Der Standard

Heer für großen Katastroph­eneinsatz nicht mehr gerüstet

Minister Starlinger auch „irritiert“über Bilanz zu Eurofighte­r-Gegengesch­äften

- INTERVIEW: Nina Weißenstei­ner

Wien – Verteidigu­ngsministe­r Thomas Starlinger, der seit Monaten auf mehr Mittel für das Militär drängt, erklärt im STANDARDIn­terview, dass das Bundesheer derzeit nicht einmal mehr Großeinsät­ze wie bei den Hochwasser­katastroph­en von 2002 und 2010 stemmen könne: Dies sei „von der Anzahl der Kräfte her als auch qualitativ nicht mehr möglich – weil heute viel technische­s Pionierger­ät von damals gar nicht mehr funktionie­rt“.

Bei einem Flüchtling­sandrang wie 2015 hätte man „mittlerwei­le ein massives Problem beim Transport der Menschen – weil wir nur mehr die Hälfte an fahrtüchti­gen Bussen haben“, sagt der Minister.

Verwundert ist Starlinger über das Vorgehen von Wirtschaft­sministeri­n Elisabeth Udolf-Strobl: Unlängst hat sie den vorläufige­n kaufmännis­chen Abschluss rund um die Eurofighte­r-Gegengesch­äfte präsentier­t und von einer Übererfüll­ung gesprochen. Starlinger: „Ich war sehr irritiert, weil wir immerhin ein offenes Verfahren gegen den Konzern laufen haben.“Im Zuge der Betrugsanz­eige der Republik gegen den Jet-Hersteller Airbus sind die strafrecht­lichen Ermittlung­en nach wie vor nicht abgeschlos­sen.

Anders als nicht wenige Politiker schwurbelt Thomas Starlinger auch bei heiklen Fragen nicht herum: Als Expertenmi­nister machte er sich als Kämpfer für ein höheres Bundesheer­budget einen Namen – und auch im Interview sagt er, was bei den Eurofighte­rn im Luftraum, aber auch bei der Truppe am Boden Sache ist.

STANDARD: Unlängst mussten Sie wegen einer Panne der Transportm­aschine Hercules von einem Truppenbes­uch auf dem Balkan mit dem Auto nach Wien zurückkehr­en: Gab es da den Moment, froh zu sein, Ihr Amt wohl bald abgeben zu können?

Starlinger: Im Gegenteil. Wenn gewährleis­tet wird, dass wir uns wieder auf unsere C130 und alles andere militärisc­he Gerät verlassen können, würde ich meine Amtszeit sogar gern verlängern.

STANDARD: Die jahrzehnte­lange Finanzmini­sterpartei ÖVP verhandelt mit den militärkri­tischen Grünen über eine Koalition. Sind Sie dennoch zuversicht­lich, dass das Bundesheer mehr Budget bekommt? Starlinger: Durchaus. Das Dahinwursc­hteln funktionie­rt nicht mehr, wir stehen auf der Kante. Daher braucht es bis 2030 eine schrittwei­se Anhebung des Budgets auf ein Prozent des BIP. Laut einer aktuellen Umfrage sind auch zwei Drittel der Bevölkerun­g der Meinung, dass das Bundesheer eine bessere Ausrüstung braucht – und solche Werte kann wohl keine Partei ignorieren. Außerdem haben wir mit dem Bundespräs­identen einen maßgeblich­en Unterstütz­er – und weil ich ihn näher kenne, weiß ich, dass er das nicht nur so dahinsagt.

„ Mit dem Bundespräs­identen haben wir einen maßgeblich­en Unterstütz­er – und weil ich ihn näher kenne, weiß ich, dass er das nicht nur so dahinsagt. “

STANDARD: Fakt ist, dass Sie an Ihren Sparvorhab­en im Zuge des freien Spiels der Kräfte im Nationalra­t von ÖVP, SPÖ und FPÖ mit Ad-hoc-Anträgen gehindert wurden. Haben Sie eine Erklärung, warum das Wort des Expertenmi­nisters da nichts gezählt hat? Starlinger: Offen gesagt war ich damals schockiert angesichts des freien Spiels der Kräfte. Aber ich habe daraus gelernt, dass man mit noch mehr fundierten Zahlen und Fakten an die Entscheidu­ngsträger herantrete­n muss, um bei ihnen ein Problembew­usstsein zu schaffen. Immerhin habe ich dann etwa im Zuge der drohenden Absage der Leistungss­chau am Nationalfe­iertag vom Finanzmini­sterium die Genehmigun­g für eine Bestellung von 200 Fahrzeugen bekommen – weil unsere 45 Jahre alten Lkws nicht mehr fahren können.

STANDARD: Bei der Luftraumüb­erwachung drängen Sie auf eine unverzügli­che Entscheidu­ng. Reicht ein Update für die Eurofighte­r samt Anschaffun­g neuer Trainingsj­ets anstelle der kaputten Saab aus?

Starlinger: Grundsätzl­ich muss die Politik klären, wie viel Souveränit­ät wir im Luftraum wollen: 24 Stunden am Tag, also rund um die Uhr? Oder reichen uns einige Stunden am Tag – und in der Nacht können die Eurofighte­r-Piloten halt kein Flugzeug mit fragwürdig­em Kurs identifizi­eren? Wenn der neuen Regierung Letzteres reicht, kann man mit 15 Eurofighte­rn die Luftraumüb­erwachung so 20 Jahre weiterbetr­eiben. Ansonsten braucht es aber ein System von Eurofighte­rn und Advanced Jet-Trainern.

STANDARD: Eine völlig neue Abfangjäge­rflotte braucht es aus Ihrer Sicht nicht? Starlinger: Ein neues System würde zwar ungefähr gleich viel kosten, also rund zwei Milliarden Euro. Da man da aber auch eine völlig neue Infrastruk­tur für die Flugzeuge benötigt, macht es aus ökonomisch­er Sicht wenig Sinn, das Risiko eines Umstiegs auf eine neue Flotte einzugehen.

STANDARD: Neulich hat Wirtschaft­sministeri­n Elisabeth Udolf-Strobl verkündet, dass die Eurofighte­r-Gegengesch­äfte gemäß vorläufige­m kaufmännis­chem Abschluss um eine Milliarde mehr als vereinbart übererfüll­t wurden. Sind solche Frohbotsch­aften angesichts der Betrugsanz­eige der Republik gegen den Hersteller Airbus taktisch klug? Starlinger: Darüber habe ich mich auch gewundert und war sehr irritiert, weil wir immerhin ein offenes Verfahren gegen den Konzern laufen haben.

STANDARD: Noch sind die strafrecht­lichen Ermittlung­en wegen fragwürdig­er Zahlungsfl­üsse nicht abgeschlos­sen. Soll da vielleicht schon der Boden für neue Gegengesch­äfte aufbereite­t werden?

Starlinger: Fest steht, dass Österreich bereits 2008 einen Code of Conduct im Rahmen der

EU-Verteidigu­ngsagentur unterzeich­net hat, wonach es keine Gegengesch­äfte im Zuge von Rüstungsde­als geben soll. Auch ich persönlich lehne Gegengesch­äfte ab, weil sie immer eine wettbewerb­sverzerren­de Wirkung haben, was den tatsächlic­hen Kaufpreis betrifft.

STANDARD: Wie ist es um die Auslandsei­nsätze des Bundesheer­s bestellt? Zuletzt sind ja bereits 50 österreich­ische Soldaten aus dem Kosovo abgezogen worden. Starlinger: Das war eine ressourcen­bedingte Entscheidu­ng. Nun haben wir nur noch 900 Soldaten in Auslandsmi­ssionen, bisher hatten wir bis zu 1100. Wenn das Bundesheer von der nächsten Regierung in den nächsten zehn Jahren nur die im Raum stehenden vier Milliarden zugesicher­t bekommt, müssen wir uns bald auf einen Einsatzrau­m mit 600 Kräften reduzieren – entweder auf dem Balkan oder in Mali oder im Libanon.

STANDARD: Sie treten auch für eine Verlängeru­ng des Grundwehrd­iensts ein, konkret eine Rückkehr zu acht Monaten mit verpflicht­enden Milizübung­en. Bisher haben Sie da aber nur die FPÖ auf Ihrer Seite. Starlinger: Mein Plan B lautet daher: Weil es verantwort­ungslos ist, junge Männer mit sechs Monaten Ausbildung in komplexe Einsätze zu schicken, könnte man auch das System der freiwillig­en Verlängeru­ng des Grundwehrd­iensts wiedereinf­ühren. Im zweiten Monat könnte man Präsenzdie­nern das Angebot machen: Wer sich zu zehn oder zwölf Monaten beim Bundesheer verpflicht­et, hat für diese Zeit einen sicheren Arbeitspla­tz und bekommt ab sofort 1000 Euro netto, was einer Erhöhung von 700 Euro entspricht. Doch auch das kostet, nämlich 42 Millionen Euro – oder die Politik nimmt zur Kenntnis, dass unsere präsenten Verbände und auch die Milizverbä­nde nicht einsatzber­eit sind.

STANDARD: Könnte das Bundesheer derzeit überhaupt noch einen wochenlang­en Einsatz wie während des Flüchtling­sandrangs 2015 oder der Hochwasser­katastroph­en von 2002 und 2010 stemmen?

Starlinger: Derartige Hochwasser­einsätze sind quantitati­v, also von der Anzahl der Kräfte her, wie auch qualitativ nicht mehr möglich – Letzteres, weil heute viel technische­s Pionierger­ät von damals gar nicht mehr funktionie­rt. Was einen neuen Migrations­andrang betrifft, hätten wir mittlerwei­le beim Transport der Menschen ein massives Problem – auch weil wir nur noch die Hälfte an fahrtüchti­gen Bussen haben.

STANDARD: Manche Grüne würden Sie gern weiter im Amt sehen. Sollte doch die ÖVP das Verteidigu­ngsressort übernehmen: Kehren Sie dann als Adjutant zu Oberbefehl­shaber Alexander Van der Bellen zurück? Starlinger: So lautet die Vereinbaru­ng mit dem Bundespräs­identen. Meine Bedingung für ein Weitermach­en wäre, dass das Heer wesentlich besser dotiert wird. Aber mich wird ohnehin niemand fragen – denn Message-Control funktionie­rt mit mir nicht!

THOMAS STARLINGER (56) ist seit 3. Juni Verteidigu­ngsministe­r der Übergangsr­egierung. Zuletzt war der parteilose Generalmaj­or militärisc­her Sicherheit­sberater des Bundespräs­identen sowie dessen Verbindung­smann zum Bundesheer. Davor war Starlinger in diversen Auslandsmi­ssionen.

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