Der Standard

ZITAT DES TAGES

Nach aufsehener­regenden Interviews hat der Verlag Ullstein beschlosse­n, Roger Hallams bereits gedrucktes Buch „Common Sense“doch nicht auszuliefe­rn. Der Mitbegründ­er von Extinction Rebellion regt mit Nazivergle­ichen auf.

- Bert Rebhandl

„Der Klimawande­l ist nur das Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt.“

Der Mitbegründ­er der Bewegung Extinction Rebellion, Roger Hallam, wird für seinen Holocaust-Vergleich massiv kritisiert

Wenn ein Verlag ein Buch nicht ausliefert, das bereits fertig gedruckt und zum Verkauf bereit ist, dann muss etwas Gravierend­es passiert sein. Common Sense von Roger Hallam war für den 26. November bei Ullstein angekündig­t – die deutsche Übersetzun­g eines Manifests von einem der Vordenker der Bewegung Extinction Rebellion, die mit Aktionen zivilen Ungehorsam­s auf die Gefahren des Klimawande­ls aufmerksam machen will.

Wie beim Start eines Spitzentit­els üblich, gab Hallam, der zurzeit in Wales lebt, ein paar Interviews, die pünktlich vergangene Woche erschienen sind. In diesen Gesprächen fielen Formulieru­ngen, die seither für Diskussion­en sorgen und Ullstein dazu bewogen haben, das Buch auf Deutsch doch nicht zu veröffentl­ichen.

Gegenüber der Zeit bezeichnet­e Hallam Genozide als „fast ein normales Ereignis“, und auf die Rückfrage, ob er damit der Shoah, der systematis­chen Vernichtun­g der Juden, das Alleinstel­lungsmerkm­al absprechen wolle, antwortete er mit einem Satz, der auf Englisch zitiert wird: „For me it’s just another fuckery in human history.“

Gegenüber dem Spiegel sagte Hallam: „Der Klimawande­l ist nur das Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt. Er ist nur der Mechanismu­s, durch den eine Generation eine andere tötet.“Auf Nachfrage konkretisi­erte Hallam: „Viele Extinction-Rebellion-Aktivisten sind mit Nazivergle­ichen nicht einverstan­den. Aber meine persönlich­e Meinung ist: Die Eliten haben die bewusste Entscheidu­ng getroffen, die nächste Generation zu zerstören, um an der Macht zu bleiben.“

In beiden Fällen ist der Kontext ein wenig verworren. Im Spiegel stellte Hallam einen Zusammenha­ng zwischen „Klimawande­l und Vergewalti­gung“her. Er rechnet mit einem wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Zusammenbr­uch. „Das bedeutet Krieg, das Abschlacht­en von Männern und die Vergewalti­gung von Frauen.“Erst bei dem Versuch, diesen Zusammenha­ng zu erläutern, kommt Hallam auf ein Bild (das „Rohr“), mit dem die Gaskammern in seine Argumentat­ion kommen.

In den Ausführung­en in der Zeit klingt das eher so, als sähe Hallam in der deutschen Geschichts­politik und im Umgang mit der NSVergange­nheit ein Hindernis dafür, sich den Herausford­erungen des Klimawande­ls zu stellen: „Die deutsche Kultur ist traumatisi­ert.“

Auch wenn die deutsche Ausgabe von Common Sense nicht erscheinen wird, ist das Buch auf Englisch leicht zu bekommen. Es lohnt einen Blick nicht nur deswegen, weil man dadurch die Gedanken des ehemaligen Landwirts besser verstehen lernt. Sondern auch, weil es deutlicher macht, warum sich Hallam überhaupt auf diese problemati­schen Vergleiche einlässt – wenn man ihm nicht unterstell­en möchte, wofür es auch Gründe gibt, dass Skandalisi­erung ein Teil seiner Taktik ist.

Probleme der Bewältigun­g

In einem Facebook-Post hat sich Hallam noch am Donnerstag für seine Aussagen entschuldi­gt und klargestel­lt, es wäre ihm keineswegs darum gegangen, den Holocaust „herunterzu­spielen“. In diesem Zusammenha­ng spricht er von dem „unspeakabl­e horror“des Holocausts und stellt ihm die

„unimaginab­le tragedy“des Klimawande­ls gegenüber. In beiden Fällen verwendet er also Begriffe, die sich auf die Grenzen der Vermittelb­arkeit beziehen.

Wenn etwas „unaussprec­hlich“oder „unvorstell­bar“ist, muss man nach Formen suchen, damit umzugehen. Bei der Shoah, einem Ereignis der Geschichte, hat die Menschheit mehr oder weniger das komplette Register ihrer Möglichkei­ten schon gezeigt: Pietät, Tabuisieru­ng, Wissenscha­ft, Schund, Verdrängun­g. Beim Klimawande­l, einem Ereignis an der Schwelle zwischen Gegenwart und Zukunft, stellen sich Probleme der Bewältigun­g anders: Wie kriegt man etwas zu fassen, was man wohl nur begreifen könnte, indem man es erlebt, was aber gerade verhindert werden muss?

Hallam macht in seinem Buch und mit seiner Rhetorik klar, dass er eine Zeitenwend­e gekommen sieht. Mit dem Klimawande­l endet die offene Zukunft, die eines der grundlegen­den Konzepte der Aufklärung darstellte. Dass er sich ausdrückli­ch auf diesen Epochenhor­izont bezieht, macht Hallam mit dem Buchtitel klar: Common Sense versteht er in dem Sinn, wie er es bei Thomas Paine zu lernen meint, einem Vordenker der amerikanis­chen Revolution. Die offene Zukunft der Aufklärung entsteht aus den Prozessen, die moderne Gesellscha­ften ausmachen. Diese Prozesse sind für Hallam aber untauglich, den Klimawande­l zu bewältigen, denn es gibt nur ein Ereignis, das adäquat darauf reagieren kann: eine Revolution.

Revolution statt Konferenz

Die Beispiele, die er konkret nennt, darunter auch die deutschen Montagsdem­onstration­en, die zur Wende führten, sollen alle dazu beitragen, den spezifisch­en Charakter der von Hallam skizzierte­n Revolution besser zu verstehen: Sie soll gewaltlos sein, Teilhabe ermögliche­n und genuin demokratis­ch sein. Allerdings macht Hallam sich nicht klar genug, dass er damit im Grunde der Prozesslog­ik von Gesellscha­ften verhaftet bleibt, die eher eine weitere Klimakonfe­renz erfinden als eine wirkungsvo­lle Disruption.

Bei den konkreten Zielen des zivilen Ungehorsam­s wird Hallam deutlicher: Ziel muss es sein, „Regimes“zu erpressen, sie auf dem falschen Fuß zu erwischen und zu „beenden“. In dem Zusammenha­ng bezeichnet er die „alten“Regimes (der Begriff ist so polemisch wie seine Rede von den Eliten) als „genozidal“. Damit werden Hallams Interviewp­assagen klarer.

Denn die Kategorie „Genozid“ist der Schlüssel zu Angelegenh­eiten, die die ganze Menschheit betreffen. Hallam überträgt das, was in intellektu­ellen Debatten als genozidale Konkurrenz bezeichnet wird, auf einen Horizont, der diese Konkurrenz sprengt: Der Genozid der Klimakatas­trophe, apokalypti­sch gefasst, hebt Vergleiche mit anderen Genoziden auf und so auch die Singularit­ät der Shoah.

Mit dem Klimawande­l bekommt es die Menschheit mit einem Ereignisty­pus zu tun, für den sie kaum Kategorien hat. Am Horizont wird etwas erkennbar, was in der Philosophi­e des Aufklärers Kant das Erhabene markiert: eine Erfahrung, die überforder­t.

Bei Kant war der Kontext für das Erhabene die Ästhetik. Mit dem Bild von der Erde als Gaskammer geht Hallam darüber weit hinaus und kündigt seinen Vergleich im selben Atemzug auf: Die Shoah war ein Zivilisati­onsbruch, doch ging die Geschichte weiter. Beim nächsten Mal muss das nicht so sein. Also ist es besser, die Zivilisati­on selbst zu unterbrech­en. So der Fluchtpunk­t seines Denkens.

„ Die Eliten haben die Entscheidu­ng getroffen, die nächste Generation zu zerstören, um an der Macht zu bleiben. Hallam im „Spiegel““

 ??  ?? Roger Hallam, Mitbegründ­er der Bewegung Extinction Rebellion, war einst Landwirt und ist jetzt Klimaaktiv­ist mit scharfer Rhetorik.
Roger Hallam, Mitbegründ­er der Bewegung Extinction Rebellion, war einst Landwirt und ist jetzt Klimaaktiv­ist mit scharfer Rhetorik.

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