Der Standard

„Dass sie das österreich­ische Mediensyst­em nach Orbáns Vorbild umbauen wollten, ist die wahre und wichtige Geschichte.“

Ibiza-Aufdecker-Journalist Frederik Obermaier von der „Süddeutsch­en Zeitung“spricht über den falschen Fokus in der „Staatsaffä­re“und darüber, warum das Videomater­ial unter Verschluss bleibt.

- INTERVIEW: Oliver Mark FREDERIK OBERMAIER (35) ist Investigat­ivjournali­st der „Süddeutsch­en Zeitung“. Für die Panama Papers bekam er den Pulitzerpr­eis. Mit Bastian Obermayer schrieb er das Buch „Die Ibiza-Affäre“. ➚ Langfassun­g auf derStandar­d.at/Etat

Ibiza-Video, Panama Papers oder Internieru­ngslager in China: Viele Enthüllung­en der letzten Jahre tragen die Handschrif­t der Aufdeckerj­ournaliste­n Frederik Obermaier und Bastian Obermayer vom Investigat­ivressort der Süddeutsch­en Zeitung. Ab Montag, 2. Dezember, sind sie im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalism­us in Wien, um über ihre Recherchen zu sprechen.

STANDARD: Sie haben im Mai mit dem Ibiza-Video die Regierung gesprengt. Und dennoch gibt es Spekulatio­nen, dass HeinzChris­tian Strache vor einem Comeback steht. Hätten Sie das für möglich gehalten? Obermaier: Zunächst würde ich gerne festhalten, dass nicht wir, die Süddeutsch­e Zeitung, oder der Spiegel die Regierung gesprengt haben. In meinen Augen hat das Herr Strache schon selbst getan, mit dem, was er und Johann Gudenus auf Ibiza gesagt haben. Aber: Dass eine Rückkehr so schnell kommen könnte, hätte ich nicht gedacht. Einfach weil die Dinge, die das Ibiza-Video ans Tageslicht gebracht haben, so schwerwieg­end sind, dass ich nicht davon ausgegange­n bin, dass der Rückhalt in Österreich danach groß ist.

STANDARD: Die Ermittlung­en gegen die Drahtziehe­r des Ibiza-Videos nehmen Fahrt auf. Untersuchu­ngshaft wurde verhängt. Nicht wenige kritisiere­n, dass Sie sich zum Handlanger von Kriminelle­n gemacht haben. Was sagen Sie?

Obermaier: Für mich sind die Personen, die uns das Video zugespielt haben, Menschen, denen die Gesellscha­ft viel verdankt. Die österreich­ische Öffentlich­keit hätte sonst vermutlich nie erfahren, welche korrupten Deals der Vizekanzle­r und sein Vertrauter Gudenus in Aussicht stellen, wenn sie sich unbeobacht­et fühlen. Ich beobachte mit großem Staunen, wie sehr sich einige österreich­ische Medien an einer Berichters­tattung beteiligen, die den ganz klaren Spin einer politische­n Richtung trägt. Da werden Sachen, die als unbestätig­te Gerüchte kursieren, als Quasi-Tatsachen verbreitet. Entscheide­nd ist doch, dass zwei hochrangig­e österreich­ische Politiker, einer davon wurde Vizekanzle­r, sich gegenüber Korruption oder korruptem Handeln offen zeigen. Dass sie von verdeckten Spenden vorbei am Rechnungsh­of sprechen und auch noch Namen nennen. Dass sie das österreich­ische Mediensyst­em nach Orbáns Vorbild umbauen wollen – auf Kosten der Pressefrei­heit. Das ist die wahre und wichtige Geschichte.

STANDARD: Und die wird Ihrer Meinung nach zu sehr aus den Augen verloren, indem sich der Fokus in Richtung Hintermänn­er des Videos verlagert hat?

Obermaier: Ich will das gar nicht werten, aber es ist leider typisch, dass nach einer Enthüllung die Jagd auf Informante­n und Whistleblo­wer beginnt. Sie werden in der Öffentlich­keit schlechtge­macht, und dadurch gerät dann leider schnell in Vergessenh­eit, was die eigentlich­e Enthüllung ist. Und im Zentrum der Enthüllung stehen hier nunmal Herr Strache und Herr Gudenus.

STANDARD: Von Strache bis zur Staatsanwa­ltschaft fordern viele, dass Sie das gesamte Videomater­ial herausgebe­n. Das wird aber unter Berufung auf das Redaktions­geheimnis nicht passieren, oder? Obermaier: Nein, wir stehen zu unserer Entscheidu­ng. Strache behauptet, dass er gerne eine Veröffentl­ichung hätte. Gudenus, der auch auf dem Video zu sehen ist, will gleichzeit­ig rechtlich verhindern, dass auch nur ein weiteres Schnipsel veröffentl­icht wird. Und rechtlich ist die Lage so, dass wir es gar nicht in voller Länge veröffentl­ichen dürfen. Und es wäre auch nicht in Ordnung, zum Beispiel die Teile des Videos zu zeigen, in denen Strache und

Gudenus unbestätig­te Gerüchte über andere Personen aus Österreich verbreiten. Nein: Wir haben beschriebe­n, was in diesem Video vorkommt, und wir haben einen Anwalt, der unabhängig bezeugen kann, dass alle Zitate unserer Berichters­tattung genau so auf dem Video zu hören sind. Es ist unbestritt­en, was Strache auf Ibiza sagt. Selbst er bestreitet es nicht wirklich – er behauptet vielmehr, sich nicht erinnern zu können. Eine „bsoffene Gschicht“halt.

STANDARD: Strache sagt, dass diese sieben Minuten nicht repräsenta­tiv sind für die sieben Stunden, die sie in der Villa waren. Obermaier: Das Gegenteil ist richtig: Diese sieben Minuten geben die Haupttheme­n wieder, um die es ging, immer und immer wieder, und die sieben Minuten sind eindeutig. Wenn jemand solche korrupten Praktiken in Aussicht stellt, dann weiß ich nicht, was die Leute glauben, was in dem Rest des Videos vorkommt. Zusammenge­fasst: Es war eine mehrstündi­ge Verhandlun­g darüber, wie die angebliche Russin ihre angebliche Viertelmil­liarde Euro so in Österreich anlegen könnte, dass sie und die FPÖ etwas davon hätten.

STANDARD: Sie haben sich mit dem IbizaVideo auch viele Feinde gemacht. Gab es etwa auch Drohungen?

Obermaier: Es gab verbale Ausfälle. Ich merke, dass der Ton in dieser Debatte in Österreich um einiges rauer ist, als ich es gewohnt bin. Unser Kollege vom Spiegel, Martin Knobbe, hat sogar eine Morddrohun­g bekommen. Es wäre mir sehr daran gelegen, dass sich alles ein wenig runterkühl­t.

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Foto: APA / Stephanie Füssenich Obermayer (links) und Obermaier.

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