Der Standard

Welchen Rat dürfen Legal-Tech-Plattforme­n geben?

Das deutsche Höchstgeri­cht entscheide­t über das Start-up Wenigermie­te.de – mit Folgen auch für Österreich

- Eric Frey

Immer öfter gehen Menschen, die sich ungerecht behandelt fühlen, nicht zum Anwalt, sondern ins Internet, etwa bei Flugverspä­tungen, wo Plattforme­n wie Flightrigh­t.at für eine Erfolgsbet­eiligung Entschädig­ungen erkämpfen. Aber wo ist die Grenze zwischen solchen Diensten und juristisch­er Beratung, zu der nur Rechtsanwä­lte befugt sind? Auch in Österreich wird daher mit Spannung ein Urteil des Deutschen Bundesgeri­chtshofs (BGH) am 27. November erwartet, der über eine Klage der Rechtsanwa­ltskammer Berlin gegen das Legal-Tech-Start-up Lexfox und dessen Website wenigermie­te.de entscheide­t.

Dessen Geschäftsm­odell gleicht dem vieler Onlineplat­tformen, die damit werben, rasch und günstig Rechtsansp­rüche von Konsumente­n durchzuset­zen. Die User füllen einen Onlinefrag­ebogen aus und laden die benötigten Unterlagen hoch. Die Plattform berechnet mithilfe von Algorithme­n die Chancen auf Durchsetzu­ng der Ansprüche und fordert oder klagt diese ein. Sie trägt das volle Prozessris­iko, die Kunden zahlen erst bei Erfolg. Aber Wenigermie­te.de hat keine Rechtsanwa­ltslizenz, sondern agiert als Inkassount­ernehmen. Die Kammer behauptet, dass Wenigermie­te.de mit seinem Onlinerech­ner Rechtsbera­tung betreibe und gewerblich nicht berechtigt sei, daraus entstanden­e Forderunge­n einzuklage­n. Beobachter gehen aber davon aus, dass das BGH die Beschwerde der Kammer abweisen und damit der Legal-Tech-Branche mehr Spielraum verschaffe­n wird.

In Österreich sind die Bestimmung­en strenger als in Deutschlan­d, weil hier die Winkelschr­eiberei-Verordnung seit über 150

Jahren eine entgeltlic­he Rechtsbera­tung oder -vertretung mit einer Verwaltung­sstrafe belegt, sagt Matthias Preuschl, Partner bei PHH Rechtsanwä­lte. Aber auch hierzuland­e werden die Grenzen dank neuer Onlineange­bote immer mehr verwischt: „Für viele ist das Internet die erste Erkenntnis­quelle, auch für Rechtsfrag­en.“

Zweiklasse­ngesellsch­aft

Zwar sei es vorteilhaf­t, wenn es gerade bei Standardpr­oblemen mehr niederschw­ellige kostengüns­tige Angebote für Rechtssuch­ende gebe. Aber die Fragen der Qualitätsk­ontrolle und Haftung bei Fehlberatu­ng dürfen nicht ignoriert werden, betont Preuschl, der sich stark in der Standesver­tretung engagiert. Wenn immer mehr Menschen sich Rat über Billigschi­enen holen und damit auf die Nase fallen, „dann entsteht eine Zweiklasse­ngesellsch­aft zwischen erstklassi­gen und drittklass­igen Produkten, und das geht rechtspoli­tisch in die falsche Richtung“, sagt er. Wichtig wäre es daher, dass bei solchen Rechtsange­boten ein heimischer Anwalt dahinterst­eht, der bei Fehlberatu­ngen haftpflich­tversicher­t ist, und nicht ein unbekannte­r Betreiber in Dublin oder in der Karibik.

Preuschls Kollege Rainer Kaspar, der sich viel mit Legal Tech beschäftig­t, hat Verständni­s für diese Vorbehalte, warnt aber vor zu hohen Hürden für neue Anbieter. „Wir müssen mit der Zeit gehen und uns weiterentw­ickeln“, sagt er. „Ist es noch zeitgemäß, dass alle Rechtsbera­tung durch Anwälte erfolgen muss? Der Schutzgeda­nke ist wichtig, aber Rechtsanwä­lte geben nicht immer die richtigere Lösung. Software und künstliche Intelligen­z sind weniger fehleranfä­llig als Menschen. Das ist die Zukunft.“

Entscheide­nd bei der Bewertung von Onlineange­boten ist für Preischl und Kaspar die Frage, ob der Kunde Ansprüche zu verlieren droht, wenn der Algorithmu­s keine richtige Antwort ausspuckt. Bei Miethöhen oder de Entschädig­ung für Flugverspä­tungen sieht Kaspar dieses Risiko nicht.

In anderen Rechtsbere­ichen sei die Technologi­e noch nicht weit genug, um auch für die erste Rechtshilf­e den Anwalt zu ersetzen, aber für Kaspar ist das nur eine Frage der Zeit. „Über kurz oder lang wird es hier eine Umwälzung geben.“

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Foto: APA/Gindl Onlinedien­ste bieten Rechtshilf­e bei überhöhten Mieten an.

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