Johnson will schon diese Woche Brexit-Gesetz im Parlament einbringen
Nach dem fulminanten Wahlsieg Boris Johnsons in Großbritannien scheint der Brexit am 31. Jänner nun sicher. Die Schotten machen sich hingegen erneut auf den riskanten Weg zur Unabhängigkeit.
London – Boris Johnson will nichts anbrennen lassen: Erst am Donnerstag feierte der konservative Parteichef seinen Wahlsieg, der ihm ein starkes Mandat zur Umsetzung des Brexits gab. Am gestrigen Dienstag nahm er als bestätigter Premierminister seine Regierungsarbeit auf – zunächst mit einer Kabinettssitzung in der Londoner Downing Street, dann im britischen Unterhaus, das am Nachmittag zur konstituierenden Sitzung zusammenkam. Speaker Lindsay Hoyle wurde dabei einstimmig wiedergewählt: Er hatte erst im November die Nachfolge von John Bercow angetreten.
Die Regierung will bereits am Freitag das Ratifizierungsgesetz für den Brexit-Deal zur Abstimmung bringen. (red)
Schottland könne nicht gegen seinen Willen im Vereinigten Königreich eingesperrt bleiben, ließ Regierungschefin Nicola Sturgeon in Edinburgh nach der Unterhauswahl vergangene Woche ihrem Ärger freien Lauf. Ihre Scottish National Party (SNP) nimmt künftig 80 Prozent der schottischen Parlamentssitze im fernen Westminster ein, die Konservativen von Boris Johnson verloren gar einige Sitze im hohen Norden der Insel. Sturgeon, die so wie ihre Landsleute gegen den Brexit gestimmt hatte, sieht die Wahl als endgültigen Beweis dafür, dass Schottland besser heute als morgen „bye“zu dem noch vereinigten Königreich sagen sollte. Doch ist das realistisch?
Die Stimmung Eindeutige Zahlen, ■ wie man es im Land der Lochs und Glens nun mit „Los von Westminster“hält, gibt es nicht. Befürworter von „Indy Ref 2“(eines zweiten Unabhängigkeitsreferendums, Anm.) argumentieren, dass die 45 Prozent Wählerstimmen der SNP ein legitimes Mandat verleihen, das Land in die Unabhängigkeit zu führen.
Viele SNP-Wähler wollen ihr Land aber wohl einfach nur gut in London vertreten wissen – als Teil Großbritanniens. Allzu viele Steine sollte Johnson den Schotten aber auch nicht in den Weg legen: Je größer der Widerstand, desto besser für die Separatisten, lautet deren Kalkül.
Money, money, money „Zweifellos ■ könnte ein unabhängiges Schottland wirtschaftlich überleben“, sagt Ronald MacDonald, ein Glasgower Professor für Makroökonomie. „Allerdings würden die Schotten vor langen Jahren harter Austerität stehen.“Während die Regionalregierung bisher dank der Londoner Fördertöpfe aus dem Vollen schöpfen kann, müsste sie nach der Unabhängigkeit spürbar geizen. Edinburgh schultert schon jetzt ein massives Defizit.
Regierungschefin Sturgeon wischt solcherlei Bedenken vom Tisch. Alles eine Frage von Verhandlungen, sagt sie. Schließlich habe man London ja durchaus auch abseits von Whisky und Wolle etwas zu bieten: viel Strom etwa – oder auch Faslane, den Stützpunkt der britischen Atom-UBoot-Flotte.
Die Frage des Dürfens Morgen, ■ Donnerstag, will Holyrood, das schottische Regionalparlament, die britische Regierung formell um das Recht bitten, ein Referendum durchzuführen. In Section 30 des sogenannten Scotland Act, in dem 1998 die politische Autonomie Schottlands festgeschrieben wurde, wird nämlich einzig London das Recht zugebilligt, über Sein oder Nichtsein der „Union der Königreiche Schottland und England“zu befinden. Dieses Recht wurde bisher aber nie juristisch infrage gestellt. Gut möglich also, dass Edinburgh für den Fall von Johnsons „nay“den Kampf vor dem Obersten Gericht ausfechten will.
Drohbild Katalonien Forscher wie ■ Simon Hix, Verfassungsexperte von der London School of Economics (LSE), halten deshalb langfristig ein katalanisches Szenario durchaus für vorstellbar. Wenn auch nicht unbedingt in Form von Unruhen, aber durchaus, was einen zähen Verfassungsstreit zwischen Edinburgh und London anbelangt.
Die nordspanische Region hat sich in ihrer Forderung nach einer Volksabstimmung stets auf das schottische Vorbild berufen. Weil Barcelona 2017 auch ohne das Placet der Zentralregierung in Madrid ein Referendum durchführte, ließ diese die Polizei gegen Wähler aufmarschieren und die Führer der Separatisten inhaftieren.
Von London nach Brüssel Schützenhilfe ■ aus Brüssel darf sich das überwiegend pro-EU-gesinnte Schottland vorerst nicht erhoffen. 2014 sei den Menschen erklärt worden, nur ein Verbleib bei Großbritannien sichere Schottlands Zukunft in der EU ab, erinnert Regierungschefin Sturgeon. Auch deshalb sei das Referendum damals mit 55 zu 45 Prozent für den Verbleib ausgegangen. Der Brexit ändere die Situation fundamental.
Sturgeon will für den Fall der Unabhängigkeit binnen 18 Monaten der EU beitreten, auch wenn etwa der frühere Parlamentspräsident Martin Schulz „eine sehr lange und harte Debatte“darüber prophezeit. Schließlich müsste Schottlands Antrag von allen Mitgliedsstaaten bewilligt werden. Spanien könnte an Schottland ein Exempel statuieren, nicht zuletzt, um die Katalanen abzuschrecken.