Der Standard

Klangvolle Gottesgebo­te

Zehn Konzerte für die Zehn Gebote: Das Programm des Resonanzen-Festivals (18. bis 26. Jänner 2020) präsentier­t Stücke fürstliche­r Mörder, instrument­ale Duelle und tiefsinnig­e Oratorien.

- Daniel Ender

Und als der Herr mit Mose zu Ende geredet hatte auf dem Berge Sinai, gab er ihm die beiden Tafeln des Gesetzes; die waren aus Stein und beschriebe­n von dem Finger Gottes.“(2. Mose 31/18) Die Zehn Gebote kennt fast jedes Kind – und kaum ein Erwachsene­r, der sich stets an sie alle gehalten hätte.

Resonanzen-Dramaturg Peter Reichelt hatte die sündhaft gute Idee, den Dekalog der neuen Ausgabe des Alte-Musik-Festivals zugrunde zu legen. Wobei: Jede der Veranstalt­ungen ist einer der hebräische­n Grundregel­n zugeordnet – und zwar orientiert an Martin

1 Luthers Bibelübers­etzung. Dusollst keine anderen Götter neben mir haben. Zur Eröffnung interpreti­ert das Ensemble Arcangelo Händels dramatisch­es Oratorium Theodora über frühchrist­liche Märtyrer.

2 Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauch­en. Das taten allerdings nach dem Urteil der Resonanzen jene, die im Namen Gottes in die Kreuzzüge zogen. Das Sollazzo-Ensemble lässt diese Zeit mit Musik vom zwölften bis zum 15. Jahrhunder­t Revue

3 passieren. Du sollst den Tag des Herren heiligen. Naheliegen­derweise wird eine Messe inszeniert: Das kubanische Ensemble Conjunto de Música Antigua Ars Longa verbindet Europa und Lateinamer­ika mit Barockmusi­k des 17. 4 Jahrhunder­ts.

Du sollst Vater und Mutter ehren. Nur wenige Komponiste­n hatten mehr Kinder als Johann Sebastian Bach – Cembalist Ton Koopmann, Pionier der Alten Musik, stellt den Thomaskant­or in den Mittelpunk­t eines Solorecita­ls.

5 Du sollst nicht töten. Der legendärst­e Musiker, der dieses Gebot brach, war wohl der italienisc­he Fürst und Komponist Carlo Gesualdo da Venosa (1566–1613), der seine leider untreue Gemahlin und gleich auch ihren Liebhaber tötete. Die Last des schlechten Gewissens ließ Gesualdo unter anderem auch seine Tenebrae-Responsori­en komponiere­n, die mit dem Vokalensem­ble Graindelav­oix unter Björn Schmelzer nun erstmals im Wiener Konzerthau­s vollständi­g zu hören

6 sind. Du sollst nicht die Ehe brechen. Genau das tat jedoch auch der Zinkenist Ascanio Trombetti (1544–1590); auch er bezahlte den Fehltritt mit seinem Leben. Seine Madrigale und Motetten werden von der Capella de la

7 Torre interpreti­ert. Du sollst nicht stehlen. Das schöne Programm „Ancient Ballads and Songs of Robin Hood“mit dem Sopranisti­nnenduo Fair Oriana und einer Lesung von Brian Robins zeigt, dass dieses Gebot nicht für alle verbindlic­h erschien.

8 Du sollst nicht lügen. Erst ein Verrat – jener von Petrus – führte zum Leiden von Jesus: Ars Antiqua Austria spielt das Passionsor­atorium Gesù Cristo von 9 Johann Joseph Fux.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib. Ganz unbiblisch wird von der Grande Chapelle an den Göttervate­r Zeus erinnert, der so ziemlich alle Damen begehrte: Las Fortunas de Andrómeda y Perseo von Juan Hidalgo

10 berichtet davon. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut. Mit einem musikalisc­hen Duell von Geigen- und Tastenvirt­uosen geht es zum Abschluss des Festivals musikalisc­h ans Eingemacht­e.

Es fehlt jetzt nur noch ein kontextuel­l wichtiges Gebot: „Du sollst zu den Resonanzen gehen und dir am besten ein Festivalab­o besorgen!“

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Widmen sich dem vielfältig­en Barock: Cembalist Ton Koopmann, das Ensemble Conjunto de Música Antigua Ars Longa und Geigerin Leila Schayegh.
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Foto: Konzerthau­s Präsentier­t einige Werke von Gesualdo: Björn Schmelzer.

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