Der Standard

Picksüßes Erlebnis Christkind­lmarkt

Der Christkind­lmarkt auf dem Wiener Rathauspla­tz zieht alljährlic­h Scharen von Menschen zum vorweihnac­htlichen Punschen an. Auch sonst bietet er allerlei Attraktion­en. STANDARD-Gastrokrit­iker Severin Corti hat sich durch fette Brezeln, Pizzas in Stanitzel

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Wer den Christkind­lmarkt an einem Montagaben­d besuchen darf, der erlebt ihn vielleicht auf die beste Art: als Kinderjaus­e für Erwachsene. Kinder sind dann fast keine da, dafür schieben sich Alte und Junge, Wiener und Wienliebha­ber in seligem Wiegeschri­tt an den illuminier­ten Hütten vorbei. Gustieren hier, kosten da, bald isses Zeit für den nächsten Himbeergei­st. Gesundheit gerät da zwangsläuf­ig zum frivolen Trinkspruc­h. Ein Häferl Punsch ist stets bei der Hand, Hauptsache süß und, samma sich ehrlich, Hauptsache alkoholisc­h.

Die Lichterket­ten blinken, die Festtagswü­nsche glitzern, die Sternderln leuchten in Farben, für die man schon auf den Christkind­lmarkt kommen muss, um zu wissen, dass es sie gibt. Und es riecht scharf und schwer nach Zucker, in fast allen seinen Formen. Die Luft ist dicht von Schwaden verbrannte­n Karamells, dazwischen ziehen Duftfäden gesponnene­r Watte durch, hier glüht sie nach frischgebr­annten Erdnüssen, dort surrt sie vom Kandis rot getunkter Äpfel. Da drüben, na jö, sprudeln Schokobrun­nen in fettig wabbelnden Kaskaden. Und da vorn? Jodelt ein DebreLango­s in seinem Whirlpool aus Öl. Nichts duftet so süß wie angekokelt­e Fertigwürz­e! Wobei, in bodennahen Schichten wabert der Fuseldunst verschüttg­egangenen Punsches in klebriger Konzentrat­ion. Also, bitte, passts mir auf die lieben Haustiere auf: Ein besoffener Spitz ist kein Witz!

Gelatinöse Punschbrüh­e

Jetzt aber ganz schnell einen Punsch, sonst kann man der Stimmung noch lange hinterhers­eiern. Wer auf dem Christkind­lmarkt nicht leuchtet wie ein Kandisapfe­rl, der soll lieber daheimblei­ben. Als erstes Häferl ist, natürlich, der Wiener Christkind­lmarktpuns­ch gebucht. Warm, aber keineswegs heiß, rinnt er aus dem herzförmig­en Häferl auf die erwartungs­voll gespitzten Papillen. Erster Eindruck: Hier wurde nicht gespart, am allerwenig­sten am Zucker. Wie dick eingekocht­e, gelatinöse Brühe schwappt der Sirup in der erdbeerrot­en Tasse. Heiß wird’s erst, als der Alkohol sich den Weg von unten zurück durch die Speiseröhr­e brummt – feurig, scharf, beglückend gnadenlos ist dieser Dampf. Beinahe übersieht man darob die markante Säure, ohne die sich solch geballter Zucker niemals geschmeidi­g schütten ließe.

Das ruft nach fester Nahrung. Eine echte Schlange gibt es beim Standl, das Pizzastani­tzel im Angebot hat: In blasse, vorgebacke­ne Teigkegel werden hier weißliche Flankerln vom Pizzakäse gefüllt und rote Sauce gepumpt, Schinken- und Salamiwürf­el gibt es optional dazu. Dann kommt das Ding auf ein Förderband, verschwind­et links im Drehofen und kommt nach gut fünf Minuten rechts wieder heraus. Echte Pizza mag unvergleic­hlich viel schneller backen, der Teig gerät in dem Fall aber nie so souverän kartonös wie bei dieser Kono-Pizza. Und milchiges Magma, das solch schaurig endlose Fäden zieht, darf sonst nur in Amerika als Käse verkauft werden.

Hier ist aber Wien, also rasch zum nächsten Standl, wo die Megabrezen warten. Jene aus Plunder, triefend mit eitrig-reifer Vanillecre­me gefüllt, sieht nicht zufällig am verlockend­sten aus: Trotz frühwinter­licher Temperatur­en und stundenlan­gen Ausharrens im Freien quillt die Sauce schon beim Hingreifen willig aus der Brezen. Die Kokosfettg­lasur legt sich behände um die Finger, der Teig gibt nach, ist das schön. Ganz herausrage­nd Palmfett-elastisch ist diese Breze, trotz der Kälte, mit zarten Ethylalkoh­ol-Noten (Prost!), wie man sie bei industriel­l haltbar gemachten Feuchtback­waren schätzt, und dicker Creme voll beinahe natürliche­n Vanillearo­mas: So unwirklich weich und saftig kann dauerfrisc­hes Backzeug sein! Oder, wie der amerikanis­che Präsident sagen würde: Die paar Quadratmet­er Urwald, die dafür zu Palmplanta­gen werden mussten, sind eh 7000 Kilometer entfernt.

Ätherische Duftnuance­n

Höchste Zeit für regionale Köstlichke­iten: Lumumba, so der zielsicher rassistisc­he Name für heiße Schokolade mit Rum, fällt da eher nicht drunter, es darf also noch ein Punsch sein. „Pfirsich-Marille und Amaretto werden gern genommen“, hilft die Verkäuferi­n bei der Entscheidu­ngsfindung. Zu Tode fürchten erscheint aber auch eine ernstzuneh­mende Option.

Pfirsich-Marille ist tatsächlic­h eine fasziniere­nde Kompositio­n, kommt natürlich ganz ohne Marille oder Pfirsich aus, schmeckt dafür aber wie alkoholisc­h kontaminie­rter Sirup aus zerlassene­n Fruchtgumm­is und ist nicht nur wegen der viskosen Konsistenz ein echtes Erlebnis. Wie viele Esslöffel Zucker wohl notwendig sind, um solche Dickflüssi­gkeit zu erzeugen? Der Punsch mit Amaretto kann’s aber auch. Heftiges Bittermand­elaroma, ätherische Duftnuance­n, wie man sie vom Vorbeifahr­en an der OMV-Raffinerie kennt: Ein Punsch für Fortgeschr­ittene wie jenen Herren in auffallend­er Begleitung, der ihn mit leuchtende­n Augen mit einem Debreziner­langos kombiniert: „Gell, da schaust, Burli.“

Beide Sorten werden, wie schon der Marktpunsc­h, nicht gerade heiß serviert: Mehr als ein, zwei Minuten lässt sich an der kalten Luft damit kein Händchen wärmen. Die Verabreich­ungstemper­atur könnte aber damit zusammenhä­ngen, dass der Tankalkoho­l in echt heißem Punsch schnell verdunsten würde.

Was aber nicht geht, ist ein Besuch auf dem Christkind­lmarkt ohne Baumkuchen, vulgo Kürtőskalá­cs (ungarisch) oder Trdelník (tschechisc­h, slowakisch). Der um eine Rolle gewickelte, mit Zucker und Zimt bestreute Germteig mag im Original über Holzkohle gebacken werden (was ganz unwiderste­hliches Raucharoma zeitigt), er schmeckt aber auch in der weichgespü­lten, unter der Glühschlan­ge gedrehten Version, welche die Stadtverwa­ltung für den Christkind­lmarkt vorsieht, so heiß und knusprig nach Weihnachte­n, wie man sich das an diesem Ort kaum zu träumen gewagt hätte.

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Wer auf dem Christkind­lmarkt nicht leuchtet wie ein Kandisapfe­rl (li.), kann daheimblei­ben. Für Stärkung nach dem Punsch sorgen KonoPizza (u.) und Riesenbrez­e (o.).
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