Strafen müssen abschreckend bleiben
Warum das Kumulationsprinzip bei Unternehmensstrafen repariert und nicht abgeschafft gehört
Im September hat der Europäische Gerichtshof die von einer österreichischen Behörde verhängten Strafen in Millionenhöhe nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) als unverhältnismäßig beurteilt (RS C-64/18 ua). Die hohen Strafen ergaben sich aufgrund des Kumulationsprinzips. Dieses Prinzip des österreichischen Verwaltungsstrafrechts bewirkt, dass dann, wenn mehrfache gleichartige Delikte vorliegen, nicht bloß eine Strafe verhängt wird, sondern jeder einzelne Verstoß zu bestrafen ist. Besonders häufig wird das Kumulationsprinzip bei Lohn- und Sozialdumping angewendet, aber auch bei Verstößen gegen die Höchstarbeitszeit.
Manche Stimmen plädieren schon seit einiger Zeit dafür, das Kumulationsprinzip abzuschaffen und durch das Absorptionsprinzip zu ersetzen. Dann gäbe es nur eine Strafe, wobei das strengste Delikt den Strafrahmen vorgibt. Die Frage ist, ob das Kumulationsprinzip noch mit dem EU-Recht vereinbar ist und welche Folgen seine Abschaffung hätte.
Die Strafrahmen sind in Österreich vor dem Hintergrund des Kumulationsprinzips konzipiert worden. Würde man es abschaffen, hätte dies schwerwiegende Folgen. Ein Beispiel: Ein slowenisches Bauunternehmen bekommt in Österreich einen mittelgroßen Bauauftrag für zwei Monate und führt diesen mit 30 Arbeitern durch. Da diese nur den in Slowenien üblichen, jedoch nicht den vorgeschriebenen österreichischen Kollektivvertragslohn bekommen, erspart sich das Unternehmen in den zwei Monaten 40.000 Euro. Der Strafrahmen nach dem LSD-BG ohne Kumulationsprinzip wäre 2000 bis 20.000 Euro. Da die Höchststrafen praktisch kaum verhängt werden, müsste das Unternehmen mit einer Strafe von 10.000 bis 15.000 Euro rechnen. Bei einer Wahrscheinlichkeit, weniger als ein von zehn Mal erwischt zu werden, ist die abschreckende Wirkung sehr gering. Das Nachsehen hätten die österreichischen Unternehmen und ihre Arbeitnehmer, die zu dem slowenischen Unternehmen in Konkurrenz stehen.
Diese unerwünschte Situation haben wir seit einigen Wochen. In Anschluss an das EuGH-Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass – solange der Gesetzgeber keine andere Regelung trifft – das Kumulationsprinzip nicht anzuwenden ist, wenn ausländische Unternehmen bei einer
Kontrolle keine Lohnunterlagen für die in Österreich beschäftigten Arbeitnehmer vorweisen. Als Folge werden Arbeitgeber aus angrenzenden Niedriglohnländern sich verstärkt der Kontrolle der Unterentlohnung entziehen, indem sie gar keine Papiere vorweisen. Sie haben dann nur eine Strafe zu befürchten, die in der Regel wesentlich geringer ist als der wirtschaftliche Vorteil des Lohndumpings.
Mit EU-Recht vereinbar
Um den Schaden für die österreichischen Unternehmen und Arbeitnehmer möglichst gering zu halten, sollte daher der Gesetzgeber rasch reagieren.
Die Frage, ob das Kumulationsprinzip trotz der EuGH-Entscheidung noch mit dem EU-Recht vereinbar ist, ist leicht zu beantworten. In Randnummer 41 des Urteils bringt der Gerichtshof unmissverständlich zum Ausdruck, dass eine Regelung, die Sanktionen vorsieht, deren Höhe von der Zahl der Nichteinhaltung bestimmter Verpflichtungen abhängt (Kumulationsprinzip), für sich genommen nicht unverhältnismäßig ist. Der Kern des Problems liegt also für den EuGH nicht im Prinzip an sich, sondern darin, dass es keine Obergrenze gibt und dies dann zu unverhältnismäßig hohen Strafen führen kann. Konkret ging es im gegenständlichen Fall ja um mehr als 200 Arbeitnehmer und daher in Summe um sehr hohe Strafen. Gäbe es eine Regelung, die vom Kumulationsprinzip verursachte Ausreißer nach unten korrigiert und so die Verhältnismäßigkeit wiederherstellt, ohne die abschreckende Wirkung der Strafen zu beseitigen, wäre dies mit dem EURecht vereinbar.
Eine solche Regelung bräuchte man nicht neu erfinden, die gibt es schon. Vor rund eineinhalb Jahren ging ein Vorschlag zur Änderung des Verwaltungsstrafrechts in Begutachtung, der eine Bestimmung vorsah, die genau diese Problematik aufgriff und eine außerordentliche Strafmilderung für den Fall vorsah, dass die Summe der zu verhängenden Einzelstrafen in Anbetracht der Folgen der Tat und das Verschulden unverhältnismäßig wäre. Wahrscheinlich war das anhängige Verfahren vor dem EuGH sogar Auslöser für diesen Gesetzesvorschlag. Warum die Bestimmung nicht beschlossen wurde, bleibt rätselhaft. Sie könnte aber politisch jederzeit wieder aufgegriffen und als neuer Gesetzesvorschlag dem Parlament zugeführt werden.