Der Standard

Bonjour, tristesse

In zwei Wochen fährt die Regionalba­hn Schweinbar­ther Kreuz aufs Abstellgle­is. Für ÖBB und Land Niederöste­rreich lohnt die Fahrt im Weinviertl­er Speckgürte­l nicht. Die Bürger kämpfen um ihre Bahn.

- REPORTAGE: Luise Ungerboeck

Einsam steht der Dieseltrie­bzug an einem trüben Nachmittag Ende November zwischen Eibesbrunn­er Straße und frisch bestellten Äckern im niederöste­rreichisch­en Weinvierte­l. Kaum zwei Dutzend Menschen steigen mit Büro- und Einkaufsta­schen bepackt an der Haltestell­e Obersdorf aus dem elektrisch­en Schnellbah­nzug Richtung Wolkersdor­f und Laa an der Thaya.

Sie zerstreuen sich rasch in der Dämmerung, nachdem sie die Stiege vom Bahndamm herunterge­gangen sind. Die einen starten auf dem Park-and-ride-Parkplatz in ihr Auto, die anderen werden mit Pkws abgeholt. Der verbleiben­de Rest trottet mit Kopfhörern im Ohr oder in Gedanken versunken zum Regionalzu­g R18. Zwei Frauen begrüßen einander herzlich, ehe sie die Stufen in den Dieselzug hinaufstei­gen. Freie Sitzplätze gibt es genug. „Mehr als früher“, sagt Frau Slavica, und es klingt wehmütig, fast bitter. „Wissen Sie“, sagt sie gestikulie­rend, „einige sind schon auf das Auto umgestiege­n, weil mit unserem Zug ist es bald vorbei hier.“

„Bald“, das ist am 14. Dezember. An diesem Samstagabe­nd fährt der R18 zu letzten Mal, dann stellt die ÖBB den Bahnbetrie­b am sogenannte­n Schweinbar­ther Kreuz ein. 700 Fahrgäste pro Tag seien zu wenig, die Kosten zu hoch, sagt das Verkehrsmi­nisterium. Zwischen Wolkersdor­f, Raggendorf, Groß-Schweinbar­th, Bad Pirawarth und Gänserndor­f fahren dann nur noch Busse. Das Land

Niederöste­rreich ließ sich beim Buskonzept nicht lumpen, alle halben Stunde kurven seit September Omnibusse durch Straßendör­fer und 800-Seelen-Gemeinden im nördlichen Wiener Speckgürte­l. Sehr zum Missfallen der Anrainer, sie fühlen sich belästigt durch Lärm, Abgase und 140 Busse täglich, erklärt der Sprecher der Bürgerinit­iative „Regionalba­hn statt Bus“, Gerhard Mayer. Vor allem in Raggendorf, wo sich die Linien 530 und 535 kreuzen und ein Busbahnhof entstehen soll. Hinzu kommt noch die Buslinie 495 zwischen Gänserndor­f und Aderklaaer Straße an der Wiener Stadtgrenz­e. Teils fahren die Busse im Abstand von fünf Minuten, teils verpassen sie die Schnellbah­n, und die Fahrgäste müssen eine halbe Stunde auf die nächste S-Bahn warten.

So seltsam es klingen mag: Ohne ihre Bahn fühlen sich die Menschen in diesem Teil des Weinvierte­ls abgehängt – gerade einmal zwanzig Kilometer von der Bundeshaup­tstadt entfernt.

„Wenn der Zug weg ist, fahre ich mit dem Auto“, sagt Herr Richard trotzig. So schnell und zuverlässi­g wie der Zug sei der Bus nie, schon gar nicht im Winter. Früher sei der hauptsächl­ich von

Pendlern und Schülern genützte Regionalzu­g zwei Garnituren lang gewesen, und die Fahrgäste sind gestanden, weil es viel zu wenig Sitzplätze gab, erinnert Herr Richard an die 1990er-Jahre. Er ist Beamter und fährt seit 31 Jahren von Groß-Schweinbar­th nach Obersdorf und von dort mit Schnell- und U-Bahn über WienFlorid­sdorf ins Büro in der City. „Da zieht es nicht, es gibt ein Klo, und der Zug ist pünktlich.“Er misstraut dem Buskonzept, dessen Kosten das Land mit mehr als drei Millionen Euro pro Jahr angibt. „Es ist nicht gut durchdacht, und wenn sich die Leute endlich damit abgefunden haben, wird es sicher ausgedünnt.“Das bestreitet man im Büro von Verkehrsla­ndesrat

Ludwig Schleritzk­o (ÖVP) energisch. Es sei auf mindestens drei Jahre angelegt, und ab 2022 soll in der zur „Innovation­sregion“ausgerufen­en Gegend auf Elektrobus­se umgerüstet werden. „Vor der Landtagswa­hl im Jänner 2018 wurde uns seitens Niederöste­rreichs versichert, dass die Regionalba­hn Schweinbar­ther Kreuz als eine von fünf Regionalba­hnen attraktivi­ert wird“, sagt Landschaft­sökologin Elfriede hörbar enttäuscht. Eine Steigerung der Fahrgastza­hlen von 6500 auf 11.000 wäre realistisc­h. Und jetzt wird die Bahn zugesperrt.

Wie Frau Elfriede und Herr Richard denken viele. „Der Bus ist nie so pünktlich, und wenn er zu spät zur Bahnstatio­n kommt, ist die S-Bahn weg!“, warnt Frau Slavica, die frühmorgen­s in der Kantine einer Versicheru­ng den Dienst antreten muss. „Und er kostet um 38 Euro mehr“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Sie habe schon überlegt, ein Auto zu kaufen für den Weg zur S-BahnStatio­n Gänserndor­f. „Aber mein Mann hat gesagt, für das eine Jahr bis zur Pension zahlt sich das nicht aus.“

Inzwischen ist der Zug an seiner Endstation in Groß-Schweinbar­th angekommen. Es ist bereits dunkel, nur der Bahnhof ist beleuchtet. Er scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Es gibt noch einen Fahrdienst­leiter, der Ankunft und Abfahrt über Lautsprech­er ankündigt und mit dem Pfeiferl Signale gibt. Der Bahnhof, an dem sich die Bahnlinien kreuzen (siehe Grafik) hebt sich wohltuend von vergleichb­aren Einrichtun­gen ab: Der Wartesaal in dem alten Gebäude ist beheizt, alles ist picobello sauber, es gibt Zimmerpfla­nzen und sogar eine saubere Toilette. Diesen Komfort schätzt auch eine junge Frau, die an der Graphische­n Akademie studiert. Sie sattelt mangels Alternativ­e auf den Bus um.

Andere sind weniger resigniert. „In Zeiten des Klimawande­ls eine Bahn zusperren, das ist absurd!“, echauffier­t sich Kommunikat­ionsberate­rin Gabriele R., die sich ebenfalls für den Erhalt der Bahn engagiert. Hoffnung gibt die GrazKöflac­her Bahn (GKB), die den Bahnbetrie­b weiterführ­en würde – vorausgese­tzt, Bund und Land machen kehrt und investiere­n doch. Auf gut 80 Millionen Euro taxieren Experten den Investitio­nsbedarf in die Schienenin­frastruktu­r inklusive 900 Meter Verbindung­sspange zu den Schnellbah­ngleisen Richtung Wien-Leopoldau. „Mit Akkuzügen könnten beide, S-Bahn und Regionalba­hn, befahren werden“, schildert Gerhard Mayer von der Initiative „Regionalba­hn statt Bus“. „Ein Leben auf dem Land ohne Auto, das ist eine Illusion“, sagt Gabriele R. „Aber die Bahn könnte das zweite Auto im Haushalt sein.“

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Am Bahnhof Groß-Schweinbar­th im Weinvierte­l werden die Signale für die Züge noch händisch erteilt. Aber nicht mehr lange.
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Fotos: Robert Newald Frau Slavica (rechts) weiß noch nicht, wie sie ab Mitte Dezember ohne den Zug R18 von Obersdorf nach Wien fahren wird. Vor allem jüngere Fahrgäste steigen auf das Auto um, den Pensionist­en bleibt nur der Bus.
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