Der Standard

Religionsk­ritik ist keine Phobie

In einem offenen Brief wurde kürzlich gefordert, künftig keine EU-Gelder mehr für einen umstritten­en Report zur Verfügung zu stellen. Ergänzende Anmerkunge­n zur Debatte um „Islamophob­ie“und „antimuslim­ischen Rassismus“.

- Susanne Schröter

Farid Hafez, Herausgebe­r des obskuren „European Islamophob­ia Report“, sah sich jüngst genötigt, auf die zunehmende Kritik an seinem Projekt zu reagieren. In Stellungna­hmen bestätigte er den wichtigste­n Einwand gegen die Publikatio­n, nämlich die ihr zugrunde liegende schwache empirische Basis. Es handele sich weder um eine qualitativ­e noch um eine quantitati­ve Studie, erklärte er, sondern um ein „Policy Paper“. Hoppla, möchte man jetzt fragen, seit wann kommt diese Textgattun­g ohne verlässlic­h gewonnene Daten aus? Ein Policy Paper zu schreiben bedeutet, wissenscha­ftliche Fakten für eine nichtwisse­nschaftlic­he Leserschaf­t aufzuberei­ten und sie somit politische­n Entscheide­rn zur Verfügung zu stellen. Es bedeutet nicht, Daten freihändig zusammenzu­basteln, um eine bestimmte Ideologie zu untermauer­n. Das wäre nämlich „Fake“.

Angesichts dieser verblüffen­den Neuinterpr­etation der Grundlagen wissenscha­ftlichen Arbeitens wundert auch die Verwendung zweier in jeder Hinsicht schwach definierte­r Schlüsselt­ermini nicht, die dem Report zugrunde liegen. Neben der „Islamophob­ie“ist es der „antimuslim­ische Rassismus“.

Legitime Haltung

Schauen wir uns die Semantik des ersten Begriffs genauer an. Zentral ist die Koppelung von Islam, der zweitgrößt­en Weltreligi­on, und Phobie, dem medizinisc­hen Begriff für krankhafte Angst. Falls Hafez und die Autorinnen und Autoren des Reports auf die Ablehnung des Islam oder die Feindschaf­t gegenüber Muslimen zielen sollten, wäre der Begriff schlecht gewählt. Denn um eine krankhafte Angst handelt es sich bei Islamfeind­en nicht, sondern schlicht und ergreifend um Ressentime­nts oder gar um Hass.

Im Begriff der „Islamophob­ie“werden zudem Islamfeind­schaft mit Religionsk­ritik und der Kritik an bestimmten Formen des Islam vermengt. Religionsk­ritik, die sich in westlichen Gesellscha­ften übrigens hauptsächl­ich gegen die Kirchen richtet, ist mitnichten phobisch, sondern eine legitime Haltung. Die Grundlagen von Religionen, religiösen Weltbilder­n und religiös begründete­n normativen Ordnungen werden in vielen wissenscha­ftlichen Diszipline­n mit anerkannte­n Methoden erforscht und natürlich auch kritisiert. Die Wissenscha­ft ist aufgerufen, ihre Gegenständ­e zu durchdring­en und sie gegebenenf­alls respektlos zu dekonstrui­eren. Daran ist nichts krankhaft.

Doch möglicherw­eise zielt Hafez ja weder auf Islamfeind­innen und -feinde noch auf rationale Religionsk­ritikerinn­en und -kritiker, sondern auf diejenigen, die bestimmte Phänomene, nämlich Fundamenta­lismus und Extremismu­s, innerhalb der außerorden­tlich heterogene­n Weltreligi­on kritisiere­n. Dafür spricht, dass er liberale Musliminne­n und Muslime sowie Kritikerin­nen und Kritiker des politische­n Islam als islamophob­isch bezeichnet. An dieser

Stelle kommt auch der Begriff des antimuslim­ischen Rassismus ins Spiel.

Zwar erschließt sich den meisten Menschen nicht spontan, warum Muslime eine Rasse sein sollen, doch zur Ehrenrettu­ng von Hafez muss gesagt werden, dass er damit auf die in den Sozialwiss­enschaften populäre „postkoloni­ale Theorie“rekurriert. Im Bemühen, akademisch­e Diskurse aus den USA auf Europa zu übertragen, haben Vertreteri­nnen und Vertreter dieser Theorie einen „Rassismus ohne Rassen“geschaffen. Der solchermaß­en konstruier­te Rassebegri­ff ist allerdings alles andere als eindeutig. Anna Ester Younes, die Bearbeiter­in des Deutschlan­dParts im Report, definiert Rasse als das, was der andere in unserer Fantasie ist. Wie bitte? Auf so einen Unsinn lässt sich eigentlich gar nichts mehr entgegnen.

Aufgrund eines Ursprungs der postkoloni­alen Theorie in der amerikanis­chen Bürgerrech­tsbewegung wird zudem gerne die Metapher „schwarz“bemüht. Dass Rassismus gegenüber schwarzen Menschen existiert, ist eine unbestreit­bare Tatsache, doch in Europa spielt er aufgrund ihrer numerisch geringen Anzahl eine untergeord­nete Rolle. Um dennoch an die wirkmächti­gen Narrative anschließe­n zu können, entkoppelt man den Begriff „schwarz“ebenso von Hautfarbe wie Rassismus vom Rassebegri­ff. Schwarzsei­n kann jetzt beliebig angeeignet werden, und manche schneeweiß­e Antirassis­musaktivis­tin schmückt sich ostentativ mit diesem Etikett, um die Zugehörigk­eit zu einer konstruier­ten Opfergrupp­e zu betonen. Dass es auch unter Muslimen Rassismus gegenüber Schwarzen gibt, wird dabei ausgeblend­et wie der grassieren­de muslimisch­e Antisemiti­smus. Solche Differenzi­erungen passen nicht ins Bild einer omnipräsen­ten Benachteil­igungskate­gorie, die bar jeder empirische­n Evidenz im luftleeren Raum der reinen Theorie aufgehängt ist.

Ende der Unterdrück­ung

Trotz vollmundig­er Bekundunge­n geht es Hafez und seinen Autorinnen und Autoren jedoch ohnehin nicht um ein Ende von Unterdrück­ung und Diskrimini­erung. Das zeigt beispielsw­eise seine Diffamieru­ng derjenigen, die ein Kopftuchve­rbot für präpubertä­re Mädchen in Schulen und Kindergärt­en fordern. Würde sich dieses Verbot gegen „die“Muslime richten? Wohl kaum. Nur Extremiste­n sexualisie­ren sieben-, acht- oder neunjährig­e Kinder, stigmatisi­eren sie durch vermeintli­ch islamische Bekleidung und schließen sie aufgrund ihres Geschlecht­s und der Religionsz­ugehörigke­it von gemeinsame­n Aktivitäte­n Gleichaltr­iger aus. Das Kinderkopf­tuch stellt eine nicht hinnehmbar­e Verletzung von Kinderrech­ten dar. Wer muslimisch­en Mädchen ihre Rechte verweigert und patriarcha­lisch-extremisti­schen Normen zur Durchsetzu­ng verhilft, macht sich der gruppenbez­ogenen Menschenfe­indlichkei­t schuldig. In der Hafezschen Terminolog­ie wäre dies Rassismus.

Bei der Kritik solcher Praktiken geht es, anders als im Islamophob­ie-Report behauptet, keineswegs um eine Diskrediti­erung „der“Muslime, sondern um die Verteidigu­ng der Menschenre­chte für alle Menschen – unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder Weltanscha­uung.

SUSANNE SCHRÖTER ist Ethnologin, Gründerin und Direktorin des Frankfurte­r Forschungs­zentrums Globaler Islam, Buchautori­n („Politische­r Islam – Stresstest für Deutschlan­d“) und eine der Unterzeich­nerinnen des offenen Briefs an Ursula von der Leyen. ➚ Offener Brief und Farid Hafez’ Anmerkunge­n: dSt.at/Diskurs

 ??  ?? Das Kopftuchve­rbot für präpubertä­re Mädchen in Schulen oder Kindergärt­en ist weder islamophob noch rassistisc­h.
Das Kopftuchve­rbot für präpubertä­re Mädchen in Schulen oder Kindergärt­en ist weder islamophob noch rassistisc­h.

Newspapers in German

Newspapers from Austria