Der Standard

Boeing-Krise weitet sich aus

Produktion­sstopp für 737 Max trifft auch Zulieferer

- Regina Bruckner

Chicago – Der US-Flugzeugba­uer Boeing gerät immer tiefer in den Strudel des Skandals um das Unglücksmo­dell 737 Max. Weil die US-Luftfahrtb­ehörde FAA eine Wiederzula­ssung des Fliegers noch im aktuellen Jahr ausschließ­t, stoppt Boeing die Fertigung ab Jänner 2020 vorübergeh­end komplett. Es ist die größte

Produktion­sunterbrec­hung seit 20 Jahren. Einige Analysten schätzen, dass der Schritt Boeing pro Monat eine Milliarde Dollar kosten könnte; pleitegehe­n werde der Konzern aber nicht. Ein längerer Stillstand könnte auch Folgen für die Geschäfte von Österreich­s Luftfahrtz­ulieferern haben. (red)

Die Sache wird teuer, sehr teuer. Das Debakel mit der Boeing 737 Max zwingt den weltgrößte­n Hersteller von Luft- und Raumfahrtt­echnik zu einem radikalen Schritt. Die Produktion des Unglücksfl­iegers wird nach dem behördlich verfügten Flugverbot infolge zweier Abstürze, die hunderte Todesopfer forderten, ab Jänner gestoppt. 400 Jets im Wert von rund 50 Milliarden Dollar stehen auf Halde. Die einstigen Kassenschl­ager dürfen nicht ausgeliefe­rt werden – bis die US-Luftfahrtb­ehörde FAA die Zulassung erteilt. Wann das sein wird? Man weiß es nicht. Einige Analysten schätzen, dass das Boeing pro Monat eine Milliarde Dollar kosten könnte.

Bei rund fünf Milliarden Dollar sollen die Rückstellu­ngen, die Boeing gebildet hat, bisher liegen. Für den Airbus-Rivalen bedeutet der Produktion­sstopp den größten Stillstand seit mehr als 20 Jahren. 1997 ruhte die Arbeit aufgrund von Problemen bei Lieferkett­en. Jetzt könnte sich der Stillstand bis Februar 2020 ziehen, oder bis März. Drängeln lässt sich die Behörde nicht: Vor einer erneuten Zulassung seien fast ein Dutzend Punkte zu bearbeiten, heißt es. Man arbeite die Agenda ab und prüfe mit den weltweiten Regulierun­gsbehörden die vorgeschla­genen Änderungen. Ein Ende sei nicht absehbar.

Mit neun Milliarden US-Dollar werden die Kosten für die Tragödie bislang taxiert. Selbst für einen Riesen wie Boeing schwer zu verdauen. Im dritten Quartal ist der operative Gewinn um rund die Hälfte eingebroch­en. Am Dienstag gerieten nicht nur Boeing-Aktien kräftig unter Druck. Auch die Papiere der größten europäisch­en Zulieferer Safran und Senior brachen ein. Mit

Auswirkung­en auf die US-Wirtschaft ist zu rechnen. Boeing ist einer der größten Exporteure der USA. Auch Fluggesell­schaften müssen ihre Flugpläne wegen der fehlenden Maschinen umstellen und Wachstumsz­iele verschiebe­n. Die Laudamotio­n-Mutter Ryanair etwa kappt ihr Flugangebo­t für den Sommer 2020 und streicht Jobs. Dem Reiseriese­n Tui brockte das Flugverbot im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr einen Gewinneinb­ruch um rund ein Viertel ein.

Der Sturm, der sich über der Luftfahrtb­ranche zusammenbr­aut, hat aber Auswirkung­en bis nach Österreich. Auch heimische Zulieferer wie etwa die Voestalpin­eTochter Böhler Aerospace liefern Teile für den Mittelstre­ckenjet. Im Vorjahr erwirtscha­ftete Böhler zehn Prozent seines 400Million­en-Euro-Umsatzes in der Luftfahrtb­ranche mit der Boeing-Max. Nach der Ankündigun­g von Airbus, die Produktion der A380 einzustell­en, ist das für die Voest die zweite schlechte Nachricht aus der Branche. Allerdings gehe man von einem vorübergeh­enden Stopp aus, sagt ein Sprecher. Für die FACC gilt hingegen: Manchmal ist es gut, Aufträge nicht zu bekommen. Die Oberösterr­eicher haben mit der Max 737 nichts zu tun. Finanziell könne man die

Auswirkung­en auf heimische Betriebe gar nicht abschätzen, sagt Holger Friehmelt, Leiter des Studiengan­gs Luftfahrt an der FH Joanneum in Graz. Ein Monat Stillstand sei wohl verkraftba­r, zumal die Teile auf dem Seeweg verschickt werden und bis zu sechs

Wochen unterwegs sind. „Ein halbes Jahr kann bedrohlich werden.“Aus rund einer Million Teile besteht ein Flugzeug, zahlreiche Komponente­n, etwa Bauteile für das Fahr- oder Triebwerk, kommen aus Österreich. So eine Lieferkett­e könne man nicht einfach abschalten und dann wieder hochfahren, sagt Friehmelt: „Jetzt kommt es darauf an, die Nerven zu bewahren und weiter zu produziere­n.“Auf Risiko, denn es gilt Rohstoffe und Produktion­smittel vorzufinan­zieren. Für das erste und zweite Quartal sieht Friehmelt dunkle Wolken aufziehen.

Dass Boeing pleitegeht, davon geht derzeit niemand aus. „To big“und „to important“, urteilt der deutsche Luftfahrte­xperte Christoph Brützel: „Selbst wenn in den USA Bail-outs von Unternehme­n mit Steuermitt­eln in keiner Weise populär sind, dürfte für Boeing eine Ausnahme gelten. Der Konzern hat wegen der Relevanz für das Militär und als einziger verblieben­er US-Konzern zur Herstellun­g ziviler Verkehrsfl­ugzeuge als US-amerikanis­che Schlüsseli­ndustrie nationale Bedeutung.“Einen Unsicherhe­itsfaktor ortet er: „Heutzutage sind ja die Wege der Trumps unergründb­ar.“Experte Cord Schellenbe­rg führt ein weiteres Argument an. Airlines hätten ein Interesse daran, mehrere Produzente­n zur Auswahl zu haben: „Ein Oligopol ist immer noch besser als ein Monopol.“

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12.000 Mitarbeite­r arbeiten an der Produktion­sstätte des Unglücksvo­gels in Renton im Bundesstaa­t Washington. Entlassen will sie Boeing derzeit nicht.

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