„Ich bin gesund, aber HIV-positiv“
Seit fast sieben Jahren lebt Memo Mokhles mit der Diagnose HIV. Auch wenn er anfangs Angst hatte, ausgegrenzt zu werden, hat sich sein Leben seither nicht stark verändert. Diskriminierung gibt es aber immer noch, davon erzählen auch andere Betroffene.
Ich bekam die Diagnose im Februar 2013. Ich hatte es fast befürchtet, denn im Dezember ging es mir nicht gut, ich hatte Fieber und bin einmal ohnmächtig geworden. Die Infektion muss vor Weihnachten, im November oder Dezember, gewesen sein.
Damals hat die Aidshilfe in einem Lokal im sechsten Bezirk Tests angeboten. Das ist praktisch und weniger angsteinflößend, dass man das an einem lockeren Ort machen kann und nicht direkt zur Aidshilfe gehen muss. Einer der Berater sagte mir dann, dass ich positiv bin. Weil es aber eine einprozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass der Test falsch positiv ist, wurde ein zweiter gemacht. Diese Woche, die da dazwischenlag, bis das zweite Ergebnis kam, war schrecklich. Denn man hat natürlich immer noch einen kleinen Funken Hoffnung. Obwohl die Chance gering ist.
Dann hat sich das Ergebnis bestätigt. Ich bekam vom Berater eine Liste mit Ärzten, einen davon habe ich kontaktiert. In seiner Ordination wurden Tests gemacht und mir alle Therapiemöglichkeiten vorgestellt. Seither nehme ich jeden Tag eine Tablette, bin unter der Nachweisgrenze und kann somit niemanden infizieren.
Soziale Ängste
Die Zeit nach der Diagnose war nicht einfach. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass HIV heutzutage nicht so schlimm ist, habe ich mir viele Fragen gestellt: Werde ich die Liebe finden? Werde ich ausgegrenzt? Es ist nicht einfach, mit diesen Sorgen umzugehen. Dabei war meine größte Angst nicht meine Gesundheit, sondern es waren soziale Ängste. Das sagt auch viel über diese Krankheit aus.
Ich bin ein Mensch, der sich sagt: Das ist blöd und schlimm, aber es bringt auch nichts, traurig zu sein. Ich wollte nicht zulassen, ein Opfer zu werden. Ich musste mein Leben einfach fortsetzen und die Erkrankung in mein Leben integrieren.
Meiner besten Freundin habe ich es zuerst erzählt. Mit Gummibärchen und Wein bin ich zu ihr gefahren. Sie war sehr unterstützend, stand aber auch unter Schock. Das konnte ich verstehen. Meinen engsten Freunden habe ich es auch erzählt, auch meiner Chefin, weil man mir deutlich angemerkt hat, dass etwas nicht stimmt.
Wenn ich neue Menschen treffe, sage ich nicht sofort: „Hallo, ich bin HIV-positiv.“Wenn es aber im Gespräch ein Thema ist, verstecke ich mich nicht. Es ist wie beim Comingout. Beim ersten Mal denkt man sich:
„Oh mein Gott, wie werden die Leute reagieren?“Beim hundertsten Mal ist es nur noch: „Hallo, ich bin schwul. Und?“So ähnlich ist es auch, wenn man HIV-positiv ist. Je offener man damit umgeht, desto häufiger ist es kein Thema mehr. Die Menschen reagieren ganz unterschiedlich. Viele sind komplett locker. In der Schwulenszene gibt es viele, die aufgeklärt sind. Sie sagen nur: „Ja, okay, kein Problem.“Es gibt aber auch Leute, die sich sehr schrecken. Im Großen und Ganzen sind die Reaktionen aber verständnisvoll.
In Beziehungen dachte ich am Anfang, ich muss es meinen Partnern immer gleich sagen. Mittlerweile hat sich das geändert. Ich gefährde ja die Person, mit der ich Sex habe, nicht. Weil ich unter der Nachweisgrenze bin und wir uns schützen. Wenn es ein Thema wird, bin ich aber immer ehrlich. Es ist heute viel einfacher, eine Beziehung zu führen, ohne Angst zu haben. Außerdem gibt es mit der PreP (PräExpositions-Prophylaxe, Vorsorge vor einem Risikokontakt, Anm.) neben Kondomen eine weitere Option, sich präventiv zu schützen. Das hilft Paaren mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzukommen.
In der Schwulenszene gibt es den Ausdruck „Bist du gesund?“. Ich antworte dann: „Ja, ich bin gesund, aber HIV-positiv.“Denn das hat nichts mit gesund sein zu tun. Meine Lebenserwartung ist wie die aller anderen, ich huste nicht, habe keine Verkühlung, bin tipptopp gesund. Auf Englisch lautet die Frage „Are you clean?“. Das ist noch schlimmer, denn ich bin nicht schmutzig, weil ich HIV-positiv bin.
Vor allem bei Menschen, von denen man erwarten würde, dass sie besonders gebildet und informiert sind, ist man oft mit Diskriminierung konfrontiert. Zahnärzte sind die allerschlimmste Gruppe, davon berichten viele HIVBetroffene. Das ist heutzutage nicht akzeptabel. Als ich vor einigen Jahren wegen akuter Schmerzen beim Zahnarzt war und gesagt habe, dass ich Medikamente gegen HIV nehme, hat der Arzt mir erklärt, dass er mich am Ende des Tages behandeln muss. Obwohl es dafür keine Begründung gibt. Ich konnte das überhaupt nicht nachvollziehen, wo ich doch unter der Nachweisgrenze bin. Warum soll es da eine besondere Regelung geben? Es könnte doch auch jemand zum Zahnarzt kommen, der nicht weiß, dass er HIVpositiv ist, eine sehr hohe Viruslast hat – damit würde es viel wahrscheinlicher zu einer Infektion kommen. Zahnärzte müssen sowieso bei jedem Patienten Maßnahmen setzen, dass so etwas nicht passieren kann. Ich habe den Arzt dann angezeigt, vor Gericht haben wir aber verloren. Mit der Begründung, es sei keine Diskriminierung, am Ende des Tages behandelt zu werden.
Falsche Bilder
Bei HIV sind leider längst nicht alle Menschen auf dem gleichen Stand. Das hat mit falschen Bildern zu tun. Wenn eine Person mit HIV in einem Film vorkommt, ist sie am Ende meist tot. Es gibt kaum Darstellungen von HIV-positiven Leuten, die ein ganz normales, langweiliges Leben führen. So ist mein Leben auch gerade. Ich gehe ganz normal arbeiten, ins Fitnessstudio, einkaufen, habe einen Freund.
Ich habe für meine Masterarbeit über die Auswirkung von Stigmata auf die Arbeitsleistung Interviews mit HIV-positiven Menschen geführt. Auf die Frage, welches Tier er wäre, hat ein Gesprächspartner geantwortet: Ein Nilpferd, weil ich gefährdet und gefährlich bin. Es gibt also immer noch HIV-positive Menschen, die sich für gefährlich halten. Das sollte nicht sein.
Was ich einem neu diagnostizierten Menschen sagen würde? Auch wenn es sich anfangs so anfühlt, als würde die Welt untergehen. So ist es nicht. Man wird lange leben und darf nicht zulassen, dass das Virus gewinnt. Man muss das Leben genießen, die Medikamente regelmäßig nehmen, auf die Gesundheit aufpassen und vor allem am Anfang Unterstützung suchen. Es macht einen riesengroßen Unterschied, wenn man mit anderen darüber sprechen kann. Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag.