Der Standard

Führungslo­se Nato und EU

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Am Mittwoch begehen 29 Staats- und Regierungs­chefs in London das 70-Jahr-Jubiläum der Nato, jener Militärall­ianz, der der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron kürzlich den „Hirntod“bescheinig­te und die Donald Trump einmal als „obsolet“bezeichnet­e. Zugleich kann niemand Angela Merkels Diagnose bezweifeln, Europa sei nicht in der Lage, sich selbst zu verteidige­n. Deshalb bedroht bereits seit zweieinhal­b Jahren die sprunghaft­e und unberechen­bare Außenpolit­ik eines irrlichter­nden US-Präsidente­n, der offen gegen ein vereintes

Europa ist und der den britischen EU-Austritt unterstütz­t, I auch die Sicherheit Europas. n den letzten Wochen hat allerdings Präsident Macron durch seine auch in dieser Kolumne kommentier­ten Alleingäng­e (18. 11.) die Nato und auch die Europäisch­e Union in eine neue schwere Krise verstrickt. Wie der Leitartikl­er der Zeit treffend feststellt­e, wisse Merkel nicht, wen sie unter den Nato-Mitglieder­n mehr fürchten solle: Trump oder Macron. Die Enthüllung­en über einen Brief Macrons an Wladimir Putin in der heiklen Frage der Mittelstre­ckenrakete­n in Europa und seine jüngsten umstritten­en Formulieru­ngen bei einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g

haben nicht nur Polen und baltischen Nato-Staaten alarmiert. Auch der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sprach offen aus, „Gedankensp­iele über eine Entkoppelu­ng amerikanis­cher und europäisch­er Sicherheit“machten ihm Sorgen, weil „sie entzweien auch Europa“.

Kein Wunder, dass Macron hinter vorgehalte­ner Hand in der Nato-Zentrale bereits als eine „Westentasc­henausgabe“seines großen Vorgängers, Charles de Gaulle, verspottet wird, der nach dem ratenweise­n Rückzug 1966 den vollständi­gen Austritt aus dem integriert­en Militärkom­mando der Nato beschloss. (Dieser wurde erst 2009 durch Präsident Nicolas Sarkozy rückgängig gemacht).

In seiner ausgezeich­neten DeGaulle-Biografie (München 2019) beschreibt Johannes Wilms anschaulic­h die bedenklich­en Folgen der Differenze­n zwischen französisc­hem Großmachta­nspruch (die Politik der „Grandeur“) und der wirklichen Bedeutung des Landes. Macron scheint die gleiche Vorstellun­g vom Wesen Frankreich­s zu haben wie de Gaulle: Frankreich sei nur dann es selbst, wenn es den ersten Platz besetze. Ohne „Grandeur“könne Frankreich nicht D Frankreich sein. er sprichwört­liche BerlinPari­s-Motor stottert seit einiger Zeit. Nach der überrasche­nden Wahl des neuen Führungsdu­os an der Spitze der SDP rechnen Beobachter mit einem vorzeitige­n Ende der großen Koalition in Berlin. In den kommenden Wochen, ja Monaten, wird Deutschlan­d in den zentralen außenpolit­ischen Fragen nicht entscheidu­ngsfähig sein, und die auch für die Europapoli­tik so bedeutsame Bundeskanz­lerin dürfte bald abtreten. Nicht nur die Nato, sondern auch die EU ist führungslo­s. Die europäisch­e und transatlan­tische Solidaritä­t wird trotz der Herausford­erung durch China und Russland kaputtgere­det. Im Zeitalter des Klimawande­ls, des internatio­nalen Terrorismu­s, des Rückzugs Amerikas und des isolationi­stischen Sonderwege­s Großbritan­niens wirken die hyperaktiv­en, unberechen­baren und sprunghaft­en Rhetoriker in Paris und Washington beängstige­nd.

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