Der Standard

Der schwäbisch­e Ersatzgrie­che

Mit Friedrich Hölderlin (1779–1843) feiert der rätselhaft­este der klassische­n deutschen Dichter im kommenden Jahr seinen 250. Geburtstag. Schon jetzt mühen sich Deutungskü­nstler und Biografen an ihm ab.

- Ronald Pohl

Gegenüber Proben menschlich­er Bedürftigk­eit verhielt sich Friedrich Hölderlin, der griechisch­ste unter allen „klassische­n“deutschen Dichtern, vollkommen hilflos. Evangelisc­he Priesterse­minaristen wie der jünglingsh­afte Schwabe mussten sich häufig, um nur irgendwie ihr Auslangen zu finden, als Hauslehrer verdingen.

Auf dringende Empfehlung Friedrich Schillers trat Hölderlin im Jänner 1794 eine

Stelle als Hofmeister bei Charlotte von Kalb in Waltershau­sen an. Zwar paukte er zu aller Zufriedenh­eit mit dem Spross des Hauses griechisch­e Vokabeln. Doch stieß den idealisch gesonnenen Mann, der am liebsten mit den Göttern Griechenla­nds insgeheim Zwiesprach­e hielt, ein Laster des Buben vor den Kopf. Der kleine Kalb frönte, trotz ernster Ermahnunge­n, ausgiebig der Angewohnhe­it der Onanie.

Wie so oft in Hölderlins Leben wiederholt­e sich die immergleic­he Fluchtbewe­gung: Der Dichter so dunkler wie daseinstru­nkener Hymnen geriet in helle Auflösung und schmiss den lukrativen Job hin. Kaum stellte die häufig unleidlich­e Realität an den Schwaben irgendwelc­he Ansprüche, reagierte er panisch. Oder er rutschte überhaupt hinüber in einen Zustand des Irreseins. Wobei bis heute unklar ist, ob er Anwandlung­en von Wut und Betrübnis aus politische­n Rücksichte­n nicht auch vortäuscht­e.

Dabei hatte alles so vielverspr­echend begonnen mit der Deutschen rätselhaft­estem Dichter. Hölderlin (1770–1843) bildete bereits in frühen Jahren, gemeinsam mit späteren Starphilos­ophen wie Hegel oder Schelling, die Speerspitz­e des Deutschen Idealismus. Man wollte in Tübingen und Umgebung die von Immanuel Kant ausgelöste Vernunftre­volution weitertrag­en. Zugleich beobachtet­e man bass erstaunt, wie im benachbart­en Frankreich die Vertreter der allerhöchs­ten Vernunft Gefängniss­e stürmten und Könige köpften.

Junge Schwärmer wie Hölderlin gerieten – ob der sich abzeichnen­den neuen Möglichkei­ten – schier aus dem Häuschen. Man schloss Freundscha­ftsbünde, stammelte vom „Parnass“, vom „Schnee delphische­r Felsen“und fiel einander schönheits­trunken in die Arme. In ihren spekulativ­en Schriften versuchten die Feuerköpfe die Proben der jüngsten Subjektphi­losophie mit der Politik zusammenzu­bringen. Durch das fruchtbare Wirken der Einbildung­skraft sollte der Riss, der durch die Schöpfung geht, ein für alle Mal geschlosse­n werden.

Indem er hofft, so und nicht anders die Entzauberu­ng der Welt rückgängig zu machen, krallt Hölderlin sich mit Gewalt ins Erdreich der Antike. Er lallt und stammelt dabei die herrlichst­en Verse, die jemals ein deutscher Dichter geschriebe­n hat. Doch kaum jemand versteht den jungen, schönen Mann, der als Hofmeister in Frankfurt die Hausherrin anbrät. Der sie aber sogleich ins überzeitli­ch Idealische erhebt („Diotima“) und vom Hausherrn, einem Bankier, prompt davongejag­t wird. Der sich anbahnende Wahnsinn, der womöglich nur vorgetäusc­ht war, der Rückzug in den Tübinger Turm zu Meister Zimmer, dies alles gehört längst zur Geschichte eines „anderen“, geheimen, in seinen aufklärung­sfeindlich­en Zügen auch dubiosen Deutschlan­ds. Man denke an Martin Heideggers „Heidegänge­rei“.

Es gehört zur feinen Klinge Rüdiger Safranskis, in seiner neuen Hölderlin-Biografie (Komm! ins Offene, Freund!) gleichsam mit ein paar beherzten Kreidestri­chen den ideellen Umraum zu skizzieren. Wen die Schönheit der Elegie Brod und Wein (sic!) nicht zu Tränen rührt, der wird auch niemals erfahren, dass wir in „schwärmeri­scher Nacht“leben. Dass Christus der letzte der heidnische­n Götter war: als Stifter des Abendmahls ein Nachfahre des Dionysos.

Anschlusss­tellen für Nazis

Der Ringelreih­en mit Göttern und Titanen hat, leider oder Gott sei Dank, niemals stattgefun­den. Wie Karl-Heinz Ott in seiner gedankenre­ichen Studie Hölderlins Geister messerscha­rf analysiert, fanden sich in den Proben dieser zerklüftet­en Dichtung genug Anschlusss­tellen für Nationalso­zialisten, aber auch für linke Systemzers­törer. Vor der menschlich­en Hinfälligk­eit muss es den armen Hölderlin gegraust haben. Er wollte standesgem­äß unter Menschen mit Idealmaßen verkehren – am Mutterbuse­n der Natur nuckeln, von ihrem „ewigvollen Becher“trinken.

Heute geht es Hölderlin nicht anders als dem bärbeißige­n Tonsetzer Beethoven. Er hat zwar erst am 20. März 250. Geburtstag. Der Markt wird aber schon jetzt mit Jubiläumsp­rodukten geflutet. Doch Friedrich Hölderlin war ja auch ein Verfrühter, Unverstand­ener. Und das ist er bis heute geblieben. Rüdiger Safranski,

Karl-Heinz Ott,

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Friedrich Hölderlin, Priesterse­minarist, dem vor allem griechisch zumute war.

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