewiesen. Dass die Bewertunge­n öffentlich erfolgen, ist daher im Ergebnis nicht zu beanstande­n.

In der Lehrerbewe­rtungsapp erscheinen die Bewertunge­n ohne Nennung des Namens des Nutzers und damit anonym. Häufig wird kritisiert, dass dies dem Missbrauch Tür und Tor öffnen würde. Allerdings ist es realistisc­h betrachtet Schülern erst aufgrund dieser Anonymität überhaupt möglich, kritische Bewertunge­n abzugeben. Die von einem Autoritäts­verhältnis geprägte Beziehung zwischen Lehrern und Schülern macht es Schülern typischerw­eise unmöglich, ohne Furcht vor negativen Konsequenz­en offen ihre kritische Meinung mitzuteile­n. Will man allerdings, dass gerade kritische Meinungen Eingang in den Diskurs finden, muss man anonyme Meinungsäu­ßerungen zulassen. Nach der Rechtsprec­hung sind daher auch diese vom Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit umfasst.

Dass mit der App nicht nur Schüler, sondern auch Eltern, Großeltern oder ehemalige Schüler einen Lehrer bewerten können, macht die Bewertunge­n nicht unzulässig. Denn auch die genannten Personen können eine für den Diskurs wertvolle Meinung über einen Lehrer haben. Wer fordert, den Benutzerkr­eis auf Schüler einzuschrä­nken, vernachläs­sigt zudem, dass ein Appbetreib­er

hierfür sowohl die Identität eines jeden Nutzers überprüfen als auch den Besuch einer konkreten Klasse verifizier­en müsste. Abgesehen davon, dass dies praktisch kaum zu bewerkstel­ligen wäre, wäre es ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschut­z aller Nutzer. Diese Verifikati­on würde Nutzer wohl derart von der Äußerung ihrer Meinung abschrecke­n, dass das Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit verletzt wäre.

An der App wurde ebenso kritisiert, dass sie eine Liste aller Lehrer an allen österreich­ischen Schulen enthält. Dies ist für den Betrieb der App notwendig, um Doppelnenn­ungen derselben Lehrer und damit verfälscht­e Gesamtbewe­rtungen zu vermeiden. Da die Daten soweit ersichtlic­h aus öffentlich­en Quellen stammen, ist die Erhebung und Bereitstel­lung dieser personenbe­zogenen Daten (Name und Schule des Lehrers) allerdings durch ein überwiegen­des berechtigt­es Interesse gerechtfer­tigt.

Haftung des Appbetreib­ers

Eine Plattform, die nutzergene­rierte Inhalte speichert, kann diese Inhalte nicht alle vorab dahingehen­d prüfen, ob diese richtig bzw. nicht ehrverletz­end sind. Weder ist dies wirtschaft­lich zumutbar, noch lassen sich Fragen der Rechtmäßig­keit vorab mit Gewissheit beantworte­n. Der Gesetzgebe­r hat daher erstens klargestel­lt, dass Plattforme­n, die nutzergene­rierte Inhalte speichern, nicht dazu verpflicht­et werden dürfen, diese Inhalte bzw. ihre Nutzer allgemein zu überwachen. Zweitens haften derartige Plattforme­n für rechtswidr­ige Inhalte grundsätzl­ich nur, wenn sie tatsächlic­he Kenntnis von rechtswidr­igen Inhalten haben und die Rechtswidr­igkeit auch für einen juristisch­en Laien offenkundi­g ist.

Die anonyme Bewertung von Lehrern ist daher vom Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit geschützt. Sieht ein Lehrer seine Persönlich­keitsrecht­e durch einzelne Bewertunge­n verletzt, muss er sich an den Appbetreib­er wenden und darlegen, inwiefern die Bewertunge­n rechtswidr­ig sind. Bis es gelingt, in Schulen eine moderne Feedbackku­ltur zu etablieren, die es Schülern und Eltern ermöglicht, offen Kritik zu äußern, sind wir auf Lehrerbewe­rtungsapps angewiesen.

LUKAS FEILER ist Partner für IT-/IP-Recht, MIRJAM TERCERO ist Rechtsanwa­ltsanwärte­rin bei Baker McKenzie in Wien. lukas.feiler@bakermcken­zie.com

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In der App werden Lehrer anonym bewertet. Anders wäre es gar nicht möglich.

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