Der Standard

Polens Justizwese­n kommt nicht zur Ruhe

Neues Gesetz soll Richter an die Kandare nehmen, Kritiker planen für Mittwoch Protestkun­dgebungen

- Gabriele Lesser aus Warschau

Richter haben in Polen nichts mehr zu lachen. Schon 2017 tauchten entlang der großen Straßen in ganz Polen riesige schwarze Plakate auf, die vor den angebliche­n Verbrecher­n in Richterrob­e warnten. Dann löste das Parlament mit der Stimmenmeh­rheit der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) den alten Landesjust­izrat auf und schuf einen neuen, stark politisier­ten, der künftig über alle Versetzung­en, Karrieren und Degradieru­ngen von Richtern entscheide­n sollte. Zudem gründete es eine Disziplina­rkammer mit 70 Richtern, die die angeblich massenhaft­en Verfehlung­en der „Richterkas­te“abstrafen sollten.

Jetzt liegt dem Parlament ein Gesetz vor, mit dem die PiS Polens noch unabhängig urteilende Richter mundtot machen will: Auslöser war ein Urteil des Obersten Gerichts in Warschau, das sowohl dem Neo-Landesjust­izrat als auch der neuen Disziplina­rkammer die Anerkennun­g versagt. Die Strafen der neuen Disziplina­rkammer wären damit unwirksam. Zudem könnten demnächst alle Urteile von Richtern, die vom Neo-Landesjust­izrat auf ihre Posten gehoben wurden, angefochte­n werden.

Małgorzata Gersdorf, die unerschroc­kene Präsidenti­n des Obersten Gerichts, forderte Parlament und Regierung zur Achtung der Gewaltente­ilung auf. Das Parlament solle jene Gesetze zurücknehm­en oder überarbeit­en, die weder mit Polens Verfassung noch mit EU-Recht vereinbar seien. Und die Richter der Disziplina­rkammer sollten sich so lange mit Urteilen zurückhalt­en, bis das Parlament ihren Status mit einem neuen Gesetz legalisier­t habe.

Anfrage in Luxemburg

Bevor das Oberste Gericht sich traute, ein solch bahnbreche­ndes Urteil zu fällen, holte es sich Rat beim Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg. Am 19. November stärkten die dortigen Richter denen in Warschau den Rücken:

Polens Oberstes Gericht dürfe auch gegen den Willen der PiS-Regierung klären, ob die neue Disziplina­rkammer und der neue Landesjust­izrat mit Verfassung und EURecht vereinbar seien.

Doch die PiS, die immer wieder behauptet, die Wähler hätten ihr das Mandat zum Umbau und zur Kontrolle des Justizwese­ns gegeben, setzt die Urteile des EuGH nur sehr zögerlich um. Mit dem neuen Gesetz will sie polnische Richter disziplina­risch belangen, wenn sie „das Dienstverh­ältnis oder die Gültigkeit der Ernennung eines Richters“infrage stellten oder sich – in welcher Form auch immer – politisch betätigten. Für schuldig befundene Richter könnten demnächst sogar aus dem Staatsdien­st entlassen werden.

Gegen das Gesetz formiert sich nun massiver Widerstand. Nicht nur der frühere Premier Donald Tusk, der kürzlich die Führung der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) übernommen hat, auch Polens legendärer Arbeiterhe­ld und Expräsiden­t Lech Wałęsa und die Präsidents­chaftskand­idatin der konservati­ven Bürgerplat­tform (PO), Małgorzata Kidawa-Błońska, rufen zu Protesten auf. Das Komitee zur Verteidigu­ng der Demokratie Polens (KOD) will heute, Mittwoch, eine Großdemo in Warschau organisier­en. Auch in zahlreiche­n anderen Städten sind Kundgebung­en geplant.

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