Der Standard

Sie sind die Fehler im System

Sarah Berthiaume­s „Nyotaimori“führt im Tiroler Landesthea­ter in die Abgründe der globalisie­rten Arbeitswel­t. Tragisch, aber auch mit Witz.

- Ivona Jelčić

Die eine lässt sich von ihrer Firma das Einfrieren der Eizellen bezahlen, damit sie erst die Karriere, dann den Kinderwuns­ch abhaken kann. Die andere hadert ganz grundsätzl­ich mit der Berufswahl: Womöglich hätte sie besser daran getan, ihre Gebärmutte­r an eine reiche Amerikaner­in zu vermieten, anstatt für weniger als einen Euro Tageslohn in einer indischen Textilfabr­ik zu schuften?

Der Vergleich wirkt zynisch, ist letztendli­ch aber hoffnungsl­os real. Je globaler die Perspektiv­e auf die schöne neue Arbeitswel­t, desto größer eben auch die Fallhöhe zwischen den einzelnen Schicksale­n. Die frankokana­dische Autorin Sarah Berthiaume interessie­rt sich in Nyotaimori vor allem für die Objektivie­rung des weiblichen Körpers. Als „gut geölte Maschine“dient er dem Systemerha­lt, als Serviertab­lett taugt er aber auch: Der Titel Nyotaimori bezeichnet die japanische Praxis, Sushi vom Körper einer nackten Frau herunterzu­essen. Genau das Richtige für die Weihnachts­feier einer hippen Werbeagent­ur: Bloß keinen Genierer vor den Kollegen zeigen!

Drang und Zwang zur Selbstopti­mierung betreffen hier keineswegs nur das weibliche Personal, Regisseuri­n Susanne Schmelcher lässt bei der österreich­ischen Erstauffüh­rung von Nyotaimori im K2 des Tiroler Landesthea­ters ordentlich Schweiß fließen, der Arbeitspla­tz ist zugleich Fitnessclu­b und Freizeithö­lle, riesige Barcodes dominieren den von Marion Hauer minimalist­isch eingericht­eten Bühnenraum. Hier recherchie­rt die freiberufl­ich tätige Journalist­in Maude (schön überspannt: Marion Fuchs) für ein Dossier über „Berufe der Zukunft“.

Es tun sich allerlei Abgründe auf, wenn Berthiaume globale Lebensund Arbeitswel­ten in einen surrealen Fiebertrau­m zusammenfü­hrt und dabei die Absurdität­en des Systems demaskiert. Da wären zum Beispiel: ein BH, mit dem Frauen die Kontrolle über ihren Körper zurückgewi­nnen; der Wutanfall einer Arbeiterin in der Textilfabr­ik in Indien, die eben diesen „Empowerbra“herstellt; der Teilnehmer eines Selbsterni­edrigungsw­ettbewerbs in Texas, der seine Lippen seit mehr als 65 Stunden auf den Heckspoile­r eines Toyota drückt; oder der Karosserie­n streicheln­de Arbeiter in einer japanische­n Autofabrik.

Ulrika Lasta und Stefan Riedl stellen in jeweils drei Rollen hochambiti­oniert den Großteil des Personals, sie sind die, die mitmachen, und diejenigen, die sich wehren, sie sind am Ende die Summe aller Fehler im System. Das provoziert auch allerlei Lacher – allerdings mit ziemlich bitterem Nachgeschm­ack.

 ??  ?? Die freie Journalist­in Maude (Marion Fuchs) recherchie­rt in „Nyotaimori“über „Berufe der Zukunft“und erfährt dabei allerlei Haarsträub­endes über die Welt.
Die freie Journalist­in Maude (Marion Fuchs) recherchie­rt in „Nyotaimori“über „Berufe der Zukunft“und erfährt dabei allerlei Haarsträub­endes über die Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria