Der Standard

EU-KOMMISSION

Er prägte die europäisch­e Politik. Nun verlässt Jean-Claude Juncker die Bühne.S. 9,

- Thomas Mayer

Es ist verständli­ch, wenn Regierunge­n beim Amtsantrit­t ihre vielen Vorhaben und Ziele in höchsten Tönen anpreisen. Das wird in der Regel mit einem griffigen Slogan verbunden. Da heißt es dann etwa schlicht: „Neu regieren!“Oder 2017, etwas pathetisch: „Zusammen. Für unser Österreich!“Scheitern ist also programmie­rt.

Nicht viel anders läuft das beim Start einer neuen EUKommissi­on. Jean-Claude Juncker trat 2014 unter dem Motto „Eine Kommission der letzten Chance“an. Nach Jahren der Finanz- und Wirtschaft­skrise standen EU und Eurozone auf der Kippe. Griechenla­nd drohte der Rauswurf aus dem Euro. Es mangelte an Wachstum und Investitio­nen. Juncker wollte dem mit einem EU-Integratio­nsschub begegnen, die politische Union fertigbaue­n. Das eine oder andere ist dabei zwar geglückt. Aber die Union rutschte mit der Migrations­krise 2015, dem britischen EU-Austrittsr­eferendum 2016 und der notorische­n Ignoranz mancher Osteuropäe­r für Rechtsstaa­tlichkeit noch weiter in die Krise.

Trotz „letzter Chance“steht das gemeinsame Europa aber immer noch. Wenn nun das Kollegium unter Präsidenti­n Ursula von der Leyen antritt und einen „Neustart der Union“propagiert, heißt es: Erwartunge­n runterkühl­en.

Aber: Es gibt doch einen substanzie­llen Unterschie­d zwischen 2014 und 2019. Die Weltlage und die zu lösenden Problemste­llungen haben sich dramatisch verschoben. Vier riesige Baustellen tun sich für die Europäer auf.

Erstens: Mit dem Brexit muss sich die kleinere, deutlich ärmere EU mit 27 Mitglieder­n grundlegen­d erneuern, ihre Strukturen anpassen und EU-Verträge reformiere­n. Sie muss bei Entscheidu­ngen viel schneller werden.

Zweitens: Sicherheit­spolitisch steht im US-Wahljahr 2020 viel auf dem Spiel, nicht nur transatlan­tisch in der Nato, sondern im gesamten Verhältnis der EU zu den USA sowie zu Russland, zur Türkei und zu China. Ohne Briten ist dies wohl die größte Schwachste­lle der EU-Europäer.

Drittens: Die Digitalisi­erung wird Arbeits- und Lebenswelt­en im nächsten Jahrzehnt so revolution­ieren, dass kein Stein auf dem anderen bleibt – Sprengstof­f für die EU. Viertens: Darüber schwebt drohend der Klimawande­l. Die EU-27 sollten also kräftig durchstart­en, damit sie als Wohlstands­union im Frieden überleben können. Von der Leyen kann sich nicht mehr auf die Reparatur Europas konzentrie­ren. Die Union als Ganzes muss als globaler Player bestehen. Es geht am Ende um Aufstieg oder Fall Europas.

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