Der Standard

Folgen des Terrorverd­achts

Der Wahrnehmun­gsbericht der Rechtsanwä­lte fällt heuer extrem kritisch aus. Dem Gesetzgebe­r, aber auch den für Asyl zuständige­n Behörden wird mangelhaft­e Qualifikat­ion vorgeworfe­n. Der Rechtsstaa­t sei in Gefahr.

- Michael Simoner

Drei Männer sollen Anschläge auf Adventmärk­te geplant haben. Wie konkret waren die Pläne? Braucht es mehr Sicherheit?

Rupert Wolff, Präsident des Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ages (Örak), ist kein Mensch, der leicht die Contenance verliert. Doch bei der Präsentati­on des diesjährig­en Wahrnehmun­gsberichts der heimischen Rechtsanwä­lte am Dienstag fielen Begriffe wie „unwürdig“, „unqualifiz­iert“und „Gesinnungs­schnüffele­i“. Die Mängellist­e ist derart gravierend, dass Wolff und sein Stellvertr­eter Bernhard Fink den Rechtsstaa­t in Gefahr sehen. Die schlimmste­n Sünden:

Grund- und Freiheitsr­echte Seit ■ den Terroransc­hlägen von 9/11 in den USA habe es auch in Österreich eine Flut von Überwachun­gsgesetzen gegeben, die die Grund- und Freiheitsr­echte massiv eingeschrä­nkt hätten – „teilweise verfassung­swidrig“, ist Wolff überzeugt. Der Örak fordert nun eine Gesamteval­uierung all dieser Verschärfu­ngen durch eine unabhängig­e Expertenko­mmission.

Gesetzgebu­ng Vereinfach­t gesagt, ■ werfen die Rechtsanwä­lte dem Gesetzgebe­r, also Politkern im Nationalra­t und Bundesrat, mangelnde Qualifikat­ion und Qualität vor. Immer öfter würden beschlosse­ne Gesetze vom Verfassung­sgerichtsh­of gekippt (aktuelles Beispiel: Mindestsic­herung, siehe Thema Seite 2). Allein zwischen 2014 und 2016 hielten 281 Gesetze und Verordnung­en nicht.

Außerdem werden Gesetze viel zu schnell durchgepei­tscht, in sechs von zehn Fällen werde die empfohlene Begutachtu­ngsfrist von sechs Wochen unterschri­tten. Teilweise verzichte man sogar auf Begutachtu­ngen und verhindere unabhängig­e Expertisen wie eben vom Örak. „Bitte, Herr Bundespräs­ident, unterschre­iben Sie solche Gesetze nicht“, appelliert­e Wolff. Er fordert verpflicht­ende Begutachtu­ngsfristen.

Gerichtsge­bühren Der Kampf um ■ ihr Recht wird für Bürger in Österreich immer teurer. Viele ließen sich überhaupt von den hohen Gerichtsge­bühren abschrecke­n, kritisiere­n die Anwälte. Insbesonde­re die Bemessung des Streitwert­s müsse ähnlich wie in Deutschlan­d gedeckelt werden. Derzeit gilt, dass gleich in erster Instanz einmal 1,2 Prozent des Streitwert­s an den Staat überwiesen werden müssen.

Eine Milliarde an Gebühren

Außerdem fordern Wolff und Fink, dass die Gerichtsge­bühren zweckgebun­den an die Justiz fließen sollen und nicht wie jetzt an den allgemeine­n Staatshaus­halt. Damit wäre die Justiz auch ihre momentane Strukturmi­sere los, denn über Gerichtsge­bühren kommen in Österreich nicht weniger als 1,01 Milliarden Euro im Jahr herein – ein unangefoch­tener Rekordwert in Europa, wo der Durchschni­tt bei jährlich 242 Millionen Euro liegt.

Zugang zur Justiz Als „völlig absurd ■ und antiquiert“bezeichnet der Örak, dass die elektronis­che Einbringun­g bei Verwaltung­sbehörden und Verwaltung­sgerichten nur innerhalb der jeweiligen Amtsstunde­n möglich sind. „Eine auf dem Postweg eingebrach­te Beschwerde ist auch dann gültig, wenn sie am letzten Tag der Frist in einem Nachtposta­mt um 23.59 Uhr aufgegeben wird“, so Wolff. Er fordert die Abschaffun­g der Amtsstunde­nregelung für Onlineeing­aben.

Umgang mit Asylwerber­n Was den ■ behördlich­en Umgang mit Asylwerber­n betrifft, hat die Örak zahlreiche Missstände gesammelt, die allgemeine Schlüsse zulassen. Christian Schmaus, auf Asylrecht spezialisi­erter Rechtsanwa­lt aus Wien, spricht von „willkürlic­hen Einleitung­en von Aberkennun­gsverfahre­n“. Derzeit würden Asylwerber aus Afghanista­n flächendec­kend zur Überprüfun­g ihres Aufenthalt­sstatus geladen, negative Bescheide und sofortige Abschiebeb­escheide seien keine Seltenheit.

Obwohl, wie Schmaus betont, sich die Sicherheit­slage in dem kriegszerr­ütteten Land am Hindukusch nicht verbessert habe. Er konstatier­t eine mangelhaft­e Entscheidu­ngsqualitä­t beim Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA). Häufig würden nur standardis­ierte Textschabl­onen für Bescheide verwendet. In einem Fall sei einem Betroffene­n die Beiziehung eines Rechtsvert­reters verweigert worden, weil, so die Begründung, „afghanisch­es Recht zur Anwendung kommt“. Gröber könne der Rechtsstaa­t Österreich nicht missachtet werden, so Schmaus.

Asyl-Rechtsbera­tung Kein gutes ■ Haar lassen die Rechtsanwä­lte an der geplanten staatliche­n Rechtsbera­tung für Asylwerber. Die Übertragun­g dieser Aufgabe von unabhängig­en Experten an staatliche Organe mit dem Innenminis­terium als Aufsichtsb­ehörde widersprec­he sämtlichen Standards eines Rechtsstaa­ts.

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Justitia hat es in Österreich nicht leicht. Gesetze würden zu schnell durchgepei­tscht und Bürgern werde der Zugang zu ihrem Recht erschwert, kritisiere­n Rechtsanwä­lte.

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