Der Standard

Eine Kasse, alles anders?

Ein Sturz kann für ältere Menschen ein traumatisc­hes Erlebnis sein. Remobilisi­erung soll dabei helfen, dass sie nicht zum Pflegefall werden und wieder in ihr gewohntes Leben zurückkehr­en können.

- Marie-Theres Egyed

Auch nach der Zusammenle­gung der Gebietskra­nkenkassen wird es vorerst keinen einheitlic­hen Leistungsk­atalog geben.

Der Koffer ist fertiggepa­ckt. Am nächsten Tag will Johanna Brdicka auf Urlaub an den Attersee fahren. Doch dann übersieht die fast 86-Jährige beim Schuster zwei Stufen und bricht sich den Oberschenk­elhalsknoc­hen. Zwei Wochen muss sie im Allgemeine­n Krankenhau­s in Wien verbringen statt den Spätsommer im Salzkammer­gut zu genießen. „Den Koffer habe ich für das Krankenhau­s genommen“, sagt Brdicka und lacht.

Dass sie heute wieder alleine in ihrer Wohnung im Pensionist­enheim in Währing wohnen kann und so viel Lebensfreu­de versprüht, ist nicht selbstvers­tändlich. Ein längerer Spitalsauf­enthalt bedeutet für ältere Menschen oft den Verlust an Selbststän­digkeit. Müssen sie lange im Bett liegen, bauen sich Muskeln ab. Sind sie gestürzt, haben sie Angst, wieder zu fallen.

Diese Ängste kennt auch Frau Brdicka. Es ist nicht ihr erster Sturz in diesem Jahr, sondern ihr dritter. Einmal biss sie sich in die Lippe, das verlief vergleichs­weise glimpflich. Das andere Mal stolperte sie über den Teppich und brach sich Schambein, Becken und Steißbein. Drei Monate konnte sie damals ihr Bett nicht verlassen. Trotzdem habe sie sich selbst gewaschen, sagt sie stolz und ergänzt: „Ich mache alles selber.“

Im Krankenhau­s erfährt Frau Brdicka, dass sie nicht nur zu Hause an ihrer Genesung arbeiten kann, sondern auch Anspruch auf eine Remobilisi­erung hat. In zwei der 30 Wiener Pensionist­enwohnhäus­er gibt es Remobilisi­erungsstat­ionen. Sie stehen Bewohnern der Pensionist­enwohnhäus­er und Klienten, die vom Fonds Soziales Wien betreut werden, zur Verfügung. Auch der Wiener Krankenans­taltenverb­und und Spitalsträ­ger in den Bundesländ­ern wollen verstärkt ältere Patienten für die Selbststän­digkeit trainieren. Pflege muss keine Einbahnstr­aße sein.

Ins gewohnte Leben zurück

Frau Brdicka übersiedel­t für drei Wochen in das Haus Wieden. Jeder Tag ist mit Therapien und Arztbesuch­en durchgetak­tet. Sobald ein Patient auf einer Remobilisi­erungsstat­ion aufgenomme­n wird, folgt eine genaue Anamnese aus mehreren Blickwinke­ln. Welche pflegerisc­hen Bedürfniss­e es gibt, welche Therapien notwendig sind und wie es um die psychische Verfassung steht, sind die zentralen Fragen.

Brigitte Stern-Grilc leitet den therapeuti­schen Bereich der Remobilisi­erung im Haus Wieden. Maximal 92 Tage kann ein Patient auf der Station behandelt werden. „Er formuliert sein Wunschziel, was er wieder erreichen will“, sagt die Physiother­apeutin. Ihr interdiszi­plinäres Team unterstütz­e die Patienten.

Für Frau Brdicka ist klar, was sie wieder können will. Sie will bald wieder an ihrem gewohnten Leben teilnehmen, mit ihren Freundinne­n kegeln, schwimmen oder tanzen gehen. Der Bruch soll ihr nicht länger im Weg stehen.

Ein Sturz oder auch mehrmalige­s Hinfallen seien die häufigsten Zuweisungs­gründe für ihre Station, sagt Stern-Grilc. „Für viele Patienten ist ein Sturz ein traumatisc­hes Erlebnis.“Sie fühlen sich hilflos, haben Angst, nicht mehr alleine zurechtzuk­ommen oder gar ein Pflegefall zu werden. Deswegen werde auch psychologi­sche Hilfe angeboten. Doch weil die Patienten älter sind, sind die vielen Therapien für sie nicht immer leicht zu bewältigen: „Die Therapie verlangt von Patienten viel Energie und einen starken Willen“, für manche sei das zu anstrengen­d. Dann müsse der Plan angepasst werden und die Dauer der Therapie langsam gesteigert. „Wir müssen uns nach dem Tempo der Patienten richten.“

Frau Brdicka ist wieder zurück in ihrer Wohnung und darüber glücklich. Ihr fehlen sogar die täglichen Therapien, sie will ja bald wieder kegeln können.

 ??  ?? Johanna Brdicka trainiert täglich. Im Sommer ist sie gestürzt, jetzt übt sie, um bald wieder ihren Hobbys nachgehen zu können.
Johanna Brdicka trainiert täglich. Im Sommer ist sie gestürzt, jetzt übt sie, um bald wieder ihren Hobbys nachgehen zu können.

Newspapers in German

Newspapers from Austria