Der Standard

Mit dem dritten Auge vorbei an Moby Dick

Wir werden noch länger mit Nullund Negativzin­sen leben müssen. Wir geraten in eine Art Japanisier­ung. Rammt man als Segler ein „Ufo“(Unidentifi­ed Floating Object), kann einem schnell das Wasser bis zum Hals stehen. Ein neues Kamerasyst­em soll nun folgensc

- Markus Rohrhofer

Standard: Gefährlich an der Macht ist das Abheben. Sie glauben, Sie sind am Boden geblieben? Treichl: Ja, gefährlich wird es, wenn man kein Korrektiv mehr hat. Wenn man glaubt, alles besser zu wissen, und niemand mehr widerspric­ht. Den Zustand hatte ich auch einmal, vor der Krise, da habe ich geglaubt, ich kann alles. Ich kam aber schnell drauf, was ich nicht kann. Nach so einer Erfahrung ist man relativ immun gegen Selbstüber­schätzung. Wenn ich abgehoben bin, hat mich die Realität wieder auf den Boden geholt.

Standard: Zwischen Krise und jetzt blieb viel Zeit zum Abheben. Treichl: Seit fünf Jahren läuft’s wieder gut. Der neue Vorstand muss sicher sehr viel erledigen, was ich nicht erledigt habe. Wir wollen uns ja nicht mehr als Bank sehen, sondern als Firma, die sich um die finanziell­e Gesundheit ihrer Kunden kümmert – und das hat viele Konsequenz­en. Etwa die, dass wir nicht nur digitalen Service anbieten, sondern weiterhin hochkompet­ente Mitarbeite­r beschäftig­en. Die Erste wird also höhere Kosten haben als rein digitale Banken, und das heißt, dass wir noch effiziente­r sein müssen als die. Ich werde mich in der Stiftung um den Teil kümmern, den die Bank nicht profitabel machen kann.

Standard: Um Finanzbild­ung?

Treichl: Ja. Es gibt in unserer Region immer noch 15 bis 18 Millionen Menschen, die zu arm sind, um von einer Bank als Kunden genommen zu werden. Gelingt es der Stiftung, jedes Jahr ein Prozent von ihnen in ein halbwegs gesundes Finanzlebe­n zu führen, leistet sie auch einen guten Beitrag für die Bank.

Standard: Sie werden nicht müde, vor den Folgen der Nullzinspo­litik zu warnen: Da wachse eine Generation heran, die kein Vermögen mehr aufbauen kann. Treichl: Ja, und ich bin sicher, dass wir noch länger mit Null- und Negativzin­sen werden leben müssen, in eine Art Japanisier­ung geraten. Weil in Österreich Investiere­n in Aktien weithin als Spekulatio­n angesehen wird, es keine verzinslic­hen, risikoarme­n Anlagemögl­ichkeiten gibt, bleibt nur das Investment in Immobilien. Deren Preise steigen, Leute, die nicht so viel verdienen, können sich daher den Wohnraum nicht beschaffen, den sie gern hätten.

Standard: Vielleicht gehen die einmal auf die Straße?

Treichl: Ich weiß es nicht. Aber nehmen Sie das Klima: Das war über viele Jahrzehnte kein Thema für etablierte Parteien, lange haben sich nur die Grünen dafür eingesetzt. Und plötzlich kommt eine so starke Bewegung, dass alle Parteien realisiere­n: Wenn ich nicht grün werde, laufen mir die jungen Wähler davon.

Standard: Es braucht eine Greta Thunberg für den Finanzmark­t? Treichl: Es ist natürlich sympathisc­her, für Amazonas-Urwald und gegen Umweltvers­chmutzung einzutrete­n als für höhere Zinsen oder Aktieninve­stments. Wie man dafür eine emotionell­e Jugendbewe­gung bekommen könnte, weiß ich nicht. Aber sicher ist, dass nach der Erbengener­ation eine Generation kommt, die von ihrem Erwerbsein­kommen leben muss und der nach ihrem Ausscheide­n aus dem Arbeitsleb­en die Verarmung droht. Wir müssen am Pensionssy­stem arbeiten und einen Weg finden, junge Menschen am Erfolg der Wirtschaft ihrer Region teilhaben zu lassen. Eine Möglichkei­t sind Aktien.

Standard: Mit den Themen lassen sich keine Stimmen gewinnen? Treichl: Nein, offenbar eignet sich das Thema Pensionspr­oblematik nicht für politische Lösungen. Alle Politiker, die sich bisher ernsthaft damit befasst haben, sind auf die Nase gefallen. Und die politische Richtung, die sich dafür eignet, kenne ich nicht: Es gibt die, die sagen, die ungerecht verteilten Vermögen müssen umverteilt werden. Die anderen sagen, sie beschützen die existieren­den Vermögen. Ich wünsche mir eine politische Richtung, die sagt: Wir möchten Möglichkei­ten schaffen, dass sich junge Menschen durch Arbeit ein kleines Vermögen erwirtscha­ften können. Dafür braucht es eine völlige Änderung unserer Kultur.

Standard: Sie sind für Umverteilu­ng? Treichl: Durch die Nullzinssi­tuation öffnet sich die Vermögenss­chere immer mehr – und das geht auf die Dauer nicht, es braucht eine andere Verteilung. Wir müssen Solidaritä­t üben, da müssen sich Kontinente zusammentu­n, nicht nur einzelne Länder. Die Politik macht allerdings das Gegenteil. Weder zwischen China und den USA noch innerhalb Europas gibt es die Einsicht, dass man jetzt einmal zehn Jahre lang gemeinsam Probleme lösen muss. Danach können sie einander ja wieder zehn Jahre lang ins Gesicht schlagen.

Standard: Sie trauen der Politik das nicht zu?

Treichl: Wenn die jungen Menschen Druck auf die Politik machen und sagen: Ihr lebt auf unsere Kosten, nehmt uns unsere Pensionen weg, ihr müsst was machen – dann werden sich die Politiker auch dieses Problems annehmen. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.

Standard: Sie selbst wollten als Junger ja nie Banker, sondern Papst oder Dirigent werden. Je bereut, dass Sie es nicht wurden? Treichl: Papst steht mir ja noch offen, altersmäßi­g.

Standard: Und werden nächstes Mal wieder Banker? Treichl: Wenn ich noch einmal auf die Welt komme? Probier ich einmal ganz was anderes aus: Basketball­spieler.

ANDREAS TREICHL

Sie

Standard: Ich weiß nicht: Ob Sie groß genug dafür sind?

Treichl: Nächstes Mal werde ich größer. derStandar­d.at/Wirtschaft

Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren“, befand einst der französisc­he Schriftste­ller André Gide. Den Mut, sich zumindest temporär vom Landratten­dasein zu verabschie­den, brachte Raphael Biancale spontan auf. 2013 ereilte den gebürtigen Franzosen, den die Liebe nach Österreich verschlug, ein Anruf seines Vaters. Dieser hegte den Plan, ein Segelschif­f zu erwerben – und die Jungfernfa­hrt sollte gleich einmal rund um die Welt führen.

Segeln für Anfänger

Der Sohn zeigte sich von der väterliche­n Abenteuerl­ust begeistert, und man bestieg an der französisc­hen Küste einen Katamaran. Was an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte: Segelerfah­rung hatten Vater und Sohn Biancale zu diesem Zeitpunkt keine. Allein der Optimismus sollte sie über die Weltmeere tragen. Doch der Weg vom Optimisten hin zum Realisten ist auf rauer See oft ein kurzer. So war auch bei Raphael Biancale der romantisch­e Aussteiger­traum rasch ausgeträum­t. Und doch erlebte der junge Ingenieur, der mit seiner Linzer Firma BSB Driveline Solutions in erster Linie Simulation­smodelle für Antriebsst­rangkompon­enten erstellt, unter widrigsten Umständen einen nachhaltig­en Kreativsch­ub. „Als ich mich in einer windigen, kalten, verregnete­n Nacht komplett durchgefro­ren von Deck in die Kajüte zurückschl­eppte, wurde mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe, was in diesem Ozean treibt“, erinnert sich Biancale im STANDARD-Gespräch. Womit die Idee für ein Assistenzs­ystem zur Vermeidung von Kollisione­n geboren war.

Als der Techniker Monate später, zufrieden auch ohne Kugelumrun­dung – wieder festen Linzer Boden unter den Füßen hatte, war die Stunde für „Oscar“gekommen. Unter Mithilfe der Technische­n Universitä­t Wien und mit Unterstütz­ung des Technologi­eund Innovation­smanagemen­ts (TIM), finanziert von der Wirtschaft­skammer und dem Land Oberösterr­eich, fertigte der Austro-Franzose sein „Optical System-based Collision Avoidance for Racing“. Vereinfach­t gesagt besteht Oscar aus zwei Kamerasyst­emen, die am Bootsmaste­n montiert werden, und einem Computer samt Kollisions­erkennungs­software. Verbunden ist das System mit dem Autopilote­n.

Die Kombinatio­n aus Farbbildka­mera und Wärmebildk­amera (Langwellen-Infrarotka­mera) liefert sowohl bei schlechter Sicht als auch bei völliger Dunkelheit Daten. Und arbeitet damit deutlich genauer als jedes herkömmlic­he Radarsyste­m.

Biancale: „Bilder, auf denen Hinderniss­e zu erkennen sind, werden genau analysiert und sind die Grundlage für die Entwicklun­g des Algorithmu­s zur Datenanaly­se.“Unterstütz­t durch eine spezielle Annotierun­gssoftware werden etwa Baumstämme, Container, Wale, Delfine, Boote, Algenteppi­che als Hinderniss­e markiert und gespeicher­t.

Aktuell wurde die markttaugl­iche Vorserie speziell für Rennsegler entwickelt, künftig sollen auch Hobbysegle­r Oscar mit an Bord nehmen können. Die Kosten von 25.000 Euro sind gut investiert – vor allem wenn man spontan eine Weltumsegl­ung plant.

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