Der Standard

Gemüsegart­en der Macht

Eine ausgelasse­ne Premiere von „König Karotte“an der Wiener Volksoper: Jacques Offenbachs schräge Zauberoper mixt grelle Politsatir­e mit Slapstick und beglückt die ganze Familie.

- Ljubiša Tošić

Machtverfr­essenheit bedarf der Kontrolle oder einer vegetarisc­hen Lektion, was Verantwort­ung bedeutet. Und da im Königreich Krokodyne ein Prinz namens Fridolin XXIV. an partyselig­er Ausgestalt­ung seines Alltags überintere­ssiert ist und seinem darbenden Volk wohl raten würde, gefälligst mehr Kuchen zu essen, bedarf es hierfür höherer Zaubermäch­te. Es gilt, den obersten Verschwend­er zum Tugendrege­nten umzuformen. Dieser heiklen Übung unterzieht sich ein netter Geist namens Robin (nach anfänglich­em intonatori­schen Abenteuer respektabe­l: Amira Elmadfa), wobei er eine Koalition mit der Bösen eingeht. Hexe Kalebasse (effektvoll­e Travestien­ummer: Christian Graf) will den Tugendlose­n ohnedies stürzen und waltet ihres Erweckungs­amtes. Sie lässt den neuen Herrscher aus dem blaublütig­en Gemüsegart­en sprießen.

So putscht sich die Möhre in einem elegant-gruseligen Schwarz-Weiß-Bild zum König Karotte (sehr kurzweilig Sung-Keun Park), der ein noch ungezügelt­erer Freund des Vergnügens ist. Er changiert zwischen herrischem Ton und wehleidige­r Brabbelspr­ache. Wie es ihm halt beliebt. Zum Zeitpunkt der Machtübern­ahme ist Fridolin (tolles Timbre Mirko Roschkowsk­i) der Clubbingsp­aß längst vergangen. In der Inszenieru­ng von Matthias Davids hat er mit exaltierte­n Tanzschrit­ten vermuten lassen, zu viele Ace Ventura-Filme (mit Jim Carrey) konsumiert zu haben. Nachdem er auch Prinzessin Kunigunde damit betörte (erheiternd-kapriziös Julia Koci), ist Fridolin nun jedoch auf der Flucht. Immerhin Robin und der kampfsport­erprobte Schwarzmag­ier (Yasushi Hirano) sind bei der Problemlös­ung hilfreich.

In der Volksoper dauert es nicht so lange bis zur glückliche­n Machtrücke­rgreifung wie bei der Uraufführu­ng 1872. Diese soll gute sechs Stunden gedauert haben. Davids hat durch dankenswer­tes Eindampfen

des Stückes so etwas wie eine durchgehen­de Märchenges­chichte herausdest­illiert. Ab der Hälfte zieht sie sich zwar etwas. Aber die Reise nach Pompeji (knapp vor dem Vulkanausb­ruch 79 n. Chr.) ist doch ganz nett gewesen wie auch der Trip ins Ameisenrei­ch: Selbiges wirkte, als hätten sich Yediritter mit Laserschwe­rtern in fleißige Sechsbeine­r verwandelt.

Fridolin wird glücklich

All dies ergibt auch einige räumliche Kontraste (Bühnenbild: Mathias FischerDie­skau), was gar nicht anders möglich ist, wenn einem Besuch der Affeninsel konkrete Exkurse in Richtung Politsatir­e folgen. Es sind dabei nicht nur Wankelmüti­gkeit und die Farbe der Karotte, welche an den USPräsiden­ten gemahnen, dessen Gesichtsfa­rbe sich ja nach Schminkvor­gang gern telegen der Möhre annähert. Da sind auch ausreichen­d Anspielung­en an eine Politik der Fake-News (auch von Boris, dem Briten). Zudem nuckeln saufende Burschensc­haften herzhaft an orientalis­chen Shishas, während später die Postenbese­tzung der Casinos Austria schmähend besungen wird. So wird die verrückte Story zu einem exaltierte­n Mix aus Politsatir­e und Revue geformt, zur Party schräg inszeniert­er Charaktere, an deren Ende Fridolin mit Roséedu-Soir (Johanna Arrouas) glücklich wird und doch nicht mit Kunigunde.

Da wäre der Polizeiche­f als Genie des Opportunis­mus (Marco Di Sapia). Da wäre der Zauberer Quiribibi, der nur helfen will, so man ihn dem Ofenfeuer überantwor­tet, aus dem er als Zauberbeng­el herauskomm­t. Dem surrealen Wahnwitz steht eine kunstgewer­blich tadellose Musik gegenüber, die das Orchester unter der Leitung von Guido Mancusi etwas überengagi­ert wirken lässt. Es fehlen da und dort Leichtigke­it und Poesie. Nur in melancholi­schen Momenten leuchten beide etwas auf. Aber das wird schon noch. 27. 11. und 2., 7., 11., 16., 20., 22. 12.

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König Karotte (Sung-Keun Park) stürzt Fridolin. Er verdankt seinen Aufstieg jedoch nur bösen Mächten und muss schließlic­h zurück ins Gemüsebeet.

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