Mit dem dritten Auge vorbei an Moby Dick
Wir werden noch länger mit Nullund Negativzinsen leben müssen. Wir geraten in eine Art Japanisierung. Rammt man als Segler ein „Ufo“(Unidentified Floating Object), kann einem schnell das Wasser bis zum Hals stehen. Ein neues Kamerasystem soll nun folgensc
Standard: Gefährlich an der Macht ist das Abheben. Sie glauben, Sie sind am Boden geblieben? Treichl: Ja, gefährlich wird es, wenn man kein Korrektiv mehr hat. Wenn man glaubt, alles besser zu wissen, und niemand mehr widerspricht. Den Zustand hatte ich auch einmal, vor der Krise, da habe ich geglaubt, ich kann alles. Ich kam aber schnell drauf, was ich nicht kann. Nach so einer Erfahrung ist man relativ immun gegen Selbstüberschätzung. Wenn ich abgehoben bin, hat mich die Realität wieder auf den Boden geholt.
Standard: Zwischen Krise und jetzt blieb viel Zeit zum Abheben. Treichl: Seit fünf Jahren läuft’s wieder gut. Der neue Vorstand muss sicher sehr viel erledigen, was ich nicht erledigt habe. Wir wollen uns ja nicht mehr als Bank sehen, sondern als Firma, die sich um die finanzielle Gesundheit ihrer Kunden kümmert – und das hat viele Konsequenzen. Etwa die, dass wir nicht nur digitalen Service anbieten, sondern weiterhin hochkompetente Mitarbeiter beschäftigen. Die Erste wird also höhere Kosten haben als rein digitale Banken, und das heißt, dass wir noch effizienter sein müssen als die. Ich werde mich in der Stiftung um den Teil kümmern, den die Bank nicht profitabel machen kann.
Standard: Um Finanzbildung?
Treichl: Ja. Es gibt in unserer Region immer noch 15 bis 18 Millionen Menschen, die zu arm sind, um von einer Bank als Kunden genommen zu werden. Gelingt es der Stiftung, jedes Jahr ein Prozent von ihnen in ein halbwegs gesundes Finanzleben zu führen, leistet sie auch einen guten Beitrag für die Bank.
Standard: Sie werden nicht müde, vor den Folgen der Nullzinspolitik zu warnen: Da wachse eine Generation heran, die kein Vermögen mehr aufbauen kann. Treichl: Ja, und ich bin sicher, dass wir noch länger mit Null- und Negativzinsen werden leben müssen, in eine Art Japanisierung geraten. Weil in Österreich Investieren in Aktien weithin als Spekulation angesehen wird, es keine verzinslichen, risikoarmen Anlagemöglichkeiten gibt, bleibt nur das Investment in Immobilien. Deren Preise steigen, Leute, die nicht so viel verdienen, können sich daher den Wohnraum nicht beschaffen, den sie gern hätten.
Standard: Vielleicht gehen die einmal auf die Straße?
Treichl: Ich weiß es nicht. Aber nehmen Sie das Klima: Das war über viele Jahrzehnte kein Thema für etablierte Parteien, lange haben sich nur die Grünen dafür eingesetzt. Und plötzlich kommt eine so starke Bewegung, dass alle Parteien realisieren: Wenn ich nicht grün werde, laufen mir die jungen Wähler davon.
Standard: Es braucht eine Greta Thunberg für den Finanzmarkt? Treichl: Es ist natürlich sympathischer, für Amazonas-Urwald und gegen Umweltverschmutzung einzutreten als für höhere Zinsen oder Aktieninvestments. Wie man dafür eine emotionelle Jugendbewegung bekommen könnte, weiß ich nicht. Aber sicher ist, dass nach der Erbengeneration eine Generation kommt, die von ihrem Erwerbseinkommen leben muss und der nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben die Verarmung droht. Wir müssen am Pensionssystem arbeiten und einen Weg finden, junge Menschen am Erfolg der Wirtschaft ihrer Region teilhaben zu lassen. Eine Möglichkeit sind Aktien.
Standard: Mit den Themen lassen sich keine Stimmen gewinnen? Treichl: Nein, offenbar eignet sich das Thema Pensionsproblematik nicht für politische Lösungen. Alle Politiker, die sich bisher ernsthaft damit befasst haben, sind auf die Nase gefallen. Und die politische Richtung, die sich dafür eignet, kenne ich nicht: Es gibt die, die sagen, die ungerecht verteilten Vermögen müssen umverteilt werden. Die anderen sagen, sie beschützen die existierenden Vermögen. Ich wünsche mir eine politische Richtung, die sagt: Wir möchten Möglichkeiten schaffen, dass sich junge Menschen durch Arbeit ein kleines Vermögen erwirtschaften können. Dafür braucht es eine völlige Änderung unserer Kultur.
Standard: Sie sind für Umverteilung? Treichl: Durch die Nullzinssituation öffnet sich die Vermögensschere immer mehr – und das geht auf die Dauer nicht, es braucht eine andere Verteilung. Wir müssen Solidarität üben, da müssen sich Kontinente zusammentun, nicht nur einzelne Länder. Die Politik macht allerdings das Gegenteil. Weder zwischen China und den USA noch innerhalb Europas gibt es die Einsicht, dass man jetzt einmal zehn Jahre lang gemeinsam Probleme lösen muss. Danach können sie einander ja wieder zehn Jahre lang ins Gesicht schlagen.
Standard: Sie trauen der Politik das nicht zu?
Treichl: Wenn die jungen Menschen Druck auf die Politik machen und sagen: Ihr lebt auf unsere Kosten, nehmt uns unsere Pensionen weg, ihr müsst was machen – dann werden sich die Politiker auch dieses Problems annehmen. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.
Standard: Sie selbst wollten als Junger ja nie Banker, sondern Papst oder Dirigent werden. Je bereut, dass Sie es nicht wurden? Treichl: Papst steht mir ja noch offen, altersmäßig.
Standard: Und werden nächstes Mal wieder Banker? Treichl: Wenn ich noch einmal auf die Welt komme? Probier ich einmal ganz was anderes aus: Basketballspieler.
ANDREAS TREICHL
Sie
Standard: Ich weiß nicht: Ob Sie groß genug dafür sind?
Treichl: Nächstes Mal werde ich größer. derStandard.at/Wirtschaft
Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren“, befand einst der französische Schriftsteller André Gide. Den Mut, sich zumindest temporär vom Landrattendasein zu verabschieden, brachte Raphael Biancale spontan auf. 2013 ereilte den gebürtigen Franzosen, den die Liebe nach Österreich verschlug, ein Anruf seines Vaters. Dieser hegte den Plan, ein Segelschiff zu erwerben – und die Jungfernfahrt sollte gleich einmal rund um die Welt führen.
Segeln für Anfänger
Der Sohn zeigte sich von der väterlichen Abenteuerlust begeistert, und man bestieg an der französischen Küste einen Katamaran. Was an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte: Segelerfahrung hatten Vater und Sohn Biancale zu diesem Zeitpunkt keine. Allein der Optimismus sollte sie über die Weltmeere tragen. Doch der Weg vom Optimisten hin zum Realisten ist auf rauer See oft ein kurzer. So war auch bei Raphael Biancale der romantische Aussteigertraum rasch ausgeträumt. Und doch erlebte der junge Ingenieur, der mit seiner Linzer Firma BSB Driveline Solutions in erster Linie Simulationsmodelle für Antriebsstrangkomponenten erstellt, unter widrigsten Umständen einen nachhaltigen Kreativschub. „Als ich mich in einer windigen, kalten, verregneten Nacht komplett durchgefroren von Deck in die Kajüte zurückschleppte, wurde mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe, was in diesem Ozean treibt“, erinnert sich Biancale im STANDARD-Gespräch. Womit die Idee für ein Assistenzsystem zur Vermeidung von Kollisionen geboren war.
Als der Techniker Monate später, zufrieden auch ohne Kugelumrundung – wieder festen Linzer Boden unter den Füßen hatte, war die Stunde für „Oscar“gekommen. Unter Mithilfe der Technischen Universität Wien und mit Unterstützung des Technologieund Innovationsmanagements (TIM), finanziert von der Wirtschaftskammer und dem Land Oberösterreich, fertigte der Austro-Franzose sein „Optical System-based Collision Avoidance for Racing“. Vereinfacht gesagt besteht Oscar aus zwei Kamerasystemen, die am Bootsmasten montiert werden, und einem Computer samt Kollisionserkennungssoftware. Verbunden ist das System mit dem Autopiloten.
Die Kombination aus Farbbildkamera und Wärmebildkamera (Langwellen-Infrarotkamera) liefert sowohl bei schlechter Sicht als auch bei völliger Dunkelheit Daten. Und arbeitet damit deutlich genauer als jedes herkömmliche Radarsystem.
Biancale: „Bilder, auf denen Hindernisse zu erkennen sind, werden genau analysiert und sind die Grundlage für die Entwicklung des Algorithmus zur Datenanalyse.“Unterstützt durch eine spezielle Annotierungssoftware werden etwa Baumstämme, Container, Wale, Delfine, Boote, Algenteppiche als Hindernisse markiert und gespeichert.
Aktuell wurde die markttaugliche Vorserie speziell für Rennsegler entwickelt, künftig sollen auch Hobbysegler Oscar mit an Bord nehmen können. Die Kosten von 25.000 Euro sind gut investiert – vor allem wenn man spontan eine Weltumseglung plant.