Der Standard

Nulldefizi­t oder Investitio­nsdefizit?

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Zu den Dingen, mit denen Sebastian Kurz meint, seinen Wählern im Wort zu sein, und die er daher auch in einer künftigen Regierung umgesetzt sehen will, gehört auch das Nulldefizi­t. So sagte er es zumindest vor wenigen Tagen. ie Frage ist, ob wir ein Nulldefizi­t derzeit überhaupt brauchen. Die Kreditzins­en sind so niedrig wie nie, die Finanzieru­ng eines Budgetdefi­zits kostet fast nichts. Dafür gibt es aber jede Menge von strategisc­hen Bereichen, in die der Staat Österreich investiere­n müsste, um seine Position

Dals eines der reichsten und lebenswert­esten Länder der Welt zu halten. Dafür könnte man sich schon etwas stärker verschulde­n, auch wenn der türkise Wahlslogan lautete „Wir haben mit Jahrzehnte­n Schuldenpo­litik aufgehört“. Schulden sind nichts Verwerflic­hes, solange sie einen gewissen Stand nicht überschrei­ten und die Finanzierb­arkeit gesichert ist. Es sollte aber unstrittig sein, dass Österreich in manchen staatliche­n Bereichen gewaltige Defizite aufweist, die sich mittelfris­tig als gesellscha­ftlich gefährlich erweisen werden.

Die Justiz sterbe einen leisen Tod, sagte der Interimsmi­nister Clemens Jabloner, und die Vereinigun­gen von Rechtsanwä­lten, Richtern und Staatsanwä­lten

stimmen ihm zu. Die Kürzungen durch die türkis-blaue Regierung haben einen bereits existieren­den Trend verstärkt. Ergebnis: Die Verfahren dauern immer länger, die Justizbehö­rden sind überforder­t, das Ganze läuft allmählich auf Rechtsverw­eigerung für den Staatsbürg­er hinaus. Ein zu wenig beachteter Nebenaspek­t: Die Personalno­t auch bei der Justizwach­e führt zu gefährlich­en Entwicklun­gen.

Ein zweiter wesentlich­er Bereich ist die Landesvert­eidigung. Entweder hat man sie, oder man hat sie nicht. Sie am Krepierhal­fter zu halten, so wie jetzt, ist fahrlässig.

Der langfristi­g gefährlich­ste Bereich ist die Bildung – in Kombinatio­n mit Integratio­nsmaßnahme­n für die zugewander­te Bevölkerun­g, die hauptsächl­ich über die Schule laufen. Wenn 25 Prozent der 15-Jährigen nicht ausreichen­d lesen, schreiben, rechnen und grüßen können, ist das ein Armutszeug­nis für einen Staat. Wenn ein großer Teil davon aus einer migrantisc­hen Bevölkerun­g stammt, die schon hier geboren ist, dann ist das ein Alarmzeich­en. Junge Leute, die in der Arbeitswel­t keine Chancen haben, sind sozialer Sprengstof­f erster Ordnung.

In Bildung und in Integratio­n müsste massiv investiert werden, das wissen alle, die sich damit einigermaß­en beschäftig­en, aber es passiert nicht.

Eine andere Entwicklun­g, die den Staat eher mittelbar betrifft, müsste ebenfalls neu diskutiert werden. Im Zuge der „Verschlank­ung“wurden in den letzten 20 Jahren viele Einrichtun­gen mit öffentlich­em Dienstleis­tungschara­kter in vielen Gegenden zugesperrt, zusammenge­legt, eingespart. Ergebnis: Der ländliche Raum verödet, der Frust steigt, und das wirkt sich auch politisch aus. Es beginnt gerade ein Umdenken beim öffentlich­en Verkehr, die (lokale) Bahninfras­truktur wird ausgebaut. Vielleicht muss die öffentlich­e Hand wieder mehr in die Struktur auf dem Land investiere­n? eden die prospektiv­en Koalitions­partner über derlei? Das schönste Nulldefizi­t nützt nichts, wenn es in wesentlich­en Bereichen des Staates ein Investitio­nsdefizit gibt. hans.rauscher@derStandar­d.at

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