„Dass sie das österreichische Mediensystem nach Orbáns Vorbild umbauen wollten, ist die wahre und wichtige Geschichte.“
Ibiza-Aufdecker-Journalist Frederik Obermaier von der „Süddeutschen Zeitung“spricht über den falschen Fokus in der „Staatsaffäre“und darüber, warum das Videomaterial unter Verschluss bleibt.
Ibiza-Video, Panama Papers oder Internierungslager in China: Viele Enthüllungen der letzten Jahre tragen die Handschrift der Aufdeckerjournalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer vom Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Ab Montag, 2. Dezember, sind sie im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus in Wien, um über ihre Recherchen zu sprechen.
STANDARD: Sie haben im Mai mit dem Ibiza-Video die Regierung gesprengt. Und dennoch gibt es Spekulationen, dass HeinzChristian Strache vor einem Comeback steht. Hätten Sie das für möglich gehalten? Obermaier: Zunächst würde ich gerne festhalten, dass nicht wir, die Süddeutsche Zeitung, oder der Spiegel die Regierung gesprengt haben. In meinen Augen hat das Herr Strache schon selbst getan, mit dem, was er und Johann Gudenus auf Ibiza gesagt haben. Aber: Dass eine Rückkehr so schnell kommen könnte, hätte ich nicht gedacht. Einfach weil die Dinge, die das Ibiza-Video ans Tageslicht gebracht haben, so schwerwiegend sind, dass ich nicht davon ausgegangen bin, dass der Rückhalt in Österreich danach groß ist.
STANDARD: Die Ermittlungen gegen die Drahtzieher des Ibiza-Videos nehmen Fahrt auf. Untersuchungshaft wurde verhängt. Nicht wenige kritisieren, dass Sie sich zum Handlanger von Kriminellen gemacht haben. Was sagen Sie?
Obermaier: Für mich sind die Personen, die uns das Video zugespielt haben, Menschen, denen die Gesellschaft viel verdankt. Die österreichische Öffentlichkeit hätte sonst vermutlich nie erfahren, welche korrupten Deals der Vizekanzler und sein Vertrauter Gudenus in Aussicht stellen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Ich beobachte mit großem Staunen, wie sehr sich einige österreichische Medien an einer Berichterstattung beteiligen, die den ganz klaren Spin einer politischen Richtung trägt. Da werden Sachen, die als unbestätigte Gerüchte kursieren, als Quasi-Tatsachen verbreitet. Entscheidend ist doch, dass zwei hochrangige österreichische Politiker, einer davon wurde Vizekanzler, sich gegenüber Korruption oder korruptem Handeln offen zeigen. Dass sie von verdeckten Spenden vorbei am Rechnungshof sprechen und auch noch Namen nennen. Dass sie das österreichische Mediensystem nach Orbáns Vorbild umbauen wollen – auf Kosten der Pressefreiheit. Das ist die wahre und wichtige Geschichte.
STANDARD: Und die wird Ihrer Meinung nach zu sehr aus den Augen verloren, indem sich der Fokus in Richtung Hintermänner des Videos verlagert hat?
Obermaier: Ich will das gar nicht werten, aber es ist leider typisch, dass nach einer Enthüllung die Jagd auf Informanten und Whistleblower beginnt. Sie werden in der Öffentlichkeit schlechtgemacht, und dadurch gerät dann leider schnell in Vergessenheit, was die eigentliche Enthüllung ist. Und im Zentrum der Enthüllung stehen hier nunmal Herr Strache und Herr Gudenus.
STANDARD: Von Strache bis zur Staatsanwaltschaft fordern viele, dass Sie das gesamte Videomaterial herausgeben. Das wird aber unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis nicht passieren, oder? Obermaier: Nein, wir stehen zu unserer Entscheidung. Strache behauptet, dass er gerne eine Veröffentlichung hätte. Gudenus, der auch auf dem Video zu sehen ist, will gleichzeitig rechtlich verhindern, dass auch nur ein weiteres Schnipsel veröffentlicht wird. Und rechtlich ist die Lage so, dass wir es gar nicht in voller Länge veröffentlichen dürfen. Und es wäre auch nicht in Ordnung, zum Beispiel die Teile des Videos zu zeigen, in denen Strache und
Gudenus unbestätigte Gerüchte über andere Personen aus Österreich verbreiten. Nein: Wir haben beschrieben, was in diesem Video vorkommt, und wir haben einen Anwalt, der unabhängig bezeugen kann, dass alle Zitate unserer Berichterstattung genau so auf dem Video zu hören sind. Es ist unbestritten, was Strache auf Ibiza sagt. Selbst er bestreitet es nicht wirklich – er behauptet vielmehr, sich nicht erinnern zu können. Eine „bsoffene Gschicht“halt.
STANDARD: Strache sagt, dass diese sieben Minuten nicht repräsentativ sind für die sieben Stunden, die sie in der Villa waren. Obermaier: Das Gegenteil ist richtig: Diese sieben Minuten geben die Hauptthemen wieder, um die es ging, immer und immer wieder, und die sieben Minuten sind eindeutig. Wenn jemand solche korrupten Praktiken in Aussicht stellt, dann weiß ich nicht, was die Leute glauben, was in dem Rest des Videos vorkommt. Zusammengefasst: Es war eine mehrstündige Verhandlung darüber, wie die angebliche Russin ihre angebliche Viertelmilliarde Euro so in Österreich anlegen könnte, dass sie und die FPÖ etwas davon hätten.
STANDARD: Sie haben sich mit dem IbizaVideo auch viele Feinde gemacht. Gab es etwa auch Drohungen?
Obermaier: Es gab verbale Ausfälle. Ich merke, dass der Ton in dieser Debatte in Österreich um einiges rauer ist, als ich es gewohnt bin. Unser Kollege vom Spiegel, Martin Knobbe, hat sogar eine Morddrohung bekommen. Es wäre mir sehr daran gelegen, dass sich alles ein wenig runterkühlt.