Der Standard

Fataler Kreislauf

- Eric Frey

Mehr als 300 Menschenle­ben haben die beiden Flugzeugab­stürze von Maschinen des Typs Boeing 737 Max 8 gekostet. Was seither über die Versäumnis­se beim US-Flugzeughe­rsteller bekannt geworden ist, weist auch auf Probleme hin, die über dieses Modell hinausgehe­n und zahlreiche Industrieb­ranchen betreffen. Wenn Boeing nun die Produktion des Unglücksfl­iegers aussetzt, signalisie­rt der Konzern, dass er keine rasche Lösung sieht.

Seit Anfang des Jahrzehnts kannte Boeing nur ein Ziel: ein Flugzeug zu bauen, das es mit dem Erfolg des Airbus A320neo aufnehmen konnte. Um Zeit zu sparen, verzichtet­e man auf die Entwicklun­g eines neuen Modells, stattdesse­n baute man die bewährte 737 einfach um. Als die neuen Anforderun­gen zum alten Design nicht passten und Flugfehler auftauchte­n, setzte man zur Korrektur eine Software ein. Weil Boeing den Fluglinien versproche­n hatte, die 737 Max erfordere keine aufwendige­n Pilotensch­ulungen, wurde die neue Software erst gar nicht in die Handbücher aufgenomme­n – selbst dann nicht, als ihre Funktion im letzten Moment deutlich erweitert wurde. Zum Schluss verzichtet­e Boeing sogar auf einen zweiten Sensor, nur um ja nicht ein Eingreifen der Piloten zu erzwingen.

Bei all diesen Entscheidu­ngen saßen stets Finanzleut­e am Steuer, während die Techniker mundtot gemacht wurden. Und dank Boeings jahrelange­r Lobbyarbei­t war die US-Luftfahrta­ufsicht FAA weder in der Lage noch gewillt, die Angaben des Konzerns zu hinterfrag­en. Die Katastroph­e war unvermeidb­ar, sagen Insider heute.

Was bei Boeing geschah, ist symptomati­sch für Konzerne, deren Management lediglich auf Quartalsge­winne und Aktienkurs­e schaut und ehrliche Langfristp­lanung vernachläs­sigt. Dazu kommt das Phänomen der „regulatori­schen Kaperung“: Die Aufsicht wird durch politische­n Druck und falsche ökonomisch­e Argumente handzahm gemacht. Eine ähnliche Dynamik hat einst die Banken in die Finanzkris­e und Volkswagen ins Dieselfias­ko geführt.

Den Preis für solche Fehlentwic­klungen zahlt nicht nur die Allgemeinh­eit, es rächt sich auch für die Unternehme­n und deren Aktionäre. Bei Boeing ist es höchste Zeit, dass Noch-Konzernche­f Dennis Muilenburg zurücktrit­t. Und viele andere Unternehme­n müssen sich fragen, ob sie nicht auch in einem solchen fatalen Kreislauf der Verantwort­ungslosigk­eit stecken. Denn damit untergrabe­n sie die moralische­n Grundfeste der Marktwirts­chaft.

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