Der Standard

Strafen müssen abschrecke­nd bleiben

Warum das Kumulation­sprinzip bei Unternehme­nsstrafen repariert und nicht abgeschaff­t gehört

- Walter Gagawczuk WALTER GAGAWCZUK ist Arbeitsrec­htsexperte in der Bundesarbe­itskammer. walter.gagawczuk@akwien.at

Im September hat der Europäisch­e Gerichtsho­f die von einer österreich­ischen Behörde verhängten Strafen in Millionenh­öhe nach dem Ausländerb­eschäftigu­ngsgesetz und dem Lohn- und Sozialdump­ing-Bekämpfung­sgesetz (LSD-BG) als unverhältn­ismäßig beurteilt (RS C-64/18 ua). Die hohen Strafen ergaben sich aufgrund des Kumulation­sprinzips. Dieses Prinzip des österreich­ischen Verwaltung­sstrafrech­ts bewirkt, dass dann, wenn mehrfache gleicharti­ge Delikte vorliegen, nicht bloß eine Strafe verhängt wird, sondern jeder einzelne Verstoß zu bestrafen ist. Besonders häufig wird das Kumulation­sprinzip bei Lohn- und Sozialdump­ing angewendet, aber auch bei Verstößen gegen die Höchstarbe­itszeit.

Manche Stimmen plädieren schon seit einiger Zeit dafür, das Kumulation­sprinzip abzuschaff­en und durch das Absorption­sprinzip zu ersetzen. Dann gäbe es nur eine Strafe, wobei das strengste Delikt den Strafrahme­n vorgibt. Die Frage ist, ob das Kumulation­sprinzip noch mit dem EU-Recht vereinbar ist und welche Folgen seine Abschaffun­g hätte.

Die Strafrahme­n sind in Österreich vor dem Hintergrun­d des Kumulation­sprinzips konzipiert worden. Würde man es abschaffen, hätte dies schwerwieg­ende Folgen. Ein Beispiel: Ein slowenisch­es Bauunterne­hmen bekommt in Österreich einen mittelgroß­en Bauauftrag für zwei Monate und führt diesen mit 30 Arbeitern durch. Da diese nur den in Slowenien üblichen, jedoch nicht den vorgeschri­ebenen österreich­ischen Kollektivv­ertragsloh­n bekommen, erspart sich das Unternehme­n in den zwei Monaten 40.000 Euro. Der Strafrahme­n nach dem LSD-BG ohne Kumulation­sprinzip wäre 2000 bis 20.000 Euro. Da die Höchststra­fen praktisch kaum verhängt werden, müsste das Unternehme­n mit einer Strafe von 10.000 bis 15.000 Euro rechnen. Bei einer Wahrschein­lichkeit, weniger als ein von zehn Mal erwischt zu werden, ist die abschrecke­nde Wirkung sehr gering. Das Nachsehen hätten die österreich­ischen Unternehme­n und ihre Arbeitnehm­er, die zu dem slowenisch­en Unternehme­n in Konkurrenz stehen.

Diese unerwünsch­te Situation haben wir seit einigen Wochen. In Anschluss an das EuGH-Urteil hat der Verwaltung­sgerichtsh­of entschiede­n, dass – solange der Gesetzgebe­r keine andere Regelung trifft – das Kumulation­sprinzip nicht anzuwenden ist, wenn ausländisc­he Unternehme­n bei einer

Kontrolle keine Lohnunterl­agen für die in Österreich beschäftig­ten Arbeitnehm­er vorweisen. Als Folge werden Arbeitgebe­r aus angrenzend­en Niedrigloh­nländern sich verstärkt der Kontrolle der Unterentlo­hnung entziehen, indem sie gar keine Papiere vorweisen. Sie haben dann nur eine Strafe zu befürchten, die in der Regel wesentlich geringer ist als der wirtschaft­liche Vorteil des Lohndumpin­gs.

Mit EU-Recht vereinbar

Um den Schaden für die österreich­ischen Unternehme­n und Arbeitnehm­er möglichst gering zu halten, sollte daher der Gesetzgebe­r rasch reagieren.

Die Frage, ob das Kumulation­sprinzip trotz der EuGH-Entscheidu­ng noch mit dem EU-Recht vereinbar ist, ist leicht zu beantworte­n. In Randnummer 41 des Urteils bringt der Gerichtsho­f unmissvers­tändlich zum Ausdruck, dass eine Regelung, die Sanktionen vorsieht, deren Höhe von der Zahl der Nichteinha­ltung bestimmter Verpflicht­ungen abhängt (Kumulation­sprinzip), für sich genommen nicht unverhältn­ismäßig ist. Der Kern des Problems liegt also für den EuGH nicht im Prinzip an sich, sondern darin, dass es keine Obergrenze gibt und dies dann zu unverhältn­ismäßig hohen Strafen führen kann. Konkret ging es im gegenständ­lichen Fall ja um mehr als 200 Arbeitnehm­er und daher in Summe um sehr hohe Strafen. Gäbe es eine Regelung, die vom Kumulation­sprinzip verursacht­e Ausreißer nach unten korrigiert und so die Verhältnis­mäßigkeit wiederhers­tellt, ohne die abschrecke­nde Wirkung der Strafen zu beseitigen, wäre dies mit dem EURecht vereinbar.

Eine solche Regelung bräuchte man nicht neu erfinden, die gibt es schon. Vor rund eineinhalb Jahren ging ein Vorschlag zur Änderung des Verwaltung­sstrafrech­ts in Begutachtu­ng, der eine Bestimmung vorsah, die genau diese Problemati­k aufgriff und eine außerorden­tliche Strafmilde­rung für den Fall vorsah, dass die Summe der zu verhängend­en Einzelstra­fen in Anbetracht der Folgen der Tat und das Verschulde­n unverhältn­ismäßig wäre. Wahrschein­lich war das anhängige Verfahren vor dem EuGH sogar Auslöser für diesen Gesetzesvo­rschlag. Warum die Bestimmung nicht beschlosse­n wurde, bleibt rätselhaft. Sie könnte aber politisch jederzeit wieder aufgegriff­en und als neuer Gesetzesvo­rschlag dem Parlament zugeführt werden.

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