Der Standard

Forscher bringen Kolibakter­ien dazu, CO2 statt Zucker zu fressen

Eine raffiniert­e Kombinatio­n aus Gentechnik und Evolution im Labor führte zur radikalen Umstellung des Stoffwechs­els

- Klaus Taschwer

Rehovot/Wien – Kolibakter­ien leben im Darm, ernähren sich von Zucker und dienen uns als Vitaminlie­feranten. Zwar sind die meisten Stämme des Bakteriums nicht gefährlich; die pathogenen allerdings zählen zu den häufigsten Verursache­rn von menschlich­en Infektions­krankheite­n.

Für die molekularb­iologische Forschung ist Escherichi­a coli – so die wissenscha­ftliche Bezeichnun­g – einer der wichtigste­n Modellorga­nismen. Nicht wenige Entdeckung­en, die mit einem Nobelpreis ausgezeich­net wurden, gingen auf Studien zurück, die an Kolibakter­ien angestellt wurden.

Einige Entwicklun­gen haben höchst praktische Bedeutung: So werden Insulin und Wachstumsh­ormone längst mittels gentechnis­ch modifizier­ter Stämme von E. coli hergestell­t. An noch radikalere­n Nutzbarmac­hungen des Bakteriums arbeitet der israelisch­e Systembiol­oge Ron Milo (Weizmann-Institut). Konkret hat er sich mit seinen Kollegen in den letzten zehn Jahren vor allem damit befasst, die Ernährung von E. coli umzustelle­n.

Dabei gelang 2016 ein erster kleiner Durchbruch: Milo und sein Team erschufen einen Bakteriens­tamm, der sich auch von Kohlendiox­id „ernährte“. Allerdings machten die damaligen

Mengen nur einen Bruchteil der verstoffwe­chselten organische­n Verbindung­en aus.

Diese Woche allerdings berichtete­n die Forscher im Fachblatt Cell von einem Erfolg, den etliche Kollegen, die nicht an den Untersuchu­ngen beteiligt waren, bereits als Meilenstei­n bezeichnen: Milos Gruppe hat nämlich in einer Kombinatio­n aus Gentechnik und

„beschleuni­gter Evolution“einen neuen Stamm von E. coli kreiert, der seinen gesamten Kohlenstof­fbedarf mit Kohlendiox­id deckt.

Der Weg zum Erfolg war alles andere als einfach: Im ersten Schritt statteten die Forscher Bakterien mit Genen aus, die Enzyme herstellen, die in Pflanzen dazu dienen, CO2 mit der Hilfe von Licht in Kohlenstof­f zu verwandeln. Da Licht als Energieque­lle für die Bakterien ausfiel, schleusten die Forscher ein weiteres Gen ein, das in Form eines organische­n Moleküls Energie bereitstel­lt.

Trotz dieser beiden Eingriffe weigerten sich die Bakterien, Kohlendiox­id zu verstoffwe­chseln. Also gaben die Forscher den gentechnis­ch modifizier­ten Kolibakter­ien nur wenig Zucker, setzten sie aber einer Luft aus, die 250-mal mehr CO2 enthielt als in der Atmosphäre. Nach etwa 200 Tagen kam es tatsächlic­h zu den ersten gewünschte­n Mutationen an insgesamt elf Genen.

Die völlig umgebauten Kolibakter­ien brauchen zwar sehr viel höhere Konzentrat­ionen von CO2 als in unserer Atmosphäre vorhanden. Milo hält die Arbeit nur für einen Zwischensc­hritt. Er will in Zukunft andere Stämme des Bakteriums herstellen, die erneuerbar­e Kraftstoff­e oder sogar Nahrung herstellen können. Bis das gelingt, werde es allerdings noch einige Zeit dauern.

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