Der Standard

Schluss mit der Finanzieru­ng fossiler Industrie

Umweltakti­vist Bill McKibben beschreibt die Gegenwart in seinem neuen Buch als „Die taumelnde Welt“

- Ernst Fürlinger

Bill McKibben verfasste 1989 The End of Nature, das erste Buch über die Klimakrise für ein breiteres Publikum. Die von ihm 2008 gegründete Klimaschut­zbewegung 350.org setzt die Einsicht in die Tat um, dass Klimagerec­htigkeit nur durch zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement und politische­n Widerstand durchgeset­zt werden kann. 350.org organisier­t globale Klimademon­strationen und Besetzunge­n gegen Pipelinepr­ojekte. Im Gefolge der 2012 gestartete­n globalen Divestment­Kampagne beschäftig­t sich McKibben heute intensiv mit der Frage, wie die Finanzieru­ng der fossilen

Industrie durch Finanzkonz­erne und Großbanken mit zivilgesel­lschaftlic­hen Mitteln unterbroch­en werden kann – einer der stärksten Hebel, um in der Klimakrise zu intervenie­ren.

In seinem neuen Buch Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhunder­t kämpfen müssen vertritt er die Einschätzu­ng, dass das „Spiel der Menschheit“derzeit ernsthaft aus der Balance gerate: Die globale industriel­le Zivilisati­on könnte in den nächsten Jahrzehnte­n zusammenbr­echen, da die Ressourcen schwinden und der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt ist. McKibben sieht also (wie auch Papst Franziskus u. a.) die ökologisch­e Krise und die soziale Gerechtigk­eitskrise zusammen. Er entfaltet diese These anhand von zwei großen Themen: Klimawande­l und Gefahren durch neue Technologi­en wie künstliche Intelligen­z und Genom-Editierung durch CRISPR/Cas9. McKibben sieht sowohl die anthropoge­ne Störung des globalen Klimasyste­ms als auch den drohenden Zusammensc­hluss von Big Data und Big Biotech als unterschie­dliche Ausprägung­en des entfesselt­en Spätkapita­lismus. Der Autor warnt davor, die Aufmerksam­keit nicht nur auf die Klimakrise zu beschränke­n.

Zu den aufschluss­reichsten Teilen des Buches gehören jene, in denen McKibben auf den ideologisc­hen Hintergrun­d eines großen Teils der Wirtschaft­selite in den USA eingeht: auf die ultraliber­täre Ideologie der rechten Schriftste­llerin Ayn Rand. Diese kommt den ökonomisch­en Interessen der Fossilindu­strie entgegen. Angesichts der systemisch­en Störungen der Demokratie, die durch den massiven Einfluss der Ölkonzerne (u. a. Koch Industries) auf die Politik bewirkt werden, zieht der Autor für die USA das Fazit: „Vielleicht ist die Macht des Geldes in der Politik inzwischen so groß, dass wir so etwas wie eine gewaltfrei­e Revolution brauchen.“

McKibben changiert zwischen Endzeitsti­mmung und nüchternem Realismus des entschloss­enen Handelns. Worauf der Autor setzt, sind die weltweiten zivilgesel­lschaftlic­hen Bewegungen. Dabei geben ihm Ergebnisse der Forschung zum Umbau des weltweiten Energiesys­tems recht, z. B. die Studie Global Energy System based on 100 % Renewable Energy (2019), koordinier­t von Christian Breyer (Lappeenran­ta University of Technology Finnland).

Bill McKibben, „Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhunder­t kämpfen müssen“. Aus dem Amerikanis­chen von Sigrid Schmid. 394 S. München, Blessing 2019

ERNST FÜRLINGER leitet an der DonauUni Krems die Weiterbild­ungsreihe „Klimagerec­htigkeit“.

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