Der Standard

Berlin spielt den „Groxit“durch

Bruch der Koalition führt nicht automatisc­h zu Neuwahl

- Birgit Baumann aus Berlin

Nach dem nächsten Wochenende wissen wir mehr – das ist im Moment jener Satz, der in Berlin häufig bemüht wird. Ab Freitag treffen sich die Sozialdemo­kraten ja drei Tage lang in Berlin zum Parteitag, und dort sollen wichtige Weichen gestellt werden. Formal steht natürlich die Wahl des neuen Führungsdu­os Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans an. Die beiden sind keine Fans der großen Koalition, und so wird der Leitantrag des Parteitags mit Spannung erwartet.

Abzusehen ist, dass die Delegierte­n ein paar Hürden für die Fortsetzun­g der großen Koalition ausspreche­n – etwa mehr Mindestloh­n oder mehr Investitio­nen in das Straßen- und Schienenne­tz.

„Es geht übrigens auch nicht ums Neuverhand­eln, das ist vielleicht auch das Missverstä­ndnis, den Begriff haben wir nicht verwendet“, sagt Esken. Sie will lieber von einem „Update“des Koalitions­vertrags reden. Was wie begrifflic­he Haarspalte­rei klingt, hat folgenden Hintergrun­d: Die Union lehnt eine Neuverhand­lung des Koalitions­vertrags mit der neuen SPD-Führung strikt ab.

CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer (AKK) wurde dabei recht deutlich und erklärte: „Wir sind keine Therapieei­nrichtung für die jeweiligen Koalitions­regierungs­parteien.“Schließlic­h hätten, seit der Koalitions­vertrag unterschri­eben wurde, auch die

CSU (von Horst Seehofer zu Markus Söder) und die CDU (von Angela Merkel zu AKK) ihre Führung gewechselt; niemand habe danach neue Verhandlun­gen verlangt.

Da noch nicht klar ist, wie tragfähig die Basis zwischen Union und SPD sein wird, spielt man in den Parteizent­ralen aber schon einmal alle möglichen Varianten durch, wie es nach einem „Groxit“, einem Ende der großen Koalition also, weitergehe­n könnte.

Jamaika oder Minderheit

Natürlich ist von Neuwahlen die Rede. Aber angesichts der Verluste, die die Union bei den vergangene­n Landtagswa­hlen erlitten hat, ist die Bereitscha­ft dazu wenig ausgeprägt. Zudem gilt auch der deutsche Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der den Bundestag auflösen müsste, als Gegner. Er war es, der nach dem Scheitern von Jamaika (Union, Grüne, FDP) die SPD in die Bundesregi­erung gedrängt hat.

Sollten die SPD-Ministerin­nen und Minister das Kabinett verlassen, dann könnte Merkel es zunächst mit einer Minderheit­sregierung versuchen. Zugute käme ihr, dass der Haushalt gerade vom Bundestag beschlosse­n wurde.

Merkel hätte aber auch die Möglichkei­t, einen neuen Jamaika-Versuch zu starten. Allerdings könnte diesmal nicht die FDP der Wackelkand­idat sein, sondern es könnten die Grünen sein. Sie liegen in Umfragen so gut, dass sie wohl auf Neuwahlen pochen würden.

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