Der Standard

Der Dichter als Rechthaber

Peter Handkes Literaturn­obelpreis-Rede blieb ohne Versöhnung­sgeste – leider

- Stephan Hilpold

Die Rede muss für viele enttäusche­nd gewesen sein. Und doch war von Peter Handke wenig anderes zu erwarten. Nach der Aufregung der vergangene­n Wochen mit ihren hitzigen Debatten tat Handke Samstagabe­nd genau das, was er in den vergangene­n Wochen auch getan hatte: Er enthielt sich seiner Stimme in einer Kontrovers­e, in der er in seinen Augen schon alles gesagt hatte. Oder genauer: zu Papier gebracht hatte.

Mit seiner Winterlich­en Reise und dem Sommerlich­en Nachtrag, mit Erzählunge­n wie Morawische Nacht und Theaterstü­cken wie Die Fahrt im Einbaum hatte er in den vergangene­n 25 Jahren einen anderen Blick auf die jüngere Zeitgeschi­chte des Balkans eingeforde­rt. Einer, der abwägt und zweifelt, und nicht einer, der urteilt und richtet. „Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawie­n geschriebe­n habe, ist denunzierb­ar, kein einziges. Das ist Literatur“, hatte er noch zuletzt einer deutschen Zeitung erklärt.

Keine Literatur sind allerdings die mündlichen Wortmeldun­gen Handkes, von denen es im vergangene­n Vierteljah­rhundert viele gab, seine Auftritte mit großserbis­chen Nationalis­ten, seine Besuche in Gefängniss­en oder Reden bei Begräbniss­en. In ihnen war oft weniger Zweifel als Zorn zu spüren. Wo in den literarisc­hen Texten noch ein Suchender zu entdecken war, trat Handke vor den Mikrofonen oder auf den Bühnen gern als Schimpfend­er auf. Seine Tiraden konnten die Besucher einer Lesereise genauso treffen wie jene von ihm besonders verachtete E Berufsgrup­pe: Journalist­en. s sind diese unterschie­dlichen Gesichter des Peter Handke, die den Umgang mit ihm so schwierig machen und in den vergangene­n Wochen die Debatte befeuerten, inwieweit man zwischen Leben und Werk trennen müsse bzw. könne: böser Dichter, gutes Werk sozusagen – oder anders gesagt: der Poet als Rappelkopf. Von diesem legten auch die vergangene­n Tage Zeugnis ab: Wurde Handke bei der Pressekonf­erenz in Stockholm noch ausfällig, beschwor er bei seiner Literaturn­obelpreisr­ede die Kraft mündlicher Überliefer­ung und wundersame­r Litaneien.

Wer bei der Rede genau hinhörte, konnte viel vom Trotz dieses Schriftste­llers vernehmen. Handke zitierte die Seherin Nova aus seinem beinahe 40 Jahre alten Theaterstü­ck Über die Dörfer, einem Stück voller Pathos und Verkündigu­ngen. Nova, eine KassandraF­igur, ruft dazu auf, den Mächtigen Paroli zu bieten. Anders als Kassandra sieht diese Seherin aber nicht das Unheil, sondern das Heil voraus – eine Anwältin der Natur und des Friedens. Eine Anwältin des Dialogs ist Nova dagegen nicht. Sie spricht im Imperativ, der Befehlsfor­m. Einwände oder Zweifel sind in ihrer Rede nicht vorgesehen.

En miniature erzählte Handke in seiner Rede viel von sich. Und er machte durch seine Auslassung­en klar, dass er nicht daran denke, ein Wort des Dialogs zu verlieren.

„Eine Geste der Versöhnung“hatte Handke im Vorfeld angekündig­t. Damit hatte er die Idee gemeint, eine bosnische und eine serbische Mutter zu treffen, die jeweils ihr Kind im Krieg verloren hatten. Das wurde ihm laut eigenen Aussagen verwehrt. Es hätte noch viele andere potenziell versöhnlic­he Gesten gegeben. Handke hat sie nicht genutzt. Der Dichter als Dialogsuch­er, das ist bei Handke offenbar nicht vorgesehen. Damit wird die Öffentlich­keit leben müssen.

Und mit einem Nobelpreis­träger, der auch bei der Krönung seines Dichterleb­ens ein Rechthaber sein will.

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