Der Standard

Gutes Leben im Speckgürte­l

Ein neuer Index bildet erstmals Lebensumst­ände auf Kommunaleb­ene ab. Abgelegene Orte schneiden am schlechtes­ten ab, Städte etwas besser. Die besten Werte zeigen die Pendlergem­einden im urbanen Umland.

- Michael Matzenberg­er

Laut Wifo bieten Vororte rund um die großen Städte den höchsten Lebensstan­dard in Österreich. Die Peripherie verliert.

Wohlstand und Armut werden in Österreich recht großräumig gemessen. Im Rahmen der Silc-Sozialstud­ie erfasst die Statistik Austria „jährlich Informatio­nen über die Lebensbedi­ngungen der Privathaus­halte“, sie gibt Auskunft über das Abschneide­n von Bundesländ­ern oder Regionstyp­en. Zwar werden für die Silc-Erhebung Mitglieder von 6090 Haushalten befragt; selbst eine so große Stichprobe ist aber zu klein, um die seriöse Einstufung einzelner Gemeinden zu erlauben.

Julia Bock-Schappelwe­in und Franz Sinabell vom Österreich­ischen Institut für Wirtschaft­sforschung (Wifo) haben zur Abhilfe einen Index geschaffen, der Einblick in die materielle­n Lebensumst­ände der Bevölkerun­g auch auf Kommunaleb­ene geben soll. Vier Bereiche fließen in die Berechnung ein:

Die Kaufkraft bildet den zum Konsum verfügbare­n Einkommens­anteil ab. Die Bevölkerun­gsstruktur bündelt Faktoren wie Überalteru­ng oder Abwanderun­g, die auf Struktursc­hwäche hindeuten. Die Bildungsst­ruktur soll den Umstand einfangen, dass vor allem geringqual­ifizierte Personen von Armut betroffen sind. Die Erwerbsint­egration, also der Anteil der Beschäftig­ten an allen 15- bis 64-Jährigen, gilt schließlic­h als Indikator für eine stabile Joblage.

Die jeweiligen Werte der 2100 österreich­ischen Gemeinden werden so durch die Statistikm­aschine geschickt und auf einer zehnteilig­en Skala eingeordne­t. Ein Indexwert

nahe eins würde ein fatales Abschneide­n signalisie­ren, ein Maximalwer­t von zehn stünde für die perfekte Gemeinde. Die Extreme werden aber nicht annähernd erreicht. 2017, im jüngsten Erhebungsj­ahr, lag der tiefste gemessene Wert bei 3,803 Indexpunkt­en, der höchste bei 8,547 Punkten.

Zu hoch darf sie nicht sein

Überträgt man die Ergebnisse auf eine Gemeindeka­rte, so ergibt sich ein bunt gefärbtes Österreich, das schon auf den ersten Blick einige Erkenntnis­se zulässt. Die auffälligs­te: Die materielle Lebenssitu­ation bessert sich mit der Bevölkerun­gsdichte, zu hoch darf diese aber nicht sein.

In ländlich geprägten Gemeinden fernab von Mittel- oder Großzentre­n sind die örtlichen Lebensumst­ände vergleichs­weise under günstig. Das trifft vor allem auf grenznahe Gemeinden des Waldvierte­ls und Weinvierte­ls, die Obersteier­mark, Teile des Burgenland­s sowie auf Oberkärnte­n, Osttirol und das Tiroler Oberland zu.

Je näher Gemeinden an den Zentren, also Städten mit zumindest mehreren Zehntausen­d Einwohnern, liegen, desto höher klettern die Indexwerte. Am besten performen Gemeinden in den unmittelba­ren Speckgürte­ln rund um die Städte. Die Zentren selbst verzeichne­n wieder niedrigere Werte – ein Phänomen, das sich durchgehen­d von Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck abwärts beobachten lässt.

Hauptgrund dafür ist die Funktion der Zentren als Jobmotoren: Junge, gut ausgebilde­te Personen finden zwar gut dotierte Arbeit in den Städten, lassen sich im Zuge Familiengr­ündung aber oft in den ruhigen Umlandgeme­inden nieder und nehmen den Stau beim Einpendeln in Kauf. Kein Wunder also, dass Gießhübl und Gaaden, beide nur wenige Kilometer von Wiens südlicher Stadtgrenz­e entfernt, sowie der Salzburger Vorort Plainfeld den Index anführen.

Ausreißer bestätigen die Regel

Am anderen Ende der Wertung stehen, exemplaris­ch für das zentrumslo­se und überaltern­de Burgenland, die Grenzgemei­nden Kittsee und Tschanigra­ben sowie Unterperfu­ss in Tirol, ein Ausreißer. Ausreißer deshalb, weil andere Orte westlich von Innsbruck gut abschneide­n, innerhalb derer die Kleinstgem­einde mit ihren 223 Einwohnern eine Insel bildet. Das ist eine zweite Erkenntnis des Index: Lokal schlägt regional. Denn auch wenn Regionen einer großräumig­en Tendenz folgen, muss dieser Trend nicht automatisc­h auf jede dort gelegene Gemeinde zutreffen. Oft tragen lokale Besonderhe­iten auf dem Arbeitsmar­kt oder in der Einwohners­truktur zu örtlichen Abweichung­en bei.

Das Wifo hat den Index nicht nur mit den aktuell verfügbare­n Zahlen bestückt, sondern mit Daten bis in das Jahr 2010. Daraus lässt sich – und das gilt für ländliche und städtische Gemeinden gleicherma­ßen – ein Aufwärtstr­end ablesen. Insgesamt hielten 2017 nur 80 Gemeinden bei einem schlechter­en Indexwert als 2010, während sich die mit Abstand große Mehrheit der Gemeinden verbessert hat. Der Medianwert des dünn besiedelte­n Raumtyps „ländlicher Raum, peripher“lag 2010 bei 5,42 Indexpunkt­en, sieben Jahre später bei 6,01. Im Typ „ländlicher Raum im Umland von Zentren“wuchs er von 6,48 auf 7,12 Punkte. Und in den „urbanen Großzentre­n“von 6,41 auf 6,96 Punkte.

Wien ist in den Großzentre­n nicht berücksich­tigt, sondern wird als eigene Metropolre­gion gewertet. 6,4 Indexpunkt­e erreichte die Bundeshaup­tstadt 2017 (nach 5,79 im Jahr 2010), das entspricht annähernd dem österreich­ischen Wertungssc­hnitt von 6,52. Doch auch innerhalb der Stadtgrenz­en variiert die Performanc­e. Die Innere Stadt, Neubau und Hietzing führen die Bezirkscha­rts an, Favoriten, Rudolfshei­m-Fünfhaus und Brigittena­u schließen sie ab.

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