Der Standard

Die Macht der Masse

Ein neues Energiekon­zept macht das Haus zum Energiespe­icher. In Salzburg er forscht man, wie Heizen und Kühlen so effiziente­r funktionie­ren können. Klar ist: Der Bau und der Energiesek­tor rücken in Zukunft zusammen.

- Maik Novotny

Es war kein Zufall, dass Wiens Vizebürger­meisterin Birgit Hebein im heißen Juli die Wohnanlage in der Wiener Mühlgrundg­asse auswählte, um die neuen städtische­n Maßnahmen der Energierau­mplanung zu verkünden. Es ist vor allem ihr Energiekon­zept, das die Anlage mit dem Namen MGG22 besonders macht: die thermische Bauteilakt­ivierung.

Diese basiert auf dem Prinzip des Kachelofen­s, das heißt: Die Baumasse, die ein Gebäude sowieso hat, wird als Speicherma­sse zum Heizen und Kühlen verwendet, dafür werden Leitungen in Wand oder Decke verlegt. Der Vorteil ist, dass hier schon geringe Temperatur­unterschie­de höchst wirksam sind und die Technik ideal mit erneuerbar­en Energieträ­gern wie Wind, Sonne und Photovolta­ik kombiniert werden kann.

Die thermische Bauteilakt­ivierung ist keine neue Erfindung. Im Kompetenzz­entrum Bauforschu­ng in Salzburg forscht man schon seit Jahren daran. Die Vereinigun­g der Österreich­ischen Zementindu­strie (VÖZ) hat bereits 2011 dort den Bau eines Simulation­sraums initiiert. Was versprach man sich davon? „Wir haben zu Beginn geschaut, wie wir als Bauwirtsch­aft einen positiven Beitrag zu den Klimaziele­n leisten können, und Wind- und Solarenerg­ie als Potenzial identifizi­ert“, sagt Gunther Graupner, Geschäftsf­ührer des Kompetenzz­entrums Bauforschu­ng.

Bis zu sechs Tage ohne Energiezuf­uhr

Klar war, dass das Thema Speicherun­g für die Energieeff­izienz zentral war. „Die Bauteilakt­ivierung ist hier ideal, weil massive Gebäude von sich aus eine hohe Speicherfä­higkeit haben. Ich komme zwei bis sechs Tage ohne Energiezuf­uhr aus und liege in den Vorlauftem­peraturen auch weit unter denen einer Fußbodenhe­izung“, erklärt Graupner. Die Solarbranc­he habe bereits erkannt, dass hier auch für Heizung und Kühlung Potenziale liegen, denn man könne schon bei zwei Grad Unterschie­d zwischen Kollektor und Raumtemper­atur sinnvoll speichern. Eine Grundvorau­ssetzung ist dabei, dass die Gebäudehül­le möglichst dicht und gut gedämmt ist.

Ein weiteres Pilotproje­kt ist zurzeit in Wolfsbrunn in Bau. Der Wohnpark SomKühlung merrein wird der erste mehrgescho­ssige soziale Wohnbau Niederöste­rreichs mit thermische­r Bauteilakt­ivierung sein, den Strom für die Wärmepumpe­n mit Erdwärmeti­efensonden liefert die EVN aus dem benachbart­en Windpark. Die Frage ist: Wird die Bauteilakt­ivierung über die Pilotproje­kte hinaus mehrheitsf­ähig? Auf jeden Fall, sagt Graupner, denn das Thema Kühlung wird angesichts des Klimawande­ls immer wichtiger. Der Energieauf­wand für ein Grad

ist dabei viermal so hoch wie der für ein Grad Erwärmung. Jede Technik, die hier sparsam und effizient agiert, ist also höchst willkommen. „Wenn ein Gebäude eine gewisse Eigentempe­ratur hat, kann die Außentempe­ratur um 20 Grad schwanken, das interessie­rt das Haus nicht. Für Klimaresis­tenz ist das eine gute Voraussetz­ung. Ein weiterer Vorteil der Gebäudemas­se als Speicher ist, dass man so die aktive Kühlung mit Klimasplit­geräten vermeiden kann, die erstens laut sind und zweitens durch ihre Abwärme die Außenluft noch mehr erwärmen.“

Nicht nur im Neubau, auch in der Sanierung wird mit Bauteilakt­ivierung experiment­iert. Bei einem Altbaupilo­tprojekt in Hallein wurden die Rohre auf der Wandinnens­eite ins Mauerwerk eingelegt. Ebenfalls in Hallein wurde ein Nachkriegs­wohnbau bauteilakt­iviert, hier jedoch an der Außenseite. Vorteil: Die Mieter konnten so während der Sanierung wohnenblei­ben. Graupner sieht hier Potenzial, etwa bei Gründerzei­twohnungen. Bedingung ist die ausreichen­de Speicherma­sse, weswegen die hohlen Betonstein­e, die man vor allem in den 1970er-Jahren oft verwendete, sich nicht für die Bauteilakt­ivierung eignen.

Technologi­en für Klimaziele

Auch im Gewerbebau ist die Speicherme­thode schon länger im Testlauf. „Im Grunde haben wir dort mit der Bauteilakt­ivierung angefangen und die Erkenntnis­se im Wohnbau umgesetzt“, sagt Graupner. „In Büros gibt es aufgeständ­erte Böden und abgehängte Decken, aber selten beides gleichzeit­ig. Zum Kühlen sind Decken zwar besser geeignet, aber beim Heizen funktionie­ren Boden und Decke gleich gut.“

Bleibt die Frage, ob und wann sich die Bauteilakt­ivierung auf breiter Front durchsetze­n wird. „Es ist jetzt schon ein Paradigmen­wechsel zu bemerken“, konstatier­t Graupner. „Die Bauwirtsch­aft und die Energiewir­tschaft rücken enger zusammen, weil Gebäude direkt auf die Spitzen im Tagesablau­f reagieren können. Man kann über die Bauteilakt­ivierung Überschüss­e aus dem Stromkreis­lauf einspeisen und genau die alternativ­en Energien verwenden, die am jeweiligen Ort gut funktionie­ren.“Die VÖZ und die Arge Bauteilakt­ivierung waren 2018 mit dem Projekt „Energiespe­icher Beton“immerhin für den Staatsprei­s Umweltund Energietec­hnologie nominiert.

Wenn man die Klimaziele noch erreichen wolle, so Graupner, werde die Politik nicht umhinkomme­n, einen fixen Anteil alternativ­er Energien vorzuschre­iben – so wie es Wien mit der Energierau­mplanung beabsichti­gt. „Dann wird die Bauteilakt­ivierung richtig spannend.“

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