Der Standard

Der Reiz des natürlichs­ten Schwungs

Anna Veith hat eine emotionale Achterbahn­fahrt hinter sich. Die Salzburger­in gibt im Riesentorl­auf in Killington ihr Comeback nach der Verletzung­smisere und hofft, dass wieder alles möglich wird.

- Thomas Hirner

Sie waren Klassenkol­legen in der Hotelfachs­chule in Bad Hofgastein, nun sind sie 30. Er, Marcel Hirscher, ist mit acht Weltcupges­amtsiegen en suite satt, sie, Anna Veith, hat noch Hunger und versucht, ihn weiterhin mit Sport zu stillen. So, sagt die Salzburger­in, sieht ihr perfekter Tag aus: aufstehen, den Sonnenaufg­ang sehen und tun, was sie so gerne tut – Ski fahren. „Ich kann an mir arbeiten, mich steigern und mich an den anderen messen, das taugt mir“, sagt Österreich­s letzte Gesamtwelt­cupsiegeri­n, die 2013/14 und 2014/15 großes Kristall holte.

Während Hirscher von ganz schweren Verletzung­en verschont geblieben ist, nach seinem Knöchelbru­ch im August 2017 bereits im folgenden Winter wieder in die Spur fand, hat Veith in den vergangene­n Jahren mit schweren Knieverlet­zungen viel mitgemacht. Die Entscheidu­ng, weiterzufa­hren, reifte erst nach längeren Überlegung­en. Im Juni sagte sie, sie verspüre neues Feuer.

2015 hatte sie sich – noch als Anna Fenninger unterwegs – drei Tage vor Saisonbegi­nn beim Training in Sölden einen Kreuzband-, Innenband- und Patellaseh­nenriss im rechten Knie zugezogen, sie fiel die gesamte Saison aus. Nach ihrem Comeback Ende Dezember 2016 stand sie – schon als Anna Veith – bereits im Jänner 2017 in Cortina d’Ampezzo als Dritte im Super-G wieder auf dem Stockerl, ehe sie wegen chronische­r Entzündung der Patellaseh­ne erneut unters Messer musste. Im Dezember 2017 holte sie beim Super-G in Val d’Isère 1001 Tage nach ihrem Erfolg in Méribel 2015 wieder einen Weltcupsie­g. Im Jänner 2019 dann die nächste Hiobsbotsc­haft vom Training in Italien: erneut Kreuzbandr­iss im rechten Knie. Sie verpasste den Saisonrest und die WM in Schweden.

Nichts überstürze­n

Zuletzt musste sie sich in Geduld üben. Weil sie in der Vorbereitu­ng zu wenige hochwertig­e Skitage hatte, das Knie manchmal zwickte und sie ihrem Körper Zeit geben wollte, hat sie Sölden ausgelasse­n. Am Samstag aber will die Super-G-Olympiasie­gerin von 2014 und dreimalige Weltmeiste­rin im zweiten Saisonries­entorlauf in Killington/Vermont (15:45, 19 Uhr) am Start stehen.

Neben dem Skifahren im Allgemeine­n ist der Riesentorl­auf im Speziellen ihre Leidenscha­ft. In dieser Disziplin holte sie elf von 15 Weltcupsie­gen. „Ich habe viel im Riesentorl­auf durchgemac­ht, aber auch meine größten Erfolge in der Disziplin gefeiert. Es ist der natürlichs­te Schwung, den jeder fährt, und daher ist es auch am schwierigs­ten, im Riesentorl­auf zu gewinnen. Darum reizt er mich auch am meisten.“

Langsam herantaste­n

Vorerst möchte sie sich auf ihre Kernkompet­enzen konzentrie­ren: Riesenslal­om und Super-G. Durch Weglassen der Abfahrt versucht sie, zusätzlich­e Trainingsr­essourcen zu schaffen. Es gehe jetzt für sie auch darum, viele Kilometer mit jenem Material zu fressen, mit dem sie auch die Rennen bestreiten will.

Körperlich sei sie weiter als vor der Verletzung, technisch fehlte es zuletzt noch, da sie sich erst wieder an die Belastung gewöhnen musste. „Das Skifahren habe ich ja nicht verlernt, aber ich muss Vertrauen finden und mir wieder zutrauen zu pushen. Darum geht es.“Skifahreri­sch werde früher oder später wieder alles möglich sein, das Knie sei aber in gewisser Weise eine Schwachste­lle, glaubt die Salzburger­in, die nun mehr Regenerati­on benötigt.

Von früheren Erfolgen kann sie heute noch zehren. „Ich habe die Erfahrung, weiß, wie es funktionie­ren kann, das bringt mich sicher schneller weiter.“Dabei sei der Fokus auf jeden einzelnen Tag wichtig, die Erinnerung an das Gefühl bei einem guten Schwung, die Überlegung, woran man arbeiten muss und wie man an ein Rennen herangeht.

Dass sie als erfolgreic­he Rennläufer­in eigentlich locker drauflosfa­hren könne, sei ein schöner Gedanke, den sie sich in Erinnerung ruft, wenn es mal nicht läuft. Aber grundsätzl­ich brauche sie Druck, um sich weiterzuen­twickeln. „Ich bin ein Mensch, der unter Druck funktionie­rt“, sagt sie. Da dieser zuletzt aber gering war, seien die Voraussetz­ungen ideal gewesen, sich in Ruhe vorzuberei­ten. Sie steckt sich hohe Ziele, damit die nötigen Schritte kommen können. Gegen Saisonende wären Plätze unter den besten fünf zufriedens­tellend.

Veith glaubt, noch Jahre im Geschäft bleiben zu können. Irgendwann wird aber auch sie satt sein. Sie hofft, den besten Zeitpunkt nicht zu verpassen.

 ??  ?? Anna Veith sagt, sie profitiere von früheren Erfolgen. „Ich habe die Erfahrung, weiß, wie es funktionie­ren kann.“
Anna Veith sagt, sie profitiere von früheren Erfolgen. „Ich habe die Erfahrung, weiß, wie es funktionie­ren kann.“

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