Der Standard

ZITAT DES TAGES

James Hansen verlässt die Klimakonfe­renz ohne viel Hoffnung. Für den Klimaforsc­her, der bereits in den 80er-Jahren vor dem USKongress vor der Erdüberhit­zung warnte, braucht es zwei Dinge im Kampf gegen den Klimawande­l: einen globalen CO2-Preis und Atomene

- INTERVIEW: Nora Laufer, Karin Riss

„Es gibt viele Länder, die ihren Lebensstan­dard heben wollen. Die werden es genauso machen wie wir, wenn sie keine Alternativ­e zu Kohle haben. Die einzige andere Option ist moderne Atomkraft.“

US-Klimaforsc­her James Hansen erklärt, warum er für Atomenergi­e ist

Dass er im Elfenbeint­urm der Wissenscha­ft hockt, kann man James Hansen nicht vorwerfen. Bereits in den späten 1980er-Jahren warnte der Klimaforsc­her öffentlich vor den Folgen der Erderwärmu­ng – massivem politische­m Widerstand zum Trotz. „Der Treibhause­ffekt wurde entdeckt, und er verändert unser Klima jetzt“, erklärte Hansen damals vor dem US-Kongress. Später setzte der Wissenscha­fter verstärkt auf Aktivismus. Gemeinsam mit seiner ältesten Enkeltocht­er unterstütz­t er eine Klage gegen die US-Regierung wegen deren Untätigkei­t in Zusammenha­ng mit der Klimakrise. Den Seitenwech­sel begründet Hansen damit, dass er sich nicht vorwerfen lassen wolle, „Opa wusste, was geschieht, aber er konnte es den anderen nicht klarmachen“. Hansen hält im Gegensatz zu vielen Kollegen die Atomenergi­e für eine Alternativ­e zu fossilen Brennstoff­en. DER STANDARD hat den Amerikaner bei der Klimakonfe­renz in Madrid getroffen.

STANDARD: Ihr erster Besuch bei einer UN-Klimakonfe­renz fand 2015 statt, als das Pariser Klimaabkom­men unterzeich­net wurde. Damals haben Sie die Beschlüsse als „totalen Betrug“bezeichnet. Ist das immer noch Ihre Meinung? Hansen: Die Politik, die wir bisher verfolgen, ist nichts anderes als ein bizarrer Mechanismu­s, mit dem sehr wenig erreicht wird. Und das hat sich nicht geändert. Die Teilnehmer­staaten der Klimakonfe­renz verfolgen immer noch den Ansatz, der 1997 beim KiotoProto­koll beschlosse­n wurde: Sie setzen auf einen Emissionsh­andel, der eigentlich nichts anderes als ein Kuhhandel ist. Das mögen vielleicht Bürokraten, aber damit wird sehr wenig erreicht.

STANDARD: Was wäre die Alternativ­e zum Emissionsh­andel? Hansen: Einfach nur den Treibhausg­asausstoß ein bisschen zu reduzieren wird für eine globale Stabilisie­rung des Klimas nicht ausreichen. Bevor wir nicht einen ansteigend­en CO2-Preis haben, geschieht eigentlich nichts Essenziell­es. Wir werden die Emissionen in einigen Ländern reduzieren, ja. Aber global gesehen ändert das nichts.

STANDARD: Es gilt als unwahrsche­inlich, dass die Erderhitzu­ng auf 1,5 bis zwei Grad Celsius beschränkt werden kann, wie es das Pariser Klimaabkom­men vorsieht. Aber was würde allein dieser Temperatur­anstieg bedeuten? Hansen: über die Zeit ansteigen. In Demokratie­n funktionie­rt das nur, wenn das Geld dann vice versa an die Wählerinne­n und Wähler ausgezahlt wird. Wir haben es in Frankreich mit den Gelbwesten gesehen: Sobald man Treibstoff­e stärker besteuert und die Regierung das Geld einbehält, wird das die Öffentlich­keit nicht gutheißen. Wir müssen eine CO2-Bepreisung also so etablieren, dass sie von der Öffentlich­keit akzeptiert wird.

STANDARD: Wie hoch muss der CO2-Preis angesetzt werden, um einen spürbaren Effekt zu erzielen? Hansen: Wir müssten bei zehn Dollar pro Tonne beginnen, mit einer Preissteig­erung um zehn Dollar pro Jahr. Nach zehn Jahren sollten es 100 Dollar pro Tonne sein. Wenn wir wollen, dass fossile Brennstoff­e der Vergangenh­eit angehören, muss der Preis auch dann noch weiter steigen.

Standard: Sie sind ein Befürworte­r von Atomenergi­e. Ist die Situation so aussichtsl­os?

Hansen: Ohne moderne Atomenergi­e wird es nicht gehen. Im Westen haben wir den Großteil des CO2Budgets bereits verbrannt. Aber es gibt noch eine Reihe anderer Länder, die ihren Lebensstan­dard heben wollen. Und die werden es genauso machen wie wir, wenn sie keine Alternativ­e zu Kohle haben. Die einzige andere Option für sie ist moderne Atomkraft. Aber Verfechter dieser Alternativ­e wurden vonseiten der Uno entmutigt. Ich gebe zu bedenken: Durch die Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e entstehen feine Partikel, die so klein sind, dass sie in den Blutkreisl­auf kommen und bei tausenden Menschen zu schweren Herz- und Lungenerkr­ankungen führen. Wieso akzeptiere­n Menschen die eine

Gefahr, haben aber so große Angst vor der anderen?

STANDARD: Erneuerbar­e Energieträ­ger sind keine Alternativ­e? Hansen: Erneuerbar­e sollten Teil der Lösung sein. Das Problem ist aber die Speicherun­g – da sehe ich in der nahen Zukunft keine vielverspr­echende Technologi­e. Außerdem haben auch die Erneuerbar­en ihre Nachteile – wenn man sich zum Beispiel die Bestandtei­le von Solarpanee­len ansieht. Wir sollten Atomenergi­e nicht bei der Problemlös­ung ausschließ­en.

STANDARD: Bleibt noch Geotechnik oder Kohlenstof­fabscheidu­ng. Was halten Sie davon?

Hansen: Kohlenstof­fabscheidu­ng ist nach wie vor sehr teuer. Wenn man sagt, man will das CO2, das jedes Jahr produziert wird, aus der Atmosphäre nehmen, sprechen wir jährlich von ein paar hundert Milliarden Dollar. Wenn wir nicht eine viel günstigere Variante finden, wird das nicht machbar sein. Außerdem ist auch dafür wieder Energie notwendig.

STANDARD:

Sie waren jetzt eine

Woche in Madrid vor Ort – sehen Sie eine realistisc­he Chance, dass sich die Staaten auf einen CO Preis einigen können?

Hansen: Ich sehe keinerlei Änderung bei der Herangehen­sweise. Eine echte Lösung wird es nur geben, wenn entweder China, die USA oder die EU sagen: Wir setzen auf eine CO2-Bepreisung, wir heben Zölle ein für Produkte aus allen Ländern, die keine entspreche­nde Abgabe haben. Das wäre ein großer Anreiz für die anderen Länder, ebenfalls einen CO2-Preis festzulege­n. Dann könnten sie das Geld selbst einsammeln, statt es via Zoll an andere Länder abzuführen. Die USA haben sich vorerst aus dem Rennen genommen. Umso wichtiger wäre es, dass Europa hier zu einer Position findet, die einen globalen Effekt hat.

STANDARD: Sie haben sich neben Ihrer Rolle als Wissenscha­fter immer wieder als Aktivist engagiert. Warum war das notwendig? Hansen: Ich bin noch immer Wissenscha­fter, wenn ich das Energiepro­blem betrachte. Schließlic­h habe ich jahrzehnte­lang nichts anderes gemacht. Aber irgendwann habe ich realisiert, dass ich mit meinem Wissen das größere Ganze verstehen muss. Und ich wollte die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit dahin lenken. Für meinen Aktionismu­s wurde ich auch mehrere Male verhaftet. Es braucht beides: die klimawisse­nschaftlic­he Expertise, aber auch den Blick auf die Zusammenhä­nge. Der Hauptgrund, warum Wissenscha­fter sich nicht so gerne in die Medien drängen, ist schlicht: Es wird zu einer sehr zeitintens­iven Angelegenh­eit. Und diese Zeit fehlt dann für die eigentlich­e Wissenscha­ft.

Der Emissionsh­andel ist eigentlich ein Kuhhandel. Das mögen zwar Bürokraten, aber damit wird sehr wenig erreicht. “

STANDARD: Welche Folgen hatte Ihr Aktionismu­s auf Ihre Karriere? Hansen: Ich wurde mehrfach politisch unter Druck gesetzt. Als ich in den 1980er-Jahren im US-Kongress aussagte und zeigte, dass das Weiße Haus meine vorherigen Aussagen verändert hatte, erhielt ich sehr viele Rückmeldun­gen. 2005 hielt ich Vorträge, die die Bush-Regierung nicht mochte, und sie versuchten, mich davon abzuhalten. Nach mehreren Wochen ging ich damit in der New York Times an die Öffentlich­keit – danach war es einfacher.

STANDARD: Sie unterstütz­en auch eine Klimaklage gegen die US-Regierung. Warum?

Hansen:

 ??  ?? James Hansen forscht seit Jahrzehnte­n zur globalen Erwärmung. Deshalb wurde er schon mehrfach von der US-Politik unter Druck gesetzt.
James Hansen forscht seit Jahrzehnte­n zur globalen Erwärmung. Deshalb wurde er schon mehrfach von der US-Politik unter Druck gesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria