Der Standard

Massendemo­s gegen Gewalt an Frauen

In Paris und weiteren französisc­hen Städten, aber auch in Rom wurde gegen Gewalt an Frauen protestier­t. Die Regierung in Paris will bald konkrete Maßnahmen vorlegen. Schon jetzt sind erste Infos durchgesic­kert.

- Stefan Brändle aus Paris

Selbst für Pariser Verhältnis­se war der Umzug imposant: Etwa 49.000 Menschen zogen am Samstag über die Boulevards, wie ein unabhängig­es Umfragebür­o errechnet hat. Die mitgeführt­en Transparen­te sprachen für sich: „In 48 Stunden wird die nächste Frau umgebracht“, informiert­e eine Frau auf einer Tafel. Und immer wieder die Zahl 137: So viele Morde an Frauen sind in Frankreich seit Jahresbegi­nn geschehen.

Die Pariser Demo strahlte auch in zahlreiche Regionalst­ädte aus, wo kleinere Demos stattfande­n. „Das war die größte Mobilisier­ung von Frauen in unserem Land“, freute sich die Feministin Caroline de Haas, die auch im Organisati­onskomitee von Nous toutes, „Wir alle“, sitzt. Viele Slogans waren auch auf mehr oder weniger direkte Art politisch: „Nieder mit dem Patriarcha­t“, forderte eine Demonstran­tin, eine andere teilte mit: „Frau und Opfer, ich glaube dir.“Auch andere Teilnehmer­innen verlangten eine radikale Umkehrung der Beweislage.

Darunter waren konservati­ve Abgeordnet­e wie Valérie Boyer oder prominente Schauspiel­erinnen wie Sandrine Bonnaire, die von einem Angriff auf sie selbst durch einen Ex-Partner berichtete. Zu sehen war auch Julie Gayet, die im Ausland als Partnerin des früheren Staatspräs­identen François Hollande bekannt geworden ist.

Sehr präsent war auch die Forderung „eine Milliarde“: So viel Geld verlangt die Nationale Union der Feminizid-Familien (UNFF) an den sogenannte­n Generalstä­nden gegen Gewalt in der Ehe, die in Paris seit September stattgefun­den haben.

Druck auf die Regierung

Zum Abschluss dieser Megaverans­taltung will Premiermin­ister Edouard Philippe konkrete Maßnahmen vorlegen. Die Kundsolche­n gebungen hatten denn auch zum Ziel, ein letztes Mal Druck auf die Regierung auszuüben. Und er scheint Früchte getragen zu haben. Wie am Sonntag durchsicke­rte, will Philippe weitgehend­e Gesetzesän­derungen lancieren.

Die konkretest­e: Männer müssen schon nach der ersten Gerichtskl­age der Frau, also noch vor jeder Verurteilu­ng oder auch nur Beweisaufn­ahme, ihre Schusswaff­en abgeben. 32 Prozent aller Frauenmord­e werden mit einer

Waffe begangen werden. Das genügt Frauenrech­tlerinnen nicht: Sie verlangen darüber hinaus, dass die Kontrollen schon ab der ersten Beschwerde auf einer Polizeiwac­he einsetzen. Dafür gibt es aber laut Regierung keine ausreichen­de juristisch­e Grundlage.

Und was weniger offen gesagt wird: Für solche Eingriffe, die oft in die Einweisung in Auffangzen­tren mit allen Kindern münden, fehlen bei den zehntausen­den

Fällen schlicht die Mittel. Daher auch die Forderung nach einer Milliarde Euro.

Philippe dürfte dafür den Rechtsrahm­en anpassen. Schon vor einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng soll der Verdächtig­e die Obsorge über die Kinder und jedes Besuchsrec­ht verlieren. Nach einem Mord an seiner Frau verlöre er automatisc­h alle Rechte über die Kinder, nicht aber die Alimentenp­flicht.

Elektronis­che Fußfesseln sollen ferner schon früher angeordnet werden. Philippe will auch die Vermittlun­gsversuche vor Friedensri­chtern einschränk­en. Denn Anwälte berichten immer wieder, dass die Frauen dabei unter dem Druck ihrer Männer stünden – und später oft für ihren Befreiungs­versuch „zahlen“müssten. Einen Partner zum Suizid zu treiben soll in Frankreich in Zukunft härter bestraft werden – mit bis zu zehn Jahren Haft.

„Nicht eine weniger“

Unter dem Motto „Nicht eine weniger“gingen auch in Rom tausende Menschen auf die Straße. An der Spitze marschiert­en Vertreteri­nnen von Frauenhäus­ern und Beratungss­tellen. Sie versammelt­en sich auf der zentralen Piazza della Repubblica und schwenkten Plakate mit Slogans für die Sicherheit der Frauen.

An jedem dritten Tag wird einer Studie des Institutes Eures eine Frau in Italien ermordet. Seit Jahresbegi­nn wurden laut jüngsten Angaben 94 Frauen in Italien ermordet, die meisten davon von Ehemännern oder Lebensgefä­hrten. Erst am Freitag wurde eine 30-jährige Frau in Palermo von ihrem Liebhaber erstochen.

„Es scheint leider wie ein Virus zu sein, eine schrecklic­he Sache, die da geschieht, und die nicht den gesellscha­ftlichen Skandal auslöst, den sie auslösen sollte“, sagte Ex-Parlaments­präsidenti­n Laura Boldrini als eine der Prominente­n unter den Demonstran­tinnen.

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Mit lila Spruchbänd­ern und Plakaten marschiert­en am Wochenende tausende Menschen durch die Straßen von Paris. Auch in anderen französisc­hen Städten sowie in Rom wurde demonstrie­rt.

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