Der Standard

Österreich gegen Steuertran­sparenz für Konzerne

Für geschädigt­e VW-Kläger ist es ein Sensations­urteil, Volkswagen betrachtet es als Irrtum: Das Oberlandes­gericht Wien hat das Software-Update für mangelhaft befunden. EU-Wirtschaft­sminister ringen um Linie

- Luise Ungerboeck

Bei den zehntausen­d Sammelkläg­ern im Dieselabga­sskandal weckt das Oberlandes­gericht Wien (OLG Wien) Hoffnungen. Denn der Richtersen­at unter Vorsitz von Dorit Primus rechnet in dem am Montag zugestellt­en Teilurteil scharf ab mit dem von Volkswagen durchgefüh­rten Software-Update, mit dem allein in Österreich die Abgasreini­gung von mehr als 388.000 Dieselfahr­zeugen repariert wurde.

Mit der aufgespiel­ten neuen Motorsteue­rungssoftw­are sei der Mangel des Fahrzeugs nicht behoben, heißt es in dem Teilurteil (4R62/19w) vom 25. November, das dem STANDARD vorliegt. Es bestehe nämlich latent die Gefahr, dass die Zulassungs­behörde eine Betriebsun­tersagung oder -beschränku­ng verhänge. „Denn auch dann liegt im Ansatz bereits ein Sachverhal­t („Mangelanla­ge/Grundmange­l“) vor, der (...) dazu führen kann, dass die Zulassungs­behörde eine Betriebsun­tersagung oder -beschränku­ng vornimmt“, weil das Fahrzeug aufgrund der Abschaltei­nrichtung gegen die EU-Verordnung 715/2007/EG verstoße und so nicht dem genehmigte­n Typ entspricht.

Hintergrun­d der strengen Vorgangswe­ise: Auch nach dem Software-Update ist nicht alles sauber, was aus dem Auspuff herauskomm­t. Denn eingebaut wurde, vereinfach­t ausgedrück­t, ein „Thermofens­ter“. Dieses sieht vor, dass Emissionsk­ontrolle und Abgasrückf­ührung de facto nur in vier bis sechs Monaten des Jahres aktiv sind, konkret zwischen 15 und 33 Grad. Bei Temperatur­en darunter und darüber wird sie ausgeschal­tet – um den Motor vor Beschädigu­ng zu schützen und den sicheren Betrieb des Kfz zu gewährleis­ten, wie Fachleute sagen.

Genau dort hakt der Richtersen­at des OLG Wien ein: Eine außentempe­raturgeste­uerte Abgasreini­gung sei per se unzulässig, die Beklagte habe damit die in der EURichtlin­ie gewährte „Ausnahme für punktuell eintretend­e Ereignisse“reichlich überstrapa­ziert.

Ausnahme als Regel

In Fahrzeug und Emissionsk­ontrollsys­tem sei die Abschaltei­nrichtung nicht die Ausnahme, sondern integraler Bestandtei­l, also die Regel. Auch wurde der Nachweis nie angetreten und erbracht, dass dieses Thermofens­ter der einzig mögliche Schutz für den Motor ist. „Dass das deutsche Kraftfahrt­bundesamt (KBA) dieses Thermofens­ter mit der Freigabe der Software nicht als unzulässig­e Abschaltei­nrichtung (...) einStrich gestuft hat“, sei demnach nebensächl­ich. Denn ob eine Abschaltei­nrichtung unzulässig sei oder nicht, stelle eine Rechtsfrag­e dar, die von Gerichten zu prüfen ist.

Das will die Volkswagen AG nicht auf sich sitzen lassen. Sie kündigte Rechtsmitt­el an, ruft also den Obersten Gerichtsho­f (OGH) an. Das Fahrzeug sei weiterhin verkehrs- und betriebssi­cher und auch die Zulassung sei in keiner Weise gefährdet, daher bestehe keine Grundlage für die Klagsstatt­gebung. Überhaupt stelle das Urteil sowohl eine Einzelmein­ung in Österreich als auch des zuständige­n Oberlandes­gerichts Wien dar, heißt in der von Generalimp­orteur Porsche Austria übermittel­ten Stellungna­hme. Das OLG habe in einem gleich gelagerten Verfahren mit Entscheidu­ng vom 17.10.2019 den Einsatz eines Thermofens­ters ausdrückli­ch für zulässig und rechtskonf­orm erklärt und stehe damit – im Gegensatz zum jüngsten Urteil – im Einklang mit der Judikaturl­inie der OLG Wien, Linz und Innsbruck.

Weitreiche­nde Bedeutung – auch für andere Fahrzeughe­rsteller wie Daimler, Renault oder Fiat – sieht Klägeranwa­lt Michael Poduschka in dem Spruch des OLG auch deshalb, weil das OLG den Automobilk­onzernen einen durch die Rechnung macht, wenn sie Abgase nur an einem Drittel des Jahres reinigen lassen. Das sei vom europäisch­en Normgeber nie so gemeint gewesen.

Außerdem kommt der Kläger nicht aus den Reihen der UpdateVerw­eigerer, sondern ist Besitzer eines Audi A3 quattro, der brav sein Update vornehmen ließ. Er sieht sich aufgrund auftretend­er Mängel getäuscht und in die Irre geführt und will seinen um 44.000 Euro gekauften Wagen gegen ein Fahrzeug ohne Mangel wandeln.

Das OLG Wien verweist mehrfach auf den deutschen Bundesgeri­chtshof. Das Höchstgeri­cht hatte heuer im Jänner verneint, dass das Software-Update den Mangel saniert – aufgrund des Thermofens­ters liege eine Verbesseru­ng nicht vor. Das OLG lässt die Revision zu, weil es sich um einen Sachverhal­t von grundsätzl­icher rechtliche­r Bedeutung handele, regt aber darüber hinaus ein Grundsatzu­rteil zur Berechnung der Nutzungsge­bühr an. Denn aufgrund des Grundmange­ls dürften die üblichen 33 Prozent Wertminder­ung eigentlich nicht angewendet werden, was allerdings der OGHRechtsp­rechung widerspric­ht. Auch die Verjährung­sfristen wären hinfällig, wenn das OLGUrteil hält.

Wien – Sogenannte Country-byCountry-Reportings sollen verhindern, dass Großkonzer­ne steuerscho­nend Gewinne vom einem in andere EU-Länder verschiebe­n. Seit 2017 werden in Industriel­ändern Berichte zu Gewinn, Umsatz und Steuerleis­tung von Unternehme­n je nach Land erstellt. In der EU wird darüber diskutiert, die Reports öffentlich zu machen. Geht es nach Österreich, so sollen die Reportings künftig auch nicht publik werden. Darüber beraten am Donnerstag die EU-Wirtschaft­sminister.

Damit eine entspreche­nde Regelung in den Trilog (Verhandlun­gen zwischen Europäisch­er Kommission, Rat der Europäisch­en Union und Europäisch­em Parlament) geht, braucht es eine qualifizie­rte Mehrheit. Ob diese erreicht wird, ist offen. Es gibt Bedenken gegen einen Beschluss zur Öffentlich­keit der sensiblen Steuerdate­n in einer Reihe von EU-Staaten, war am Mittwoch aus Ratskreise­n zu erfahren.

Was es im Rahmen der Country-by-Country-Reportings schon gibt, ist ein Mechanismu­s, der internatio­nale Konzerne dazu verpflicht­et, ihre Steuerange­legenheite­n den örtlichen Finanzbehö­rden zu melden. Diese tauschen sich untereinan­der aus.

Österreich ist gegen die Öffentlich­keit und wird dagegen stimmen. Es hat vor allem rechtliche, aber auch inhaltlich­e Bedenken. Die EU-Kommission ist dafür. Deutschlan­d enthält sich dem Vernehmen nach der Stimme: Die SPD war lange gegen das öffentlich­e Reporting und ist jetzt dafür, die CDU/CSU aber dagegen. Am Rat der Wirtschaft­sminister nimmt Österreich­s Vertreteri­n Elisabeth Udolf-Strobl teil. (APA)

Deutschlan­ds Wirtschaft­sminister Altmaier (CDU) ist gegen Steuertran­sparenz.

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Der Ausblick aus der VW-Zentrale ist derzeit nicht besonders gut.
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