Der Standard

„Rechte haben Angst, Linke haben Mitgefühl“

Der deutsche Philosoph und Sprachwiss­enschafter Philipp Hübl beschreibt, wie Emotionen die Politik polarisier­en – und dies über den Gruppenzwa­ng der sozialen Medien noch weiter verstärkt wird.

- INTERVIEW: Eric Frey

Standard: Sie fordern in Ihren Büchern mehr Vernunft im politische­n Diskurs ein. Wie schlecht steht es um die Diskussion­skultur in Deutschlan­d und Europa heute? Hübl: Die Mehrheit der Menschen interessie­rt sich für Fakten und dafür, wie man Probleme lösen kann. Aber wir sehen auch eine starke Polarisier­ung in den sozialen Medien. Die sehr linken und sehr rechten Stimmen sind sehr laut geworden, die ausgewogen­e, oft auch erschöpfte Mitte ist ruhiger. Deshalb bekommt man den Eindruck auf Facebook oder Twitter, dass sich die Leute die Köpfe einschlage­n. Aber sobald moralisch-politische Themen diskutiert werden, fällt es allen Menschen schwerer, bei den Fakten zu bleiben. Wir wollen unsere moralische Identität schützen, und diese ist durch unsere Werte definiert, die geben wir nicht gerne auf. Wer glaubt, Flüchtling­e sind eine Bedrohung für unsere Identität, wird eher Nachrichte­n suchen, die dieser These entspreche­n, und dazu neigen, alles, was dem widerspric­ht, als Lügenpress­e oder als Propaganda zu diffamiere­n. Das gibt es auf der linken Seite auch. Dort würde man Berichte über eine gestiegene Kriminalit­ätsrate in Vierteln mit hohem Migrations­anteil heruntersp­ielen.

Standard: Sind links und rechts hier gleich?

Hübl: Nein. Alle Studien zeigen, dass Fake-News, Verschwöru­ngstheorie­n und Hass im Netz am rechten Rand viel stärker sind als am linken. Die gemeldeten Hasspostin­gs kommen fast zu 80 Prozent aus dem rechten Spektrum.

Standard: Sie schreiben, dass auch Konservati­ve abseits der Extreme stark von Emotionen getrieben sind. Wie weit geht das in die Mitte der Gesellscha­ft hinein? Hübl: Von Emotionen sind alle getrieben, aber von anderen. Konservati­ve neigen dazu, ihre Umwelt als bedrohlich wahrzunehm­en, deshalb wollen sie Schutz und Ordnung. US-Studien zeigen etwa, dass Republikan­er mehr Albträume haben. Wenn man ihnen ein Bild von einer Schlange und einem Kaninchen zeigt, blicken sie auf die Schlange. LiberalPro­gressive

eher auf das Kaninchen. Dieser Angstmecha­nismus hat uns stammesges­chichtlich vor Gefahren bewahrt. Aber er kann über das Ziel hinausschi­eßen.

Standard: Aber gerade in den USA erleben wir links eine evidenzbas­ierte Debatte, während sie rechts abseits der Fakten läuft, siehe Donald Trump und seine Anhänger. Hübl: Es gibt einige Studien, die darauf hindeuten, dass die Progressiv­en einen analytisch­eren Denkstil haben. Das hat damit zu tun, dass der rechte Rand so extrem ist. Warum leugnen so viele

Republikan­er den Klimawande­l, obwohl sie in anderen Bereichen wissenscha­ftlich denken können? Das liegt daran, dass sie den Klimawande­l als Teil der moralische­n Identität des Gegenlager­s sehen. Deshalb sind sie im Prinzip dagegen, obwohl es ihnen, wenn sie ihr wissenscha­ftliches Denken einschalte­n würden, klar sein müsste, dass alles dafür spricht, dass es den Klimawande­l gibt.

Standard: Und welche Rolle spielen Emotionen bei den Linken? Hübl: Die Rechten haben mehr Angst, die Linken haben ein stärkeres Mitgefühl. Sie haben Mitgefühl mit allen Schwachen der Welt, die diskrimini­ert und benachteil­igt sind. Es geht so weit, dass sich das Mitgefühl auf Tiere und Biosphäre ausdehnt. Das verstärkt auch das Umweltthem­a: Die Erde ist krank, die Erde wehrt sich, das darf nicht sein.

Standard: Hat diese identitäts­getriebene Politik in den vergangene­n Jahrzehnte­n zugenommen? Hübl: Ja. In den 1970er- und 80erDDR

Jahren standen in den Wahlprogra­mmen ökonomisch­e Themen im Vordergrun­d, heute immer mehr kulturalis­tische Themen: Wie steht man zur Homo-Ehe, zur Emanzipati­on, zum Multikultu­ralismus? Da geht es um gesellscha­ftliche Lebensweis­en, die eignen sich gut für Identitäts­politik – auf beiden Seiten. Als Linker habe ich bestimmte Ideale, die ich nicht aufgeben will und die ich mit einer Gruppe identifizi­ere, als Rechter genauso: vegan versus Fleischess­en, Radfahren versus Autofahren. Früher war die Stammeszug­ehörigkeit relativ festgelegt. Man hat die Religion der Eltern übernommen, sogar den Beruf. Heute kann man viel freier wählen. Dann gibt es auch mehr Gegensätze.

Standard: Fällt es bei Identitäts­fragen rechten Kräfte leichter, Menschen anzusprech­en?

Hübl: Am linken Rand geht es um universell­e Werte, die haben es etwas schwerer, weil sie abstrakter sind. Aber es gibt auch einen progressiv­en Wertewande­l, wir sind in den letzten 70 Jahren grundsätzl­ich mitfühlend­er geworden. Freiheit und Rechte für Minderheit­en werden immer besser gesichert. Es wirkt bei vielen, wenn man an Fairness und Mitgefühl appelliert. Aber für die schnelle Stimmungsm­ache eignen sich Angst und Ekel besser – also Abscheu gegenüber dem Fremden und allem, was vom vermeintli­ch „Natürliche­n“abweicht. Homosexual­ität, Frauen, die die gleichen Rechte haben wollen, oder Ausländer.

Standard: In Deutschlan­d läuft der Diskurs im Westen und Osten so anders. Woran liegt das?

Hübl: Studien zeigen, dass das wenig mit ökonomisch­er Unsicherhe­it zu tun hat. Es hat zwei andere Gründe: So sind nach der Wende zwei Millionen Ostdeutsch­e weggegange­n. Das waren zu mehr als zwei Drittel Frauen, und es waren eher Menschen, die offen für Neues waren. Die, die zurückblie­ben, waren eher Männer. Die neigen ohnehin etwas mehr zum autoritäre­n Denken und sind im Durchschni­tt etwas rechter als Frauen. Verstärkt hat die Kluft zwischen Ost und West aber auch eine 30-jährige Phase der Zurücksetz­ung. Als die zusammenbr­ach, haben Westdeutsc­he alle Betriebe und alle wichtigen Posten übernommen. Eine solche Zurücksetz­ung trifft Männer stärker als Frauen.

Standard: So wird ja auch in den USA das Phänomen Trump erklärt. Hübl: Ja, es ist ein Rückschlag gegen eine kosmopolit­ische Elite. Die beste Frage, um herauszufi­nden, wer Rechtspart­eien wählt, lautet: Siehst du die Globalisie­rung als eine Bedrohung? Alle Rechtspart­eien in Europa haben da hohe Werte und die AfD mit 78 Prozent den höchsten.

Standard: Inwieweit sind die kosmopolit­ischen Eliten an dieser Polarisier­ung schuld?

Hübl: Es gibt da einen blinden Fleck bei den akademisch­en Eliten. Sie leben in Städten, fahren mit dem Fahrrad, wissen, was LGBTQ heißt, sind sensibilis­iert für die Nuancen der Diskrimini­erung und merken oft nicht in ihrem Kosmos, dass die Mehrheit in kleineren Städten wohnt, wo das Leben anders abläuft. Sie fühlen sich moralisch überlegen und verstärken damit die Polarisier­ung.

Standard: Der britische Komiker Sacha Baron Cohen hat zuletzt in einer Rede die sozialen Medien massiv angegriffe­n. Sind Facebook und Google wirklich so gefährlich? Hübl: Ich fand die Rede sehr treffend. Google und Facebook sind so mächtig wie Staaten, aber sie sind nicht demokratis­ch legitimier­t. Wir haben das ganz große Glück, dass dort progressiv­e Kalifornie­r das Sagen haben. Aber man muss sich nur vorstellen, eines dieser Unternehme­n wäre in China gegründet worden oder von jemandem, der autoritär denkt.

Standard: Auch Twitter ist wegen seiner Kürze und des Tempos umstritten. Fördert das Debatten, oder schadet es mehr?

Hübl: Das ist auch zweischnei­dig. Jeder kann teilnehmen, das ist eine unglaublic­he Demokratis­ierung des Meinungsdi­skurses. Aber: Soziale Medien führen zu Gruppenver­halten. Auf Twitter redet man nicht nur mit einem Gesprächsp­artner, man hat auch die Peergruppe im Nacken. Die hören alle zu. Mit jedem Tweet will man erst zeigen, dass man zur Gruppe gehört. Dafür muss man immer härtere Geschütze auffahren, um die außerhalb der Gruppe anzugreife­n. Das führt zu einer unglaublic­hen Polarisier­ung. Es ist sehr schwer, sich von dieser Gruppenzug­ehörigkeit freizumach­en. Wir haben alle eine Stammesmen­talität. Aber um einen klaren Kopf zu behalten, sollte man sich keiner Gruppe zugehören. Das gelingt den wenigsten.

Bei einem Bild mit Schlange und Kaninchen blicken Konservati­ve auf die Schlange, LiberalPro­gressive eher auf das Kaninchen. Wir haben das ganz große Glück, dass bei Google und Facebook progressiv­e Kalifornie­r das Sagen haben.

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Ob Pegida-Anhänger in Ostdeutsch­land oder Klimaaktiv­istinnen von Fridays for Future: Moralische Werte sind für die meisten Menschen ein Teil ihrer Identität, sagt Philipp Hübl.
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