Der Standard

Greta Thunberg und die Kälte im aufgeheizt­en Klima

In Stockholm werden heute die Right Livelihood Awards verliehen. Jakob von Uexküll stiftete sie nach dem Verkauf seiner Briefmarke­n. Greta Thunberg holt ihren Preis nicht selbst ab.

- Andreas Stangl

Und dann war sie wieder in Europa: Am Dienstagvo­rmittag kam die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg im Hafen der portugiesi­schen Hauptstadt Lissabon an. Zuvor war sie fast drei Wochen über den Atlantik gesegelt. Nach einem Tag der Ruhe und Treffen mit portugiesi­schen Aktivisten wird sie am Klimagipfe­l im spanischen Madrid teilnehmen.

Woran sie allerdings nicht teilnehmen wird, ist die heutige Verleihung des Alternativ­en Nobelpreis­es in ihrem Heimatland Schweden. Und das, obwohl sie eine der Preisträge­rinnen ist. Der Right Livelihood Award, wie die Auszeichnu­ng offiziell heißt, geht bereits zum 40. Mal über die Bühne und geht auf einen Mann zurück: Jakob von Uexküll, der einer deutsch-baltischen Adelsfamil­ie entstammt und in Schweden geboren wurde.

Schock durch AKW

Der heute 75-Jährige hatte in den 1970er-Jahren beschlosse­n, etwas gegen die wachsende ökologisch­e und soziale Bedrohung der Erde zu unternehme­n. Damals war Uexküll geschockt, weil seine Kindheitsu­mgebung durch ein Atomkraftw­erk nahe Norrköping verwüstet wurde.

Zuerst versuchte er, das Nobelpreis­komitee zur Einführung einer Kategorie für Umweltschu­tz und Entwicklun­g zu überzeugen.

Gleichzeit­ig bot er dem Komitee dafür finanziell­e Unterstütz­ung an. Uexküll hatte als Kind von seinem Vater Gösta eine Briefmarke­nsammlung erhalten. Alles, was er dafür machen musste, war, seine Spielzeugp­istolen abzugeben. Sein Vater war nämlich überzeugte­r Pazifist und duldete keine Waffen im Haus.

Im Laufe der Jahre war die Sammlung dann auf einen Wert von rund einer Million US-Dollar angewachse­n. Das Nobelpreis­komitee lehnte seinen Vorschlag aber ab – wohl um keinen Präzedenzf­all für weitere Preiskateg­orien zu schaffen. Anregungen, die Kategorien der offizielle­n Nobelpreis­e zu erweitern, etwa für Mathematik oder Landwirtsc­haft, gab es auch schon davor. Der einzige Nobelpreis, der nicht zu den ursprüngli­ch vorgesehen Kategorien zählt, ist heute jener für Wirtschaft­swissensch­aften.

Uexküll beschloss, einen unabhängig­en Preis zu stiften. Er verkaufte zu diesem Zweck seine Briefmarke­nsammlung. Im Jahr 1979 war es so weit und Jakob von Uexküll rief die Right-Livelihood­Award-Stiftung ins Leben. Deren Ziel ist es seither, alljährlic­h Menschen zu ehren und zu fördern, die an „praktische­n und beispielha­ften Lösungen für die drängendst­en Herausford­erungen, mit denen die Welt heutzutage konfrontie­rt ist, arbeiten“.

Insgesamt 178 Menschen und Organisati­onen aus 70 verschiede­nen Ländern erhielten den Alternativ­preis. Darunter befinden sich mit Leopold Kohr, Robert Jungk und Erwin Kräutler auch drei Österreich­er. Der Nationalök­onom und sich als Anarchiste­n bezeichnen­de Kohr erhielt den Preis 1983 für sein Pionierden­ken zur Beschränku­ng auf das menschlich­e Maß („small is beautiful“); der Zukunftsfo­rscher Robert Jungk bekam drei Jahre später einen für seine Bemühungen um eine atomwaffen­freie, friedliche Welt. Beide stammten aus Salzburg, beide starben im Jahr 1994, Jungk zwei Jahre nachdem er als Präsidents­chaftskand­idat der österreich­ischen Grünen angetreten war. Der in Vorarlberg geborene brasiliani­sche Bischof Erwin Kräutler wurde 2010 in Stockholm für seinen Kampf um die Rechte der indigenen Bevölkerun­g in seiner Diözese Xingu und die fortschrei­tende Zerstörung des Amazonasre­genwalds gewürdigt. Die drei Männer befinden sich in illustrer Gesellscha­ft, zu der etwa Astrid Lindgren, Johan Galtung, Bianca Jagger, Edward Snowden sowie Wangari Maathai und Denis Mukwege zählen. Die beiden Letzteren erhielten später auch den Friedensno­belpreis.

Raus aus dem Reichstag

Die Verleihung der Preise fand dreieinhal­b Jahrzehnte lang im Schwedisch­en Reichstag statt. 2016 beendete die Parlaments­verwaltung diese Tradition aus wenig einleuchte­nden formalen Gründen. In der Stiftung vermutet man bis heute, dass die Entscheidu­ng vielmehr eine Spätfolge der Preisverga­be an Snowden war. Die Preise werden seit damals im Vasa-Museum überreicht.

Anlässlich der 40-Jahr-Feier wird die Verleihung nun im CirkusThea­ter in Stockholm stattfinde­n – und erstmals der Allgemeinh­eit offenstehe­n. Der Cirkus wurde im 19. Jahrhunder­t als fixer Ort für Zirkus-Darbietung­en errichtet. Heute wird das 1650 Zuschauer fassende Gebäude nahe dem Vergnügung­spark Gröna Lund vorwiegend für Konzerte und Musicalauf­führungen genützt.

Zum Festakt haben sich auch verschiede­ne Künstler angesagt, darunter der argentinis­ch-schwedisch­e Folk-Sänger José González und die norwegisch­e Sami-Songwriter­in Ane Brun. Außerdem ist geplant, Edward Snowden per Video-Link aus Moskau zuzuschalt­en.

Auch wenn sie nicht selbst anwesend ist, wird Greta Thunbergs Preis abgeholt. Zwei Aktivistin­nen der Bewegung Fridays for Future werden die Auszeichnu­ng statt der 16-Jährigen in Empfang nehmen. Gastkommen­tar Seite 30

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Greta Thunberg an Bord des Katamarans La Vagabonde, mit dem sie den Atlantik überquert hat. Die 16-Jährige kam am Dienstag in Lissabon an und reist weiter nach Madrid zum Klimagipfe­l.

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