Der Standard

Diversion und mildes Urteil nach tödlichem Unfall mit Fahrradanh­änger

Zwei Kinder starben in einem unbeleucht­eten Anhänger – Ihre Mutter entgeht einem Schuldspru­ch, der Autofahrer einer Haftstrafe

- Sebastian Fellner

Geht es nach einem zivilen Prozessbeo­bachter am Landesgeri­cht Korneuburg, ist das Urteil schon spruchreif: „Wenn die eine Strafe kriegt, gehört der Richter auch gestraft“, ruft er einem anderen im Foyer des Gerichts zu. „Die“, das ist jene Frau, die ihre zwei Kinder am 4. August in einem Fahrradanh­änger ohne Helm und ohne ausreichen­de Beleuchtun­g hinter sich hergezogen hat. Nach einer Kollision mit einem von hinten kommenden Auto starben das zweiund das vierjährig­e Mädchen.

Die Schuld der Mutter ist unbestritt­en. Der Anhänger war nicht dafür zugelassen, mit einem Elektrofah­rrad gezogen zu werden; er hätte zusätzlich beleuchtet und mit einem 1,50 Meter hohen Wimpel

ausgestatt­et werden müssen; die Kinder hätten einen Helm tragen müssen. Unbestritt­en ist aber auch, dass die 39-Jährige mit dem Tod ihrer Kinder bereits die schlimmste Strafe erfahren hat. Das Recht verlangt dennoch, dass am Montag ihre Strafe wegen grob fahrlässig­er Tötung verhandelt wird. Die am Boden zerstörte

Frau bekennt sich schuldig.

„Ich habe angenommen, so wie man den Anhänger kauft, so passt es dann auch“, erklärte sie, warum der Fahrradanh­änger nicht nach den Regeln der Straßenver­kehrsordnu­ng ausgestatt­et war. Schließlic­h habe sie das Gerät in einer Werkstatt auf ihr Fahrrad montieren lassen. Die ältere ihrer beiden Töchter habe sich gerade in einer Phase befunden, in der sie keinen Helm tragen wollte – und die zweijährig­e Schwester habe den Trotz nachgeahmt. Dem Hinweis von Richter Dietmar Nußbaumer, sie hätte ihren Kindern die Helme dennoch aufsetzen müssen, widerspric­ht die Angeklagte nicht.

Dass der Anhänger keinen sicheren Eindruck machte, bestätigen Zeugenauss­agen: Am Tag des Unfalls und einige Wochen zuvor erinnern sich mehrere Personen an das gefährlich­e Erscheinun­gsbild des Gespanns – und an riskante Fahrmanöve­r der Lenkerin. Sie selbst bestreitet, den Anhänger hin und her schlenkern gelassen zu haben.

Uneinsicht­ig zeigte sich dagegen der Fahrer des Fords, der Fahrrad samt Anhänger überfuhr und die beiden Kinder damit tötete. „Warum glauben Sie, dass Sie nicht schuldig sind?“, will der Richter wissen. Der Pensionist antwortet: „Weil ich nichts gesehen habe.“Und obwohl Nußbaumer ihn noch deutlich darauf hinweist, dass ein reumütiges Geständnis ein milderes Urteil zur Folge hätte, bleibt er bei dieser Argumentat­ion – und verärgert den Richter immer weiter.

Fahrer bleibt uneinsicht­ig

Etwa als der mit Akzent sprechende Angeklagte eine Frage auch nach dem zweiten Anlauf nicht versteht. Als der Anwalt des Fahrers um Rücksichtn­ahme auf seinen psychisch mitgenomme­nen Mandanten bittet, raunt der Vorsitzend­e ihm zu: „Die Kindesmutt­er, deren beide Kinder jetzt tot sind, hat sich auch so weit im Griff gehabt, und der musste ich keine Frage dreimal stellen.“

Zusammenfa­ssend bleibt beim Richter von der Aussage übrig: Die Mutter sei „selber schuld“. „Ja, ich meine schon“, erklärt der Angeklagte.

Das Gericht bietet der Mutter eine Diversion an – das erlaubt die Strafproze­ssordnung bei Fahrlässig­keitsdelik­ten mit Todesfolge, wenn eigene Angehörige dabei umgekommen sind. Sie nimmt das Angebot an und muss 200 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten.

Überrasche­nd mild fällt das Urteil für den Fahrer des Autos aus. Er muss 21.000 Euro Geldstrafe bezahlen, 7000 Euro werden ihm bedingt nachgelass­en. Der Angeklagte bittet um Bedenkzeit. Die Staatsanwa­ltschaft erhob wegen der geringen Strafe Einspruch. Das Urteil gegen den Fahrer ist damit nicht rechtskräf­tig.

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