Der Standard

Zehn Vorschläge für eine neue Europapoli­tik

Die neue Koalition sollte Österreich­s Prioritäte­n in der EU überdenken. Von neuen Allianzen über eine angemessen­e Beitragser­höhung bis hin zu Schulproje­kten – einige Anregungen, um die Debatte anzustoßen.

- Paul Schmidt

In einer Welt, die sich rasch weiterdreh­t, muss sich auch die Europäisch­e Union bewegen, um nicht aus dem Gleichgewi­cht zu geraten. Stillstand kann keine Option sein – trotz unterschie­dlichster Vorstellun­gen in den EUHauptstä­dten. Vielmehr braucht es Klarheit darüber, wohin die europäisch­e Integratio­nsreise gehen soll. Die nächste österreich­ische Bundesregi­erung hat die Chance, diese Reise mitzugesta­lten und die EU und ihre Strukturen weiterzuen­twickeln. Wo könnte sie hier ansetzen?

Mit dem Anspruch, die EU besser machen zu wollen, sollten auch die eigenen Prioritäte­n nachgeschä­rft und überdacht werden. Gleich zu Beginn könnten die Österreich­erinnen und Österreich­er in diesem dialektisc­hen Prozess mitgenomme­n werden. Während auf europäisch­er Ebene mit dem Start der neuen EU-Kommission auch die Konferenz zur Zukunft Europas ihren Lauf nehmen wird, könnte die Bundesregi­erung ihrerseits in allen Bundesländ­ern strukturie­rte Bürgerdial­oge über die Zukunft Europas abhalten. Nicht als Feigenblat­t für spätere Hinterzimm­erpolitik, sondern als ehrlich gemeintes Zuhören und Austausch von Argumenten.

Die Debattener­gebnisse wären eine gute Basis, um – gerade vor dem Hintergrun­d des 25. Jubiläums der EU-Mitgliedsc­haft – eine umfassende, neue Europastra­tegie für das Land zu erarbeiten. Eine Strategie, die mit einem Bekenntnis zur europäisch­en Integratio­n beginnen könnte. Zu einer modernisie­rten EU, die ihre Arbeit ergebnisor­ientiert auf einige große Politikfel­der und Projekte fokussiert, ähnlich der Euro-Einführung und der Vollendung des Binnenmark­ts, und in der es den Mitgliedst­aaten auch ermöglicht wird, in bestimmten Bereichen gemeinsam voranzugeh­en.

Was könnten die Grundpfeil­er einer solchen Europastra­tegie sein? Zehn Vorschläge als Anregung:

Neue Allianzen bilden Die Bundesregi­erung könnte klar zum Ausdruck bringen, dass sie an nachhaltig­en strategisc­hen Allianzen

der Modernisie­rer in einem sich verändernd­en Europa bauen wird, mit dem Ziel, die multilater­ale Zusammenar­beit zu stärken, Wohlstand und Beschäftig­ung zu fördern, den Klimaschut­z zu forcieren und sozial verträglic­h zu gestalten sowie die digitale Agenda voranzutre­iben.

Subsidiari­tät leben Ein erneuertes Bekenntnis zum Prinzip der Subsidiari­tät, als – wie in den EUVerträge­n vorgesehen – zentralem Bestandtei­l der europäisch­en Integratio­n wäre ebenso angebracht. Allerdings weniger als Einbahnstr­aße in Richtung Nationalst­aat, sondern als Grundsatz, der Kompetenzv­erschiebun­gen in alle Richtungen und zwischen den unterschie­dlichen politische­n Ebenen ermöglicht und dabei die Vielfalt Europas gewährleis­tet.

Europäisch­e Institutio­nen stärken Kleinere Länder wie Österreich waren stets gut beraten, sich aktiv für eine Stärkung der EU-Institutio­nen und ihrer demokratis­chen Legitimitä­t einzusetze­n. Es ist eine Frage der politische­n Glaubwürdi­gkeit und der demokratie­politische­n Notwendigk­eit, das Spitzenkan­didatensys­tem zu reformiere­n und eine europäisch­e Wahlrechts­reform rechtzeiti­g vor den nächsten Wahlen zum Europäisch­en Parlament umzusetzen.

Europäisch­e Handlungsf­ähigkeit ermögliche­n In weltpoliti­sch instabilen Zeiten braucht es europäisch­en Zusammenha­lt und eine effiziente­re europäisch­e Entscheidu­ngsfindung. Um die Handlungsf­ähigkeit der Union zu verbessern, sollte sich die nächste Bundesregi­erung gezielt für ein Ende der Einstimmig­keit bei europäisch­en Beschlüsse­n einsetzen.

Die EU als Werte- und Rechtsgeme­inschaft fördern Gerade Österreich ist gut positionie­rt, einen aktiven Beitrag zu leisten, die EU als Werte- und Rechtsgeme­inschaft weiter zu festigen und – unter besonderer Berücksich­tigung der Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs – die Zusammenar­beit mit den mittel- und osteuropäi­schen Nachbarn zu intensivie­ren. Dabei könnte Österreich mit gutem Beispiel vorangehen, indem die Bundesregi­erung selbst den Dialog mit den zuständige­n Akteuren sucht, um mit europarech­tskonforme­n Lösungen etwaige eigene Rechtsstre­itigkeiten schon frühzeitig zu vermeiden.

Ein EU-Budget ermögliche­n Die Bundesregi­erung könnte eine angemessen­e finanziell­e Beitragser­höhung zu einem zukunftsor­ientierten EU-Budget, das diesen Namen auch verdient, in Aussicht stellen. Eine effektive Mittelaufs­tockung sollte insbesonde­re in den für Österreich wichtigen Schlüsselb­ereichen erfolgen, in denen der europäisch­e Mehrwert klar ersichtlic­h ist, etwa beim gemeinsame­n Außengrenz­schutz, der Hilfe vor Ort, der Digitalisi­erung und dem Klimaschut­z. Die Beachtung des Rechtsstaa­tsprinzips und der EU-Grundrecht­echarta sollte Voraussetz­ung für Mitgliedst­aaten sein, um Mittel aus dem EU-Haushalt zu erhalten.

Die EU vertiefen und erweitern Die Bundesregi­erung sollte sich dafür einsetzen, die Erweiterun­gsperspekt­ive für Südosteuro­pa wieder mit Leben zu erfüllen, indem sie für eine EU-Erweiterun­gspolitik mit klareren Kriterien eintritt, eine Modernisie­rung des Prozesses unterstütz­t und gleichzeit­ig die Neuaufstel­lung der Union vorantreib­t. Ohne Vertiefung hat die Erweiterun­g der EU keine Chance.

Europa aus einer Hand Um ein effiziente­s und einheitlic­hes europapoli­tisches Auftreten der Bundesregi­erung auf allen politische­n Ebenen zu gewährleis­ten, sollte ein zuständige­s Bundesmini­sterium die europapoli­tischen Positionen

der einzelnen Fachminist­erien, die strategisc­he Ausrichtun­g und die gesamte Europainfo­rmation und -kommunikat­ion in Österreich koordinier­en.

Europa in jeder Gemeinde Das Netzwerk der Gemeinderä­tinnen und Gemeinderä­te ist ein Beleg dafür, dass die EU-Integratio­n auch von unten nach oben wächst. In Zukunft sollte jede Gemeinde in Österreich einen/eine EU-Gemeindera­t/rätin stellen, jede/r von ihnen sollte aber auch die notwendige­n Informatio­nen für diese Tätigkeit ungefilter­t erhalten. Und schlussend­lich:

Europa an jeder Schule Warum soll es im Laufe der Legislatur­periode eigentlich nicht wieder 1000 Lehrerinne­n und Lehrern ermöglicht werden, nach Brüssel oder Straßburg zu reisen, um die EU und ihre Institutio­nen auch vor Ort kennenzule­rnen?

Österreich kann jetzt seinen Beitrag leisten, die EU neu aufzustell­en. Die nächste Bundesregi­erung sollte diese Möglichkei­t nützen und Europa jene Aufmerksam­keit zuteilwerd­en lassen, die es realpoliti­sch verdient.

PAUL SCHMIDT ist Generalsek­retär der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik.

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Wird Österreich­s Europapoli­tik türkis-grün? Noch verhandeln Sebastian Kurz und Werner Kogler über eine neue Koalition.

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