Der Standard

Macrons ziemlich bester Feind

Nur der gemäßigte Gewerkscha­ftsboss Laurent Berger kann in Frankreich­s Pensionsst­reit vermitteln

- Stefan Brändle aus Paris

Nach zwei Wochen Streik verharren Reformer und Gegner auf ihren Positionen. Und zwar aus Prinzip. Präsident Emmanuel Macron auf der einen Seite verkörpert den technokrat­ischen Anspruch der Pariser Verwaltung­selite, die aus Prinzip recht hat. Auf der anderen Seite ebenso uneinsicht­ig der schnauzbär­tige Boss der Gewerkscha­ft CGT, die den Klassenkam­pf im Blut hat. Sie verlangt bewusst das Unmögliche, nämlich das bedingungs­lose Abrücken von der Macron-Reform.

Dazwischen balanciert Laurent Berger, der dritte Mann des Titanenkam­pfes. Der ehemals christlich­e Gewerkscha­fter steht seit 2012 der moderaten Gewerkscha­ft CFDT vor. Sie hat der ehemals kommunisti­schen CGT den Rang der größten Arbeitnehm­ervertretu­ng Frankreich­s abgelaufen, obwohl – oder weil – sie weniger radikal auftritt. Im Ausland kennt man sie weniger, da sie bei den typisch französisc­hen Sozialkonf­likten kaum in Erscheinun­g tritt.

Auch Laurent Berger verhandelt lieber im Hintergrun­d. Sein Vorbild ist das Modell der deutschen Mitbestimm­ung. Es entspricht zwar nicht dem französisc­hen Naturell, das eine Einigung erst nach dem Clash vorsieht. In

Wahrheit erreicht Berger aber mehr als die CGT. 2018 mäßigte er zum Beispiel Macrons Arbeitsmar­ktreform, während die CGT mit ihrem Rundum-Widerstand auch rundum auflief. Auch in der Rentenrefo­rm nimmt der kurz nach dem legendären Mai von 1968 geborene Westfranzo­se eine ebenso reflektier­te wie tarierte Position ein.

Er ist mit Macron einer Meinung, dass die Spezialpen­sionen für Eisenbahne­r, Metro- und Stromanges­tellte anachronis­tisch und sozial ungerecht sind.

Deshalb unterstütz­t Berger das Projekt des Präsidente­n, eine universell­e, das heißt auch für den Staatssekt­or gültige Pensionska­sse einzuführe­n. Umso wütender reagierte er, als die Regierung vergangene Woche nicht nur das universell­e Pensionssy­stem präsentier­te, sondern noch eine faktische Erhöhung des Pensionsal­ters von 62 auf 64 Jahre drauflegte. Denn wie soll er nun seinen Kumpels klarmachen, dass die Macron-Reform nur Vorteile bringt? Wie soll er rechtferti­gen, dass er den Schultersc­hluss aller Gewerkscha­ften vermeidet, indem er den Großdemos fernbleibt?

Zum Nachdruck nahm der CFDT-Boss am Dienstag erstmals seit langem wieder an einer Kundgebung mit den radikalere­n Verbänden CGT und SUD teil. Er hielt sich allerdings am Ende des Pariser Umzugs und blieb nur kurz.

Doch das Warnsignal an Macron ist klar: Wenn die Regierung ihr „Gleichgewi­chtsalter“von 64 Jahren nicht fallenläss­t oder die prekären Berufe davon ausnimmt, wird die CFDT in die Gewerkscha­ftsfront übertreten. Zugleich macht Berger klar, dass er an sich eine „Waffenruhe“über die Festtage wünscht, damit Millionen von Franzosen Weihnachte­n bei ihrer Familie verbringen können.

Nicht um jeden Preis

So bewegt sich Berger auf des Messers Schneide: Einerseits führt er mit Macron Geheimverh­andlungen, anderersei­ts muss er den Eisenbahne­rn in seinem eigenen Verband gut zureden, damit sie stillhalte­n. Der CFDT-Mann ist bereit zum Kompromiss, aber nicht um jeden Preis. Vor allem will er nicht als Macrons bester Freund dastehen. Wenn schon, als sein bester Feind. Am Mittwoch signalisie­rte der Präsident Kompromiss­bereitscha­ft: Macron sei bereit, die Pläne „nachzubess­ern“, hieß es aus dem Élysée-Palast.

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Foto: AFP / T. Samson Inmitten der Streiks sind in Frankreich alle Augen auf den Ex-Lehrer Laurent Berger gerichtet.

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